Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stanislaw Przybyszewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027205639
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Du bist so schweigsam? Mikita kam an sie heran.

      – Ich bin glücklich. Sie drückte ihm leise die Hand.

      – Bist Du nicht müde?

      – Nein, gar nicht!

      – Aber wir wollen gehen, nicht wahr?

      Etwas hielt sie mit aller Macht zurück. Sie möchte um jeden Preis noch bleiben. Aber sie las in seinen Augen eine stumme Bitte.

      – Ja, wir wollen gehen. Es klang fremd, beinahe abweisend.

      Sie erhob sich.

      – Wollt Ihr wirklich gehen? So bleibt doch noch ein Weilchen hier. Falk hätte sie mit Gewalt zurückhalten mögen.

      Aber Mikita konnte unmöglich länger bleiben; er müsse Isa nach Hause begleiten.

      Als sie weggehen wollten, sprang Iltis auf.

      – Also Du, Mikita, vergiß nicht ...

      – Ja richtig! Mikita hatte es ganz vergessen, daß er mit Isa zu einer Abendgesellschaft bei Iltis eingeladen war.

      – Ja, er werde sicher kommen. Ob Isa auch mit wolle, das wisse er nicht ...

      Isa wollte herzlich gerne mitkommen.

      – Und Du, Falk? Du kommst doch selbstverständlich? Iltis klopfte Falk wohlwollend auf die Schultern.

      – Gewiß.

      Isa drehte sich plötzlich nach Falk um und reichte ihm noch einmal die Hand.

      – Sie kommen doch recht bald zu mir?

      Falk kam es vor, als risse der Schleier um ihre Augen auseinander; eine Glut quoll hervor und ringelte sich heiß um die Lider.

      – Ihr Zimmer ist ja meine Heimat.

      Mikita wurde unruhig; er schüttelte besonders kräftig Falks Hand, und sie gingen.

      – Die haben Eile! Iltis zwinkerte lüstern mit den Augen.

      Falk wurde plötzlich sehr gereizt. Er hatte Mühe, ein Wort zurückzuhalten, das Iltis sicher nicht geschmeichelt hätte.

      Er setzte sich aber wieder hin und sah sich um.

      Es wurde Alles so öde um ihn, und er fühlte sich so einsam ...

      Er war auch sehr unzufrieden mit sich selbst. Er kam sich ein wenig lächerlich und knabenhaft vor. Er wollte doch wirklich krampfhaft einen Eindruck auf Isa machen. Zweifellos ... Und alles, was er gesagt hatte, kam ihm so dumm vor ... So viele große und gespreizte Worte ... Er hätte das Alles doch sicher viel feiner sagen können ... Aber er zitterte ja ordentlich, als er sprach.

      Er wurde im Ernste wütend.

      Dieser dumme Säugling, wie scheußlich er an dem Glase lutschte ... Widerlich! Eigentlich wurde ihm plötzlich alles widerlich in der berühmten »Nachtigall« – Alles.

      Nein! Wozu sollte er noch länger sitzen? Er mußte frische Luft haben. Er fühlte einen Drang zu gehen und zu gehen, endlos, alle Straßen entlang ... Sich etwas klar machen. Es war da drin Etwas, das aufgelöst werden mußte, Etwas ... ja etwas Neues, Fremdes ...

      Er zahlte und ging.

      IV.

       Inhaltsverzeichnis

      Als Falk auf die Straße kam, wurde er sehr unruhig.

      Er fing an schnell zu gehen. Vielleicht geht es nach einer physischen Ermattung vorüber.

      Und es war, als peitsche ihn etwas immer schneller vorwärts, daß er fast zu laufen begann.

      Es wurde aber noch schlimmer.

      Er fühlte deutlich, wie sich eine Welle von Unruhe tiefer und tiefer in seinen Körper hineinringelte; er fühlte Etwas, das schneller und schneller in ihm kreiste und in jede Pore, jeden Nerv sich mit wachsender Wut drängte.

      Was war das?

      Er stutzte plötzlich.

      Kam es wieder? Gefahr?!

      Er blieb stehen.

      Es mußte doch wohl ein tierischer Urinstinkt in ihm sein, die uralte Warnstimme einer fremden Seele.

      Er bekam einen heftigen Ruck.

      Fliehen, ja – fliehen, schrie es in ihm. Und er sah sich plötzlich als vierzehnjährigen Jungen hoch oben im vierten Stock. Zwei Fenster auf den Hof hinaus. Unten ein ewiges Klopfen der Böttchergesellen.

      Er mußte ein großes Pensum auswendig lernen, sonst erwartete ihn eine strenge Strafe.

      Und er saß und lernte, lernte, daß ihm die heißen Tränen wie Erbsen die Backen herunterrollten.

      Aber sein Gehirn war dumpf. Kaum hatte er einen Vers auswendig gelernt, vergaß er den andern.

      Und draußen, ja draußen vor den Festungsmauern spielten seine Kameraden, und Jahns war selbstverständlich dabei, Jahns, den er so liebte.

      Und der Tag ging zu Ende. Er stürzte sich auf die Knie, eine namenlose Angst hatte ihn befallen, er flehte den heiligen Geist um die Gnade der Erleuchtung an.

      Aber nichts, nichts konnte er behalten.

      Ihm schwindelte vor Angst. Er mußte. Er mußte. Und er schlug mit den Fäusten auf seinen Kopf; er wiederholte jedes Wort hundertmal; aber es half nichts.

      Und er wußte keinen Ausweg. Da plötzlich, ganz urplötzlich: nun wußte ers. Er mußte fliehen, weit, weit weg zu der Mutter ...

      Er lief in die Nacht hinaus, lief, keuchte, fiel. Jedes Geräusch kroch lähmend durch seine Glieder, jedes Aufleuchten entzündete ein Meer von Licht in seinen Augen, dann raffte er sich auf und lief wieder, ununterbrochen, bis er dann atemlos im Walde zusammenbrach.

      Und jetzt hörte er sie wieder, die starke gebieterische Stimme: Flieh! Flieh!

      Er sann nach und lächelte.

      Das Tier ist aufgewacht. Als ob ein bewußter Mensch keine andren Abwehrmittel hätte, als das feige Fliehen? Warum sollte er denn so urplötzlich fliehen?

      Da kroch ein Verlangen in ihm hoch, wie eine Dampfwolke breitete es sich über sein Gehirn und erstickte alle seine Grübelei. Er fühlte ihre Hand auf seinen Lippen. Er fühlte ihre körperliche Wärme sich in sein Blut hineinsaugen, er fühlte den Ton ihrer Stimme seine Nerven entlangrieseln ...

      Er reckte sich jäh empor.

      Nein! schrie er laut.

      Dieser wunderbare Mikita! Wie er sie lieben mußte ... Er sah Mikita, wie er bebend, lauernd sie beide ununterbrochen beobachtete.

      War er ihrer Liebe nicht sicher?

      Da plötzlich:

      Sie?! Konnte sie eigentlich Mikita lieben? Nein, lächerlich! Ich meine nur, ob ein so organisiertes Wesen ... nein, nein ... nur, ob dies Weib Mikitas Bewegungen angenehm empfinden könnte ... Hm, Mikita war doch ein wenig komisch heute mit der hastenden Sprache und den zappligen ...

      Nein! Nein! Falk schämte sich.

      Selbstverständlich muß man Mikita lieben. Ja, außer Frage ... sie liebte ihn, sie mußte ihn lieben.

      Vielleicht nur seine Kunst?

      Wirklich? Oder kam es ihm nur so vor? Aber sah er nicht deutlich so etwas von leisem Unmut über ihr Gesicht gleiten, als Mikita über sein Liebesglück sprach? Und wollte sie es nicht wieder gut machen, als sie ihm dann so unmotiviert die Hand streichelte?

      Mit einem Ruck wurde er wütend. Hatte er sich jetzt nicht darauf ertappt, daß ihm Mikitas Liebe unangenehm wurde? Fühlte er nicht deutlich den Wunsch, daß seine Bedenken zur Wahrheit würden? Nein, das war abscheulich, das war häßlich ...

      Häßlich?