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       Was du auch tust, sprich bitte nicht mit deinen Eltern über diese Sache.

      Leon hob seinen Blick von dem kleinen Display und starrte in die Ferne. Er erinnerte sich an ein Weihnachten, als er jung gewesen und sein Onkel aus Russland gekommen war, um sie zu besuchen. Sein Vater hatte geweint, als sein Bruder in ihre kleine Wohnung kam. In den folgenden Tagen während der Weihnachtsferien schienen Leons Eltern so glücklich wie nie zuvor. Seine Eltern waren meist sehr ernst, aber er erinnerte sich deutlich, wie fröhlich sie gelacht hatten, selbst tief in der Nacht, wenn Leon schon im Bett lag und zu schlafen versuchte.

      Der Gedanke, einen Virus zu schreiben, erschien ihm absurd und dass deshalb jemand getötet werden könnte, erschien ihm nicht weniger absurd. Was konnte er tun? Während seiner nächsten Stunde grübelte er darüber. Er hatte Englisch. James saß neben ihm und bewarf ihn mit kleinen Papierkügelchen. Leon bedeckte sein Ohr, das James' wahrscheinlichstes Ziel war, und tat so, als würde er dem Lehrer zuhören, obwohl er nicht aufhören konnte, über die Mail nachzudenken. Er konnte einfach den freundlichen Mann, der ihm zu Weihnachten ein Fahrrad geschenkt hatte, nicht mit dem Bild eines Mannes in Verbindung bringen, der Computerviren für die Mafia schrieb. Und wenn es eine Sache gab, die Leons Eltern ihm immer wieder eingeschärft hatten, dann war es, sich aus Schwierigkeiten herauszuhalten. Seine Familie hatte nicht das Geld, um ihn aufs College zu schicken, was bedeutete, dass er ein Stipendium brauchte. Für Kids mit Vorstrafen gab es keine Stipendien.

      Er hasste es, wenn die Logik der Eltern sein eigenes Denken beeinflusste, aber so war es eben. Er wollte Biologe werden. Das bedeutete, dass er auf ein richtig gutes College gehen musste – er hoffte auf das Caltech oder das MIT. Nein, seinem Onkel zu helfen, war der direkte Weg in Schwierigkeiten.

      

       Onkel Alex, natürlich erinnere ich mich an dich! Ich bin stolz auf dein Vertrauen in mich, aber ich weiß absolut nichts über Computerviren. Ja, ich kenne mich ganz gut mit Computern aus, aber es geht dabei hauptsächlich um Onlinespiele und Biologie. Ich glaube nicht, dass ich dir helfen kann. Leon

      Biologie war auch das Thema der nächsten Stunde. Der Gedanke an sein Lieblingsfach brachte ein Lächeln auf sein Gesicht. Er konnte nicht sagen, was ihm so sehr an seinem Biologiekurs gefiel, aber er konnte nicht leugnen, dass es die Stunde war, auf die er sich jeden Tag am meisten freute.

      Von allem Stoff in der Schule barg Biologie für ihn die kühnsten Konzepte: Leben konnte jederzeit aus dem Nichts entstehen. Es konnte sich ohne ein spezifisches Ziel entwickeln. Alles, was den Menschen ausmachte, war Zufall und Überlebensinstinkt. Man konnte Lebensformen variieren, sie auf der Basisebene verändern, um neue Lebensformen entstehen zu lassen. Die Möglichkeiten waren grenzenlos und spontan.

      In der heutigen Biologiestunde ging es um rekombinante DNS, eine Technik, mit der man DNS-Sequenzen aus verschiedenen Quellen zusammenbrachte, um Kombinationen zu erzeugen, die es in der Natur nicht gab. Am Ende der Stunde ging Leon zur Tür, tief in Gedanken über die DNS von Caninen versunken. Plötzlich schnitt ihm Mrs. Gellender den Weg ab.

      »Leon, hast du eine Minute?«

      Leon sah sich um, wollte sich vergewissern, dass keine Freunde von ihm in der Nähe waren. Die Luft war rein. Er nickte.

      »Ich baue ein Schulteam für Computerbiologie auf. Es wird in New York eine neue Stadtliga geben. Ich denke, du wärst perfekt. Das Team wird sich nach der Schule treffen.«

      Leon mochte Mrs. Gellender. Er hatte sie wirklich gern. Und er liebte das Fach Biologie. Ein Teil von ihm war interessiert, wirklich interessiert. Aber, Mann-o-Mann, wie uncool wäre das denn? Und dann auch noch nach der Schule hierbleiben – das nervte.

      Mrs. Gellender musste seinen Gesichtsausdruck richtig gedeutet haben. »Du machst exzellente Arbeit in meinem Biologiekurs. Das Essay über Evolution, das du eingereicht hast, war wirklich inspirierend. Mir gefiel die Art, wie du biologische Evolution mit der Spieltheorie verknüpft hast.«

      Leon spürte, wie er rot wurde. Wenn es etwas gab, was noch schlimmer war als nach der Stunde zu bleiben, um mit der Lehrerin zu reden, dann war es, von ihr für die Hausaufgaben gelobt zu werden. Wie peinlich konnte es noch werden?

      »Denk einfach darüber nach. Bitte. Mitglied des Teams zu sein, würde dir auch sicher bei deinem College-Stipendium helfen.« Mrs. Gellender hielt ihm einen Hochglanzflyer hin.

      Leon nahm das Blatt und hörte die Worte aus seinem Mund kommen. »Okay, ich mache es.«

      Er ging aus den Raum. Collegestipendium. Wenn er aufs College, auf irgendein College gehen wollte, brauchte er ein Stipendium. Seine Mutter machte Maniküre, sein Vater Grafikdesign. Sie machten beide nicht das große Geld.

      Schließlich lief er durch die nun leeren Schulkorridore auf den Haupteingang zu. Als er durch die Tür ging, wurde er von beiden Seiten attackiert. »HAJAAAH«, erklang der Kampfschrei, und Leon fuhr zurück.

      James und Vito standen lachend da. Mit klopfendem Herzen keuchte Leon: »Ihr Idioten, ich hatte fast einen Herzanfall.«

      »Wenn du wirklich einen Herzanfall willst, dann schaue dir das hier an.«

      James griff in seine Jackentasche und zog einen schwarzen Quader heraus. Er hielt ihn Leon hin. Der leckte sich die Lippen und nahm es James aus der Hand. Es war das dunkelste, matte Schwarz, das Leon je gesehen hatte. Es fühlte sich ein wenig warm an, wie ein Stück Holz, das in der Sonne gelegen hatte. Leon drehte es immer wieder in seinen Händen. Es gab keine Nähte oder Kanten oder Zeichen auf dem Gehäuse. Eine absolut perfekte Oberfläche.

      »Das Gibson«, stammelte Leon ehrfürchtig.

      James nickte stolz. »Ich habe die Lieferbestätigung bekommen und einen Kurs ausgelassen, um nach Hause zu laufen und es zu holen.«

      Leon konnte nicht aufhören, das elektronische Monstrum in seinen Händen zu bestaunen, seine dichte Masse zu spüren. Das Gibson hatte den ersten Prozessor aus Carbongraphen. 256 Prozessorkerne mit der niedrigsten Energieaufnahme, die je entwickelt worden war. Ein voll bewegungssensitives Display. Es hatte Hitachi-Sony sechs Jahre gekostet, die Technologie zu perfektionieren.

      »Okay, gib es mir zurück.«

      Als James ihm das Smartphone abnahm, erwachte es in seinen Händen zum Leben. Jeder Millimeter Oberfläche war Teil des Displays, und die Muster bewegten sich, als James darüber strich. »Komm schon, gehen wir zu dir und spielen Mech War. Ich will sehen, was dieses Baby kann.«

      Leon nickte nur, seine sechs Monate alte Chinakopie eines Hitachi-Sony Stross Smartphones erschien ihm plötzlich uralt.

      Später am Abend räumte Leon das Chaos von Tellern und Gläsern aus seinem Zimmer und brachte sie so leise wie möglich in die Küche. Er wollte vermeiden, seine Eltern zu wecken. James und Vito waren bis kurz vor dem Abendessen geblieben, um zusammen eine ›Mech War‹- Mission zu beenden. James' neues Gibson hatte sie alle geflasht. Es renderte die Grafik so unglaublich detailliert, dass Leon und Vito die eigenen Bildschirme ignorierten, um auf James' Bildschirm zu starren.

      Als aber seine Mutter verkündete, dass es Kohlsuppe zum Abendessen gab, waren James und Vito hastig nach Hause geflüchtet, da sie sich urplötzlich daran erinnerten, dass sie von ihren Eltern erwartet wurden.

      Drei Stunden später schliefen seine Eltern endlich, und Leon hatte Zeit, sich die Nachricht anzusehen, die er so lange ignoriert hatte. Warum räumte er auch sonst sein Zimmer auf? Doch nur, um die Nachricht nicht lesen zu müssen. Er gab auf und sank auf sein Bett. Mit einer Fingerbewegung über sein Smartphone löschte er das Licht, sodass er durch sein schmales Fenster die Lichter der Stadt sehen konnte. Er fuhr seine Email-App hoch.

       Leon, ich weiß, dass du das eine oder andere über das Programmieren weißt. Ich habe deine Schulnoten gesehen, deine Eignungstests und die Kommentare deiner Lehrer. Ich denke, du könntest mir helfen, lehnst es aber vielleicht aus moralischen Gründen ab. Aber sieh es so: Wenn du mir nicht hilfst, werde ich wahrscheinlich in ein paar Tagen tot sein.

       Wenn