Detektiv Asbjörn Krag: Die bekanntesten Krimis und Detektivgeschichten. Sven Elvestad. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sven Elvestad
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027212743
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hatte jenes unwahrscheinlich helle Haar, das man unter den blauäugigen Menschen in den Schären finden kann, ganz weiß, schaumweiß, nordisch und alt im Norden wie das Abenteuer. Das war Sigvard, der Ruderknecht der Fähre.

      Wenn an dem großen Tisch mit lauter Stimme noch zu trinken verlangt wurde, trat eine helle Gestalt über die Schwelle. Die Tür in den Flur stand offen, und dort draußen konnte man beim Schein einer vernebelten Stallaterne die breite Treppe mit dem aus dicken Planken ausgeschnittenen, geteerten Geländer sehen. In dem geräumigen Gang waren auch Bierfässer aufgestellt, und von den Wandbrettern funkelte es dunkel von staubigen Flaschen und alten Kupfergefäßen.

      Das alte Fährhaus hatte ein schwermütiges Gepräge des Alters von Jahrhunderten, es lag schon seit Menschenaltern so ohne jegliche Veränderungen da; es war bis in die innersten Winkel von einem sonderbaren herben Geruch durchsäuert, einem scharfen Gemisch von schmutzigem Flußwasser, Bierdunst und Teer.

      Eine ganze Welt für sich, abgeschieden und eigenartig, war dieses dunkle alte Haus. Wenn alles geschlossen war, drang kein Laut von draußen durch die dicken Planken; aber wenn die Doppeltür nach dem Flußufer geöffnet wurde, hörte man das Tosen des Flusses, der vorbeiströmte – des großen Flusses, der sich hier in das Meer stürzte, ein Tosen, das mit den Jahreszeiten wechselte, je nachdem die Wassermenge größer oder geringer war, aber nie sein eintöniges Rauschen verlor.

       Aus dem Flur in die Stube kam die helle Gestalt, ein junges Mädchen mit einer blauen Schürze, die den ganzen Körper umspannte, die Arme voll Bierkrüge, die sie einen nach dem andern auf den Tisch vor die Gäste hinstellte. Das war Ann-Mari. Es war ein gewinnender Ausdruck in ihrem Gesicht, die Ahnung eines Lächelns, doch von jenem stillen bewußten Ernst unterdrückt, den ganz junge und unterjochte Wesen in der Gegenwart Älterer annehmen, und der ein Geheimnis zu bedeuten scheint, mag es nun kindliches Wissen um ein verborgenes Glück sein, religiöse Ergriffenheit oder eine heimliche Liebe – die Strenge dieses Ernstes ist immer von der leuchtenden Unschuld der Jugend gleichsam durchsichtig. Wenn sie hereinkam, hob der Weißblonde drüben auf der Bank immer den Kopf, aber sie ging wieder, ohne hinzusehen. Sie hielt sich draußen im Flur auf, aber sie war nicht allein dort, von Zeit zu Zeit glitt eine andere Gestalt in dem Laternenschein vor, wie ein großer krummer Schatten anzusehen.

      Die Männer tranken einander in der Weise zu, daß sie die Krüge fest auf die Tischplatte stießen und wieder aufhoben. Einer von ihnen trank bis zur Neige und erhob sich dann. Er ging zu einer der kleinen Fensterluken hin, die aus der Wand ausgeschnitten und mit braunen leinenen Gardinen bedeckt waren. Er sah nach dem Wetter, einzelne folgten ihm mit den Blicken und lächelten halb verdrießlich, halb höhnisch, als wüßten sie, was er im Sinn hatte.

      »Willst du schon gehen, Segelmacher?« fragte einer von ihnen.

      Segelmacher Jan wandte sich um und lehnte sich an den Türpfosten. Er hatte einen großen struppigen Bart, der, wenn er sprach, fast ganz den Mund verdeckte, seine asthmatische Summe klang sehr undeutlich. Sein Kopf war unnatürlich schwer für den schmächtigen Körper, und daß er ihn zur Brust hinabgebeugt hielt, gab ihm etwas Heimtückisches. Wenn er vor sich hinsah, wurde ein Streifen des weißen Augapfels unter den Pupillen sichtbar, was seinen Augen einen schielenden Blick gab. Er antwortete nicht direkt auf die Frage.

       »Wir kriegen morgen gutes Wetter, denk ich,« sagte er, »eine feine Brise von Südost.«

      »Wie kannst du das sehen, Segelmacher?« fragte einer am Tisch, »der Himmel ist ja pechschwarz, und kein Mondstrahl dringt durch die Wolken.«

      »Ich weiß es«, erwiderte der Segelmacher. »Ich erinnere mich noch ganz genau, so war es auch an jenem Abend vor zwanzig Jahren. Zwanzig Jahre ist es jetzt her«, wiederholte er und steuerte wieder auf den Trinktisch zu.

      Drüben kicherte einer. Das war der Schuster Julius, ein kleiner dünner Kerl, der zwischen zwei breiten Fischern beinahe verschwand. Er hatte jenes Fadenscheinige in seiner Erscheinung, das Leuten seines Berufs in sehr engen Gemeinwesen eigen zu sein pflegt; sein Gesicht war fahlgrau, so als hätte er sich nie ordentlich reingewaschen, sein Bart hing zerfranst herab.

      Der Schuhmacher entdeckte, daß die anderen anerkennend lachten, und da sagte er:

      »Darum meinst du vielleicht, daß etwas passieren muß, Segelmacher, weil es zwanzig Jahre her ist. Ich sehe dich noch, wie du an demselben Abend vor zehn Jahren warst. Da hast du dich auch herumgedrückt und nachdenklich das Wetter angeguckt und zu prophezeien angefangen – du feierst da so eine Art Jubiläum.«

      »Der Segelmacher glaubt an Wunder«, bemerkte ein anderer.

      Und nun kam es von einem nach dem andern vom Tisch her:

      »Er glaubt an die Worte der Schrift: Du sollst nicht zweifeln.«

      »Aber das Abenteuer ist vorbei.«

      »Er ist eigentlich glücklich, der Segelmacher, denn er hat die Hoffnung nicht aufgegeben. Er und sie dort draußen – die Hexe.«

      Der Sprechende wies mit einer Geste in den dunklen Flur. Vielleicht hatte jemand draußen die Bemerkung gehört, denn für einen Augenblick blieb der krumme, drohende Schatten wie lauschend stehen. Da wurde es ganz still in der Schankstube, aber dann glitt der Schatten wieder in das Dunkel zurück, und das seltsame Gespräch ging weiter, diese stechenden, feindseligen Worte, die ein Geheimnis verrieten, das alle kannten:

       »Nicht einmal die Pfaffen gaben noch Hoffnung, weder der alte, der fort ist, noch der neue, der kam.«

      »Nein, das ist, weiß Gott, wahr. Es wird immer nur öder und hoffnungsloser hier um das Fährhaus.«

      »Wir sterben auch einer nach dem andern, wir sind unser nicht mehr viele.«

      »Aber wir, die wir noch da sind, wir warten alle«, meinte der Segelmacher. Sein unheimlicher Blick bekam einen eigenen, triumphierenden Glanz:

      »Ich weiß es,« fuhr er fort, »ihr tut nur so, als ob ihr nicht mehr glauben würdet. Aber keiner hat die Hoffnung ganz aufgegeben, das ist die Wahrheit, denn keiner hier von uns weiß etwas. Nichts wissen wir. Ihr hört mich alle gern so reden, wie ich rede, denn es tut euch wohl, mir zu widersprechen, es liegt auch im Widerspruch eine Art Trost, weil er einen ganz kleinen Zweifel oder eine ganz kleine Hoffnung offenläßt, wie ihr wollt. Und mit mir ist es auch anders als mit euch. Ich habe meine Segelwerkstatt.«

      »Die Dunkelkammer ...«, brummte einer.

       »Die Dunkelkammer, ja«, erwiderte der Segelmacher bitter. »Das ist schon richtig, daß es dort drinnen immer dunkler und dunkler wird. Auf den Fenstern liegt jahrzehntealter Staub, von einem Jahr zum andern kann ich merken, wie das Licht abnimmt und sie immer blinder werden. Ist mir recht so, es liegt etwas so Menschliches darin. Es ist etwas von meinem eigenen Leben in dieser Werkstatt, so senken die Jahre auch ihr Dunkel über mich. Aber wenn ich hineinkomme, so habe ich die Erinnerungen an das Vergangene viel deutlicher um mich, als ihr andern sie haben könnt. Das liegt an der alten Luft dort drinnen, am Halbdunkel und dann an dem Geruch von Segeltuch und Takelwerk und Teer. Wenn ich dort drinnen stehe und Atem schöpfe, ist es mir, als wenn ich die Brigg wieder aus dem Sunde gehen sähe, wie vor zwanzig Jahren, wißt ihr nicht mehr, wie sie in der Südostbrise duftete, frisch geteert und fein? Wenn ich diesen Duft wieder spüre, da wird die Hoffnung wieder lebendig, ich glaube, ich ahne die Brigg irgendwo weit draußen auf dem Meer, weit, weit weg unter einem anderen Himmel – aber noch da.«

      Der Segelmacher hatte die Stimme zu einem heiseren Röcheln gesenkt, und es wurde merkwürdig still in der Stube. Die Leute wetzten unwillig auf den Stühlen, als erbitterte es sie, daß man ihnen diese Erinnerung aufdrängte. Plötzlich trat eine Erscheinung aus dem Flur, es war der krumme Schatten, der nun in der Gestalt eines alten Weibes auflebte, gebückt, mit einem zigeunerhaft dunklen, scharfgeschnittenen Gesicht, das war die Herbergsmutter Kaisa. Sie war in grobes, bauerngewebtes Zeug gekleidet, und an den Füßen hatte sie Männerröhrenstiefel. Aber über dem dunklen Leibchen funkelte eine dicke Halskette aus Gold, an ihren gekrümmten Fingern und in den Ohren leuchteten Ringe. Sie blieb einen Augenblick stehen und nickte dem Segelmacher zu, dabei lächelte sie vielsagend. Dann sagte sie mit geheimnisvoller Betonung:

      »Ich