Die Klinik am See Staffel 3 – Arztroman. Britta Winckler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Britta Winckler
Издательство: Bookwire
Серия: Die Klinik am See Staffel
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740943011
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von Anfang an klein in ihrem Sitz gemacht. Schließlich vergaß Dr. Lindau seine Beifahrerin. Er war es gewohnt, allein unterwegs zu sein. Die Sonne lachte vom Himmel, sie brachte die bereits gefärbten Blätter zum Aufleuchten. Bunt war die Landschaft, und er verzichtete darauf, sie zu durchrasen. Am Vierwaldstättersee angekommen, hielt er am Straßenrand, um einen Blick auf den Rigi zu werfen. Da bewegte sich die junge Frau auf dem Nebensitz und wandte sich ihm zu.

      Sekundenlang war der Arzt verwirrt. »Ich hoffe, Sie haben es nicht eilig«, sagte er dann. »Ich war gerade dabei, die Landschaft zu genießen.«

      »Ich habe sehr viel Zeit. Mich erwartet niemand. Im Übrigen hat mein Mann mir noch Geld gegeben. Wenn ich Ihnen lästig bin, kann ich jederzeit aussteigen.«

      »Warum sollten Sie mir lästig sein?« Unter hochgezogenen Augenbrauen sah Dr. Lindau sie an. Dann sah er den Trotz. Er kreuzte die Arme vor der Brust. »Sie benehmen sich wie ein beleidigtes Kind, das sich in seinen Schmollwinkel zurückzieht«, stellte er fest.

      »Nein, ich konnte nicht bleiben.« Ihre Miene veränderte sich, sie wich seinem Blick nicht aus. »Ich habe darüber nachgedacht. Wir hätten uns nur weiterhin unschöne Dinge an den Kopf geworfen.«

      »Das verstehe ich wirklich nicht.«

      »Wie sollten Sie auch!« Erneut hatte sich ihre Miene verändert. Jetzt blickten ihre Augen spöttisch, das Kindliche war von ihr abgefallen. »Ich verstehe meinen Mann nicht, mein Mann versteht mich nicht. Wie sollten Sie da uns verstehen.«

      Dr. Lindaus Stirn umwölkte sich. »Sie machen es einem wirklich nicht leicht. Trotzdem, vielleicht kann ich Ihnen helfen. Ich habe eine Tochter. Jetzt ist sie glücklich verheiratet und hat mir bereits ein Enkelkind geschenkt.«

      Sonja senkte den Kopf. »Sie sind sehr nett, Herr Doktor.«

      »Na gut!« Dr. Lindau sah auf die Uhr. »Ich wollte mir etwas die Beine vertreten. Wenn Sie nichts dagegen haben, schlage ich vor, ich fahre noch ein Stück. Ich lade Sie dann zum Essen ein.«

      Sonja machte sich wieder klein in ihrem Sitz. »Das ist wirklich nicht nötig, Herr Doktor.«

      »Natürlich ist es nicht nötig. Aber ich pflege nicht durchzufahren und ich bin zu gut erzogen, um Sie allein in meinem Auto sitzen zu lassen.« Er beachtete sie nicht weiter, drehte den Zündschlüssel herum. Vorsichtig reihte er sich wieder in den Verkehr ein.

      Eine Zeit lang herrschte Schweigen im Auto. »Herr Doktor«, kam es dann leise vom Nebensitz. »Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich hin Ihnen schon dankbar.«

      Dr. Lindau schwieg. Sein Blick ging hinaus auf die Straße.

      Es dauerte einige Zeit, bis sie weitersprach: »Ich benehme mich sicher sehr dämlich. Aber ich wollte nur weg.«

      »Das habe ich begriffen.« Dr. Lin­dau hätte jetzt gern einen Blick riskiert. Er verstand diese junge Frau noch immer nicht.

      »Ich konnte nicht bleiben.« Die Verzweiflung in ihrer Stimme war nun nicht zu überhören.

      Dr. Lindau drosselte das Tempo. Vielleicht wollte sie sich jetzt aussprechen. Er wartete, aber sie schwieg. So räusperte er sich und stellte fest: »Weglaufen ist keine Lösung.«

      »In diesem Fall hätte das Bleiben keinen Sinn gehabt. Es hätte nichts an den Tatsachen geändert.«

      »Es kommt immer auf einen Versuch an«, brummte Dr. Lindau.

      Schweigen senkte sich wieder über den Arzt und seine Begleiterin. Dr. Lindau kam mit seinen Gedanken nicht von der jungen Frau los, die neben ihm saß und sich nicht rührte. So fragte er direkt: »Sie denken an Ihren Mann?«

      »Ja«, sagte Sonja, ohne zu zögern. »Ich liebe meinen Mann, und bisher habe ich geglaubt, dass er mich auch liebt. Wir hätten sonst doch nicht geheiratet.«

      Das war einleuchtend. Er verzichtete darauf, weitere Fragen zu stellen. Da sie aber kein anderes Gesprächsthema fanden, fuhr er nach einem Blick auf die Uhr von der Hauptstraße ab. »Mittagszeit!«, stellte er fest. »Wir machen jetzt eine Pause.«

      Dr. Lindau lenkte das Auto auf einen Parkplatz, neben dem sich ein Landgasthaus befand. Erst dann wandte er sich ihr zu. »Offenbar halten Sie mich für einen sehr alten Mann.« Er schmunzelte. Es bereitete ihm Freude, sie in Verlegenheit gebracht zu haben. Sie suchte nach Worten, brachte schließlich hervor: »Ich finde sie fantastisch, Herr Doktor!«

      »So! Und auf die Idee, dass ich mich in Gesellschaft einer jungen schönen Frau wohlfühle, kommen Sie gar nicht?«

      Ein kleines Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. »Das haben Sie lieb gesagt. Ich bin aber heute keine gute Gesprächspartnerin, das weiß ich.«

      »Trotzdem gehen wir jetzt essen.« Dr. Lindaus Lächeln wurde väterlich. »Und kommen Sie mir jetzt nicht damit, dass Sie keinen Hunger haben!«

      Sie widersprach ihm nicht mehr. Während des Essens hatte Dr. Lindau das Gefühl, dass er nun ihr Vertrauen gewonnen hatte. Sie aßen auf der Terrasse und genossen die Herbstsonne. Im Auto jedoch zog sie sich wieder völlig in sich zurück. Es war offensichtlich, dass sie nicht über ihre Probleme sprechen wollte. Kurz nach der Grenze bestand sie darauf, auszusteigen. Sie gestattete Dr. Lindau gerade noch, sie zu einem Bahnhof zu fahren. Er hatte nur erfahren, dass sie in Rosenheim lebte und ihrem Schwiegervater ein Busunternehmen gehörte.

      *

      Gemeinsam beugten sich Dr. Westphal und Dr. Astrid Mertens über das Neugeborene. Lebte es überhaupt noch? Astrid ließ das Stethoskop sinken. »Endlich! Ganz schwach sind die Herztöne zu hören.«

      »Wir haben alles getan, was wir konnten«, versuchte Anja Westphal, die jüngere Kollegin zu beruhigen. »Wir wussten, dass es bei der Geburt zu Schwierigkeiten kommen würde, daher habe ich auch so lange gezögert, die Zangengeburt wirklich durchzuführen. Es ging jedoch nicht anders. Frau Killian hatte nicht die Kraft, beide Zwillinge zu gebären. Beim zweiten Kind musste ich die Geburtszange verwenden.«

      »Dem Zwilling geht es gut?« Astrid strich über das Gesicht des Babys. Der Mund war verzogen, ein Augenlid hing etwas herunter. Es handelte sich um eine Fazialislähmung.

      »Ja!«, bestätigte die Frauenärztin. »Es schrie sofort aus Leibeskräften. Herztätigkeit und Atmung waren völlig in Ordnung. Es ist ein kerngesundes Baby. Bis das zweite Baby da war, dauerte es fast eine halbe Stunde. Frau Killian blutete bereits stark.«

      »Jedenfalls lebt das Kind, auch das zweite. Ich denke, wir bringen es durch. Es ist noch zu früh, um uns ein vollständiges Bild zu machen.« Astrid, die wie Anja Westphal einen sterilen Mundschutz trug, hob das Baby hoch. »Wir müssen uns noch etwas gedulden. Vielleicht irre ich mich auch, aber ich habe das Gefühl, dass die Lähmung bereits nachlässt.«

      »Wir sollten trotzdem nichts riskieren. Lassen wir das Baby über Nacht im Brutkasten. Dann ist zumindest die Atmung gesichert. Es genügt, wenn wir es morgen gründlich untersuchen. Dann wird es sich herausstellen, ob es zu einer Hirnblutung gekommen ist.«

      »Sehen Sie!« Astrid hatte ihren Mundschutz abgenommen, sie deutete auf das Glas, hinter dem das Baby nun lag.

      »Die Gesichtszüge sind nicht mehr so verzogen«, bestätigte Anja. »Nun glaube ich auch, dass es sich nur um eine bedingte Fazialislähmung gehandelt hat. Es ist zu einer Geburtslähmung gekommen. Die Arme des Neugeborenen waren gelähmt, und so musste bei der Geburt ein übermäßiger Druck ausgeübt werden.«

      »So wie ich Papa kenne, wird er sich gleich morgen früh das Baby vornehmen.« Astrid lachte, sie war erleichtert.

      »Heute werde ich es jedenfalls nicht mehr zulassen, dass das Neugeborene noch einmal aus dem Brutkasten kommt. Es sei denn, wir stellen fest, dass die Herztätigkeit erneut nachlässt.«

      »Das glaube ich nicht. Auf der Kinderstation ist auch alles in Ordnung, also werde ich nach Hause fahren.«

      »Wollen Sie nicht auf Ihren Vater warten?«, fragte die Frauenärztin. »Eigentlich wollte er schon hier sein.«

      Astrid schüttelte