»Kraft meines Amtes als kolonialer Richter«, las Matthew vor, »verurteile ich die besagte Angeklagte Rachel Howarth der königlichen Gesetzgebung nach zum Tod auf dem Scheiterhaufen. Dieses Urteil soll am Montag, dem zweiundzwanzigsten Mai 1699, vollstreckt werden.« Als er seine verhasste Aufgabe beendet hatte, ließ er das Dokument sinken.
»Deine Tage sind gezählt!«, sagte Bidwell, der noch immer hinter Matthew stand. »Dein Herr und Meister mag zwar letzte Nacht die Schule in Brand gesetzt haben, aber die bauen wir wieder auf!«
»Ich glaube, Ihr solltet jetzt gehen«, sagte Matthew zu ihm, war aber zu erschöpft, um laut zu werden.
»Jetzt bekommst du deine Belohnung dafür, dass du meine Stadt zerstören wolltest – und das war alles umsonst!«, schrie Bidwell. »Wenn du tot bist, wird Fount Royal berühmt werden!«
Rachel erwiderte nichts. Vielleicht verletzten die Worte sie nicht einmal; so tieftraurig, wie sie war.
Bidwell war noch nicht fertig. »Der Herrgott hat uns diesen Tag geschenkt!« Er konnte nicht anders, als Matthew ermunternd auf den Rücken zu schlagen. »Ihr und der Richter habt gute Arbeit geleistet! Was für ein wunderbares Urteil! Ich muss jetzt gehen … und mit den Vorbereitungen beginnen! Wir müssen einen Pfahl beschaffen und einen Scheiterhaufen errichten, und ich schwöre beim Blute Christi, dass es der beste Scheiterhaufen sein wird, auf dem je eine Hexe verbrannt worden ist!« Er stierte Rachel durch die Gitterstäbe an. »Dein Herr und Meister soll uns ruhig jeden Dämon seiner Hölle schicken, um uns bis Montag noch Ärger zu bereiten – das ertragen wir schon! Darauf kannst du dich verlassen, Hexenweib! Sag deinem schwarzschwänzigen Hurenbock, dass Robert Bidwell in seinem ganzen Leben noch nie versagt hat, und dass auch Fount Royal nicht versagen wird! Hörst du?« Er redete nicht mehr mit Rachel, sondern schaute sich im Gefängnis um. Seine Stimme donnerte und klang so hochmütig, als würde er Satan eine Warnung zurufen. »Wir werden hier leben und es uns wohlergehen lassen, ganz egal, was für Teufelszeug du gegen uns aufbringst!« Und damit marschierte Bidwell zur Tür. Als er merkte, dass Matthew ihm nicht folgte, blieb er stehen. »Nun kommt schon! Ich will, dass Ihr das Urteil auf der Straße verkündet!«
»Der Richter sagt mir, was ich zu tun und zu lassen habe, Sir. Und wenn er möchte, dass ich den Bürgern das Urteil vorlese, dann werde ich das tun – aber nicht, solange er es nicht befiehlt.«
»Ich habe keine Zeit und auch keine Lust, mit Euch zu diskutieren!« Bidwells Mund war spöttisch verzogen. »Ja, ja, ich verstehe schon, warum Ihr noch bleiben wollt – Ihr möchtet sie trösten! Wenn Woodward diese nette kleine Szene sehen könnte, würde ihn das noch näher an den Rande seines Grabs bringen!«
Matthew war versucht, sich auf Bidwell zu stürzen und ihm so heftig ins Gesicht zu schlagen, dass ihm das Hirn aus den Ohren triefte. Aber das daraufhin vermutlich unvermeidliche Duell würde niemandem etwas nutzen, außer dass ein Totengräber Arbeit bekäme. Und dann würde bestimmt noch auf dem Grabstein sein Name falsch geschrieben werden. Daher hielt er sich im Zaum und starrte Bidwell nur wutentbrannt an.
Bidwell lachte, und fachte damit Matthews glühende Wut nur noch mehr an. »Ein zarter, herzerwärmender Moment zwischen der Hexe und ihrer neuesten Eroberung! Da könnt Ihr Euch aber besser bei Mrs. Nettles auf den Schoß setzen! Aber wie Ihr wollt!« Er zielte seine nächsten Schmähungen auf Rachel ab. »Dämonen, alte Männer, unschuldige kleine Kinder – vor dir ist nichts und niemand sicher! Na, dann hab deinen Spaß! Am Montag wirst du dafür teuer bezahlen!« Er drehte sich um und verließ das Gefängnis wie ein eitel stolzierender Pfau, dessen blaue Farbe ja auch seinem Anzug entsprach.
Als Bidwell fort war, merkte Matthew, dass Worte nicht ausreichten, um Rachel seine Erschütterung mitzuteilen. Er rollte die Urkunde zusammen; genau auf die Art, wie er sie auch in Charles Town archiviert hätte.
Rachel, deren Gesicht noch immer unter der Kapuze verhüllt war, begann zu sprechen. »Ihr habt getan, was Ihr konntet. Dafür möchte ich Euch danken.« Ihre Stimme klang schwach und teilnahmslos, aber immer noch würdevoll.
»Hört mich an!« Matthew trat an die Gitterstäbe heran und umklammerte einen davon mit seiner freien Hand. »Bis Montag ist es noch eine ganze Weile hin …«
»Eine kurze Weile«, unterbrach sie ihn.
»Auf jeden Fall noch eine Weile. Der Richter hat zwar sein Urteil gefällt, aber ich habe nicht vor, mit meinen Nachforschungen aufzuhören.«
»Das könnt Ihr aber.« Sie stand auf und stieß die Kapuze zurück. »Es ist vorbei; ob Ihr das nun akzeptiert oder nicht.«
»Ich akzeptiere es nicht!«, rief er. »Ich werde es niemals akzeptieren!« Peinlich berührt, dass er seine Selbstkontrolle verloren hatte, schloss er den Mund. Er starrte zu Boden und versuchte, eine halbwegs verständliche Antwort zu formulieren. »So etwas zu akzeptieren … würde bedeuten, dass ich dem Urteil zustimme, und das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Niemals, so lange ich lebe, könnte ich dieser … dieser Hinrichtung einer Unschuldigen zustimmen.«
»Matthew«, sagte sie leise. Er schaute auf. Sie starrten einander an. Rachel kam auf ihn zu, blieb aber einige Schritte von den Gitterstäben entfernt stehen.
»Lebt Euer Leben weiter«, sagte sie.
Ihm fehlten die Worte.
»Ich bin tot«, sagte Rachel. »Tot. Wenn ich am Montag abgeholt und auf den Scheiterhaufen geführt werde, wird mein Körper in den Flammen aufgehen … aber die Frau, die ich war, bevor Daniel ermordet wurde, ist schon lange nicht mehr hier. Ich habe immer mehr zu existieren aufgehört, seit ich ins Gefängnis gebracht wurde. Irgendwann hatte ich noch Hoffnung gehabt, aber ich kann mich kaum noch erinnern, wie sich das angefühlt hat.«
»Ihr dürft die Hoffnung nicht aufgeben«, beharrte Matthew. »Solange noch ein Tag bleibt, ist da immer noch …«
»Hört auf«, sagte sie streng. »Bitte … seid still. Ihr glaubt, dass Ihr das Richtige tut, indem Ihr mich aufmuntern wollt … aber das tut Ihr nicht. Es ist an der Zeit, die Realität zu akzeptieren und sich von diesen … Träumen zu verabschieden, dass mein Leben gerettet werden kann. Wer auch immer diese Morde begangen hat, ist zu schlau, Matthew. Zu … dämonisch böse. Gegen eine solche Macht bleibt mir keine Hoffnung, und ich möchte aufhören, mir etwas vorzumachen. Denn das bereitet mich nicht auf den Scheiterhaufen vor – und das ist nun das Wichtigste, das ich tun muss.«
»Ich bin kurz davor, etwas herauszufinden«, sagte Matthew. »Etwas Wichtiges, auch wenn mir noch nicht klar ist, wie es mit Euch zusammenhängt. Ich glaube aber, dass es einen Zusammenhang gibt. Ich glaube, dass ich die ersten Anzeichen der Spuren entdeckt habe, die mich zu …«
»Ich flehe Euch an«, flüsterte sie. Jetzt standen Tränen in ihren Augen, obwohl ihr Gesicht keinerlei Emotionen verriet. »Hört auf, mit dem Schicksal zu spielen. Ihr könnt mich nicht befreien. Und Ihr könnt mir auch nicht das Leben retten. Versteht Ihr denn nicht, dass dies das Ende ist?«
»Es ist nicht das Ende! Ich sage Euch doch, dass ich Spuren …«
»Ihr habt etwas gefunden, das vielleicht eine Bedeutung hat«, sagte Rachel. »Und Ihr grübelt vielleicht noch in einem Jahr darüber nach. Aber ich kann mir die Freiheit nicht mehr wünschen, Matthew. Ich werde verbrannt werden, und ich muss – ich muss! – meine verbleibende Zeit mit Beten und dem Versuch, mich darauf vorzubereiten, verbringen.« Sie schaute zum Sonnenlicht empor, das durch die Dachluke strömte, die einen Blick auf den strahlend blauen Himmel freigab. »Wenn sie mich holen kommen … werde ich Angst haben, aber die darf ich ihnen nicht zeigen. Weder Green noch Paine … und besonders nicht Bidwell. Ich darf mir keine Tränen oder Schreie erlauben. Ich will nicht, dass sie in Van Gundys Wirtshaus sitzen werden und damit prahlen, wie sie mich gebrochen haben. Wie sie lachen und saufen und erzählen, wie ich am Ende um Gnade gebettelt habe. Das werde ich nicht tun. Wenn es einen Gott im Himmel gibt, dann wird er mir am Montagmorgen meinen Mund versiegeln. Sie mögen mich eingekerkert, ausgezogen, beschmutzt und eine Hexe genannt haben … aber sie werden aus mir kein kreischendes