MATTHEW CORBETT und die Hexe von Fount Royal (Band 2). Robert Mccammon. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Mccammon
Издательство: Bookwire
Серия: Matthew Corbett
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958352315
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erledigt wurde, weil Winston den Zustand seines Hauses – und vielleicht auch seinen geistigen Zustand – vor seinem Arbeitgeber geheimhalten wollte.

      Winston goss aus der blauen Flasche etwas in den Krug. Er trug ein langes, graues Nachthemd, das an vielen Stellen mehr schlecht als recht geflickt worden war, und mehrere kleine Brandlöcher aufwies, die Matthew verrieten, dass die Macht des Mannes über Feuer sich nicht bis zum Beherrschen seiner Pfeife erstreckte.

      »Nun denn«, sagte Winston. »Das Urteil ist also gefällt worden, was?« Er trank einen Schluck. Matthew vermutete, dass es entweder Apfelwein oder Rum war. »Bringt mir die Urkunde und entrollt sie.«

      Matthew tat ihm den Gefallen, ließ die Urkunde aber nicht los, da er dafür verantwortlich war. Winston beugte sich darüber und las die verschnörkelte Schrift. »Das ist nicht überraschend. Montag wird sie also verbrannt?«

      »Ja.«

      »Höchste Zeit. Sie hätte schon vor einem Monat auf den Scheiterhaufen kommen sollen. Das wäre für uns alle am besten gewesen.«

      Matthew rollte die Urkunde wieder zusammen. Er warf einen verächtlichen Blick auf die Unordnung. »Sieht es bei Euch immer so aus?«

      Winston hatte einen weiteren Schluck nehmen wollen, doch nun verharrte seine Hand in der Luft. »Nein«, sagte er sarkastisch. »Meine Dienerschaft ist nur gerade abberufen worden. Normalerweise habe ich einen Lakaien, eine Magd und ein Mädel, das mir den Nachttopf schrubbt.« Der Holzkrug berührte seine Lippen, und er wischte sich mit der Hand über den Mund. »Ihr könnt nun gehen, Sir Reverence.«

      Matthew lächelte schwach, aber sein Gesicht war verspannt. Sir Reverence war ein Gassenwort für Exkrement. »Ihr habt wohl eine lange Nacht gehabt«, sagte er.

      »Lange Nacht?« Winston zog die Augenbrauen hoch. »Was soll das heißen?«

      »Eben das … eine lange Nacht. Ich hatte angenommen, dass Ihr ein Frühaufsteher seid. Ihr habt wohl bis spät in die Nacht gearbeitet.«

      »Gearbeitet.« Er nickte. »Ja, ich bin immer am Arbeiten.« Er deutete auf das mit Verwaltungsbüchern beladene Pult. »Seht Ihr. Sein Geld verwalten … seine Pence und Guineas und Münzen. Seine Einkünfte und Ausgaben. Das ist meine Arbeit.«

      »Ihr klingt, als wärt Ihr nicht besonders stolz auf das, was Ihr für Mr. Bidwell leistet«, sagte Matthew. »Er verlässt sich sehr auf Euch, oder nicht?«

      Winston starrte Matthew mit blutunterlaufenen Augen misstrauisch an. »Ihr könnt jetzt gehen«, wiederholte er. Diesmal schwang in seinem Tonfall eine Warnung mit.

      »Werde ich auch. Aber Mr. Bidwell selbst hat mir vorgeschlagen, Euch aufzusuchen und nach dem Landvermesser zu fragen. Da Ihr ihn in Fount Royal herumgeführt habt, hatte ich gehofft, dass …«

      »Ein Landvermesser? Ich kann mich kaum an ihn erinnern!« Wieder trank Winston aus seinem Humpen. Diesmal lief ihm etwas des Getränks glitzernd das Kinn hinunter. »Wann war das gewesen? Vor vier Jahren?«

      »So ungefähr.«

      »Geht schon, los!«, fuhr Winston ihn an. »Ich hab keine Zeit für Eure Albernheiten!«

      Matthew atmete tief ein. »Oh doch, die habt Ihr.«

      »Wie bitte? Herr im Himmel noch mal, soll ich Euch hinauswerfen?«

      »Ich weiß, was Ihr nachts treibt«, sagte Matthew leise.

      Es war, als sei die Hand Gottes aus dem Himmel gefahren und hätte die Zeit angehalten und alle Geräusche getilgt.

      Matthew nutzte das Überraschungsmoment und sprach weiter. »Außerdem bin ich im Besitz einer der sechs Eimer, die Mr. Rawlings und seine Helfer vergraben haben. Insofern bringt es nichts, wenn Ihr heute Nacht hingeht und sie woanders verstecken wollt. Ich nehme an, dass Ihr den siebten Eimer irgendwo hier verborgen habt?«

      Die Hand Gottes war mächtig: Sie hatte Edward Winston mit offenem Mund zu einer Statue erstarren lassen. Der Humpen rutschte ihm aus den Fingern und schepperte zu Boden.

      »Das dachte ich mir«, sagte Matthew. »Gehe ich korrekt in meiner Annahme, dass Ihr die chemischen Stoffe mit einem Pinsel auf die Wände der Häuser aufgetragen habt, die Ihr in Brand gesetzt habt? Es scheint ja eine äußerst wirksame Mischung zu sein.«

      Winston bewegte sich nicht, gab keinen Laut von sich und schien kaum noch zu atmen. Die Farbe seines Gesichts hatte sich dem faden Grau seines Nachthemds angeglichen.

      Matthew schaute sich einen Augenblick lang in dem unordentlichen Zimmer um, bevor er weitersprach. »Ich glaube Folgendes«, sagte er. »Ihr habt auf einer Eurer Reisen nach Charles Town mit Nicholas Paine, als Ihr Versorgungsgüter kaufen wart, jemanden kontaktiert, der dort einen gewissen Grad von Macht besitzt. Vielleicht war es Mr. Danforth, der Hafenmeister; vielleicht auch jemand mit einem größeren Interesse daran, dass Fount Royal sich nie zu dem entwickeln wird, was Bidwell vorschwebt. Ich vermute, dass Ihr Mr. Paine wahrscheinlich irgendwelche Besorgungen erledigen gelassen habt, während Ihr diesen Kontakt geknüpft habt. Er weiß nichts davon, oder?«

      Matthew hatte keine Antwort von Winston erwartet und wurde nicht enttäuscht. »Ich glaube nicht, dass er etwas weiß«, sagte Matthew. »Ich glaube, dass es Eure eigene Intrige ist. Ihr habt Rachel Howarths Situation ausgenutzt und viele leere Häuser in Brand gesteckt, damit sich weitere leeren. Habe ich soweit recht?«

      Langsam sank Winston auf seine Bank. Sein Mund stand immer noch offen.

      »Das Problem war, dass Ihr einen Brandstoff brauchtet, der sich auch in Nässe entzündet.« Matthew stieß ein paar der herumliegenden Kleidungsstücke mit der Schuhspitze an. »Die Eimer mit den chemischen Mitteln müssen in Charles Town gemischt und heimlich per Schiff hergeschafft werden. Ich vermute, dass die Schiffsbesatzung so einige raue Fahrten hinter sich hat. Aber Mr. Rawlings muss trotz des Risikos einen Profit herausschlagen. Ich würde annehmen, dass auch Ihr trotz des Risikos profitiert. Steht Euch vielleicht eine gute Position in Charles Town in Aussicht, wenn Fount Royal gescheitert ist?«

      Winston hob die Hand und fasste sich an die Stirn. Seine Augen waren glasig.

      »Ich halte es Euch zugunsten, dass Ihr Eure Würde nicht besudelt, indem Ihr alles abstreitet«, meinte Matthew. »Etwas verwundert mich allerdings. Bidwell hat mir erzählt, dass Ihr seit acht Jahren für ihn arbeitet. Warum habt Ihr Euch gegen ihn gewandt?«

      Winston schlug die Hände vors Gesicht. Sein Atem kam in abgerissenen Zügen, seine Schultern zuckten.

      »Ich habe viele Menschen der unterschiedlichsten Art kennengelernt und kann mir vorstellen, woran es liegen könnte.« Matthew ging an den überfüllten Schreibtisch und öffnete eins der Verwaltungsbücher. Er blätterte es durch und sprach weiter. »Ihr wisst besser als alle anderen, wie reich Bidwell ist. Ihr habt ständig seinen Reichtum, seine Zukunftspläne vor Augen … und zugleich auch Eure eigene Existenz, die nach dem, was ich hier in Eurem Haus sehe, nicht gerade glänzend ist. Von daher würde ich sagen, es ist Eurem Eindruck entwachsen, dass Ihr ein elendes Leben führt. Ist Euch in Charles Town ein Herrenhaus versprochen worden? Eine Euch gewidmete Statue? Was genau ist Euch versprochen worden, Mr. Winston?«

      Winston langte mit schwacher Hand nach der blauen Flasche, führte sie an den Mund, und trank sich Mut an. Er blinzelte Tränen weg und senkte die Flasche. »Geld.«

      »Wesentlich mehr, als Bidwell Euch zahlt, nehme ich an?«

      »Mehr … als ich jemals verdienen könnte, wenn ich zwei Lebensspannen zur Verfügung hätte.« Er trank erneut. »Ihr habt keine Ahnung, wie es ist, für ihn zu arbeiten. Ständig mit ihm zusammen zu sein und … allem, was er hat. Allein für Perücken gibt er jedes Jahr einen Betrag aus, von dem ich wie ein Prinz leben könnte. Und dann die Kleidung und das Essen! Wenn Ihr wüsstet, um was für Beträge es sich handelt, würdet Ihr verstehen und ebenso angewidert sein von seiner Lebensphilosophie: Keinen Schilling zu viel für einen Bediensteten ausgeben, aber keine Ausgaben für den Herrn sparen!«

      »Ich will ihn nicht verteidigen, aber ich muss doch sagen, dass das sein Recht ist.«