ONE TO GO - Auf Leben und Tod. Mike Pace. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mike Pace
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958351271
Скачать книгу
dachte ausgiebig darüber nach, wieder nach Einbruch der Dunkelheit auf die Jagd zu gehen. Ohne Fehlertoleranz und der tickenden Uhr vor Mitternacht würde er vielleicht in der Lage sein, den Abzug zu drücken.

      Vielleicht lag der Schlüssel darin, nicht zu nah an das Opfer heranzutreten, ihm nicht in die Augen zu sehen. Einfach im Vorbeifahren, so klischeehaft, wie man es schon lange aus dem Fernsehen kennt. Er könnte bei Happy Cal noch einmal einen Wagen mieten, in ein anderes Viertel fahren, ein paar Dealer ausfindig machen, die an einer Ecke herumstehen, und drauflos ballern. Er hatte seine Lektion gelernt, was angemessene Handschuhe anging, wenn man eine Ruger abfeuern wollte, und kaufte sich eine Schachtel Latexhandschuhe in einer Rite-Aid-Apotheke an der Columbia Road.

      Das Problem war, dass er nur den Bruchteil einer Sekunde zur Verfügung hatte – keinen Moment zur Reflexion, keine Zeit, ein zweites Mal darüber nachzudenken – und er war sich nicht sicher, ob er den Abzug drücken konnte. Damit blieb nur eine Option. Er musste bei Janie sein, wenn es Mitternacht wurde, um sie zu schützen.

      Er trat aus der Dusche und griff nach seinem Telefon, ohne sich abzutrocknen.

      ***

      »B-I-N-G-O, B-I-N-G-O, B-I-N-G-O, und Bingo war sein Name …«

      Tom sang zusammen mit Janie und Angie, die das Lied vom Rücksitz aus grölten. Er war stolz auf seine Tochter, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, ihre Cousine aufzuheitern. Sie waren auf dem Rückweg zu seiner Wohnung, nachdem sie im Kino waren und in einem Chili's Burger gegessen hatten. Während der Fahrt ins Kino hatte Angie kaum gesprochen, aber jetzt schien sie ein bisschen lebhafter geworden zu sein.

      Tom war zu dem Schluss gekommen, dass die Chance, dass er auf einen Fremden zielte und abdrückte, reichlich gering war, also blieb ihm als einzige echte Möglichkeit nur, die Mädchen vor Chad und Brit zu beschützen. Zuerst war er überrascht, wie bereitwillig Gayle ihm die Mädchen für eine Übernachtung überlassen hatte. Dann allerdings fiel ihm ein, welchen Stress es verursachen musste, sich zusätzlich zu den täglichen Aufgaben einer Mutter auch noch um Angie zu kümmern, also begrüßte sie wohl die Aussicht auf einen Tag und eine Nacht Ruhe.

      Tom hatte noch immer einen kleinen Hoffnungsschimmer, dass absolut nichts passieren würde. War Chad jedoch real – zumindest so real, wie ein Untergebener des Teufels sein konnte –, mussten Tom und sein neuer Freund, Mr. Ruger, die Nacht hindurch Wache halten. Einmal ertappte er sich dabei, wie er hoffte, Chad würde den leichten Weg gehen und sich zuerst eines der anderen Mädchen holen, aber er war sogleich von sich selbst angewidert wegen solch eines furchtbaren Gedankens und nahm sich vor, diesen nie wieder zuzulassen.

      Es war kurz nach acht, als sie in seine Wohnung zurückkamen. Er hatte sich schon ein Kissen und eine Decke für sich selbst auf der Couch vorbereitet, sodass die Mädchen im Bett schlafen konnten. Da am nächsten Tag keine Schule war, setzten sie sich mit einer Packung Oreos auf die Couch und schauten den Disney Channel.

      Das Handy klingelte. Tom zuckte erst, aber dann fiel ihm ein, dass es noch vier Stunden dauern würde, bis er von Chad und Brit hören könnte – oder hören würde?

      Es war Gayle. Sie wollte wahrscheinlich fragen, ob er die Mädchen ein bisschen länger behalten könnte.

      »Tom, Gino ist auf Kaution raus.«

      »Was? Bei einer Mordanklage?«

      Seine Stimmlage blieb nicht unbemerkt. »Daddy, ist das Mommy?«, fragte Janie.

      Er sah, wie Angie kreidebleich wurde. Das Anmerken von Mord ließ keinen Zweifel in ihr, über wen gesprochen wurde. »Ja, Schatz, es ist Mommy.« Tom stand auf und ging ins Schlafzimmer. »Was ist passiert?«

      »Es gab gestern eine Kautionsanhörung. Er hat wohl eine weichherzige Richterin erwischt. Sie befand, dass es sich um ein mutmaßliches Verbrechen aus Eifersucht handelte. Gino ist nicht vorbestraft und ist gut in die Gesellschaft eingegliedert. Sie befand, dass er keine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt und dass keine Fluchtgefahr besteht. Er wurde diesen Nachmittag entlassen, nachdem er die Hälfte seiner Anteile an der Firma als Kaution hinterlassen hatte.«

      »Woher weißt du das?«

      »Er hat mich eben angerufen. Sagte, dass er Hausarrest habe. Sie haben ihm eine dieser elektronischen Fußfesseln verpasst. Er möchte Angie sehen. Sie darf ohne erwachsenen Begleiter nicht in seine Nähe und mein erster Instinkt sagte mir, dass ich das Kind auf keinen Fall überhaupt in die Nähe dieses Mannes lassen soll, selbst wenn jemand dabei wäre. Ich sagte ihm, ich würde am Morgen das Jugendamt kontaktieren und dann auf ihn zurückkommen. Da fing er an zu weinen und bettelte, sie wenigstens ein paar Minuten sehen zu dürfen. Er sagte, er müsse ihr sagen, wie leid ihm alles tut und dass er das alles nicht wollte.«

      »Und …?«

      »Hör zu, ich habe mit angesehen, wie er meine eigene Schwester zu Tode geprügelt hat, also hat niemand mehr Grund als ich, den Typen zu hassen. Ich kann es nicht erklären, aber ein Teil von mir glaubt, dass er irgendwie wirklich nicht bei Sinnen war. Du hast sie zusammen erlebt. Niemals gab es auch nur einen Anflug von Gewalt und wenn er sie jemals angefasst hätte, hätte sie es mir erzählt. Ich bin hin- und hergerissen. Was ich in der Küche erlebt habe, war ein Monster. Aber genau das ist es ja. Ein Monster, etwas, das nicht echt ist. Nicht der große Teddy, den ich bereits viele Jahre kenne.«

      »Also …«

      »Ich sagte ihm, du würdest für ein paar Minuten vorbeikommen.«

      »Bist du bescheuert?«

      »Du hättest ihn hören sollen, Tom. Da war etwas in seiner Stimme. Ich sagte, ich würde das nur erlauben, wenn du ständig dabei wärst.«

      »O Mann …«

      »Du gehst zum Haus, er macht dir auf, er sagt, was er zu sagen hat, du gehst wieder. Das ist der Deal, dem er auch zugestimmt hat. Angie wird wahrscheinlich nervös sein, also kannst du Janie mitnehmen, damit sie eine Freundin dabeihat.«

      »Aber wenn du recht hast und er irregeworden ist …«

      »Er klang normal. Durcheinander, aber normal. Nicht so, als würde er sich umbringen wollen oder so. Wie gesagt, schwer zu erklären.«

      Sich umbringen. Ein schrecklicher Gedanke kam Tom da in den Sinn. Nein, auf keinen Fall. Er spähte ins Wohnzimmer und blickte in die Gesichter der zwei unschuldigen Mädchen, die ihn besorgt und fragend ansahen. Konnte er das Risiko wirklich eingehen? Seine Stimme zitterte, als er sprach.

      »Ich mache mich mit den Mädchen auf den Weg.«

      Kapitel 14

      Tom überlegte, ob er Janie im Auto lassen sollte, aber davon wollte sie nichts hören. Beide Mädchen verkrochen sich hinter seinen Beinen, als Gino die Tür öffnete. Er beugte sich hinunter und öffnete die Arme.

      »Baby …«

      Einen Moment lang zögerte Angie, dann rannte sie zu ihrem Vater und versank in seiner Umarmung. Gino hob seine Tochter hoch.

      »Baby, es tut mir so leid. Ich schwöre dir, ich wollte Mommy nicht wehtun.«

      »Tante Gayle sagte, du bist nur krank geworden und Bazillen sind in dein Gehirn gekrochen und dann haben sie dich gezwungen, es zu tun, aber du wolltest das doch gar nicht.«

      »Vielleicht hat Tante Gayle recht, Süße.« Er sah zu Tom. »Danke. Ich weiß, sie herzubringen, war keine leichte Entscheidung.«

      »Kein Problem.«

      »Onkel Tom wird dich jetzt nach Hause bringen«, sagte Gino. »Aber morgen werden wir mit der Frau vom Gericht sprechen und sehen, ob du nächstes Mal länger bleiben kannst.« Schnell fügte er hinzu: »Natürlich nur, wenn Onkel Tom oder Tante Gayle dabei sind.«

      Tom blickte zu seiner Tochter hinunter. Sein Mund fühlte sich an, als sei er voll Watte. »Hör mal, also, wenn du möchtest, dass wir kurz reinkommen, sehe ich da kein Problem.«

      Gino lächelte über das ganze Gesicht