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Na also! Mikita malte weiter.

      Und sie hungerten. Gräßlich!

      Falk schüttelte sich.

      Halb verrückt war er geworden. – Sonderbar, daß er es nicht ganz wurde. Wie er einmal ganz kraftlos auf der Straße stehen blieb und beinahe überfahren wurde.

      Schließlich hatten sie nur eine Hose. Mikita mußte in Unterhosen malen, wenn Falk ins Kolleg ging.

      Nun lachte Falk laut auf.

      Er erinnerte sich, wie die Mutter den Gutsinspektor mit dem Gelde zu ihm schickte. Sie hatte den Wald verkauft. Dann gingen sie alle drei in eine Kneipe und verblieben da vom frühen Morgen bis in die späte Nacht hinein. Der Inspektor kroch auf allen Vieren die Treppe hinauf. Mikita zog ihn beständig an einem Bein herunter, bis der Inspektor ihm in seiner Entrüstung einen starken Schlag mit dem Absatz grade auf die Nasenwurzel versetzte.

      O Gott! Wie der Inspektor sich übergeben wollte und den Kopf durch die Scheibe hindurchsteckte, weil er das Fenster nicht aufmachen konnte ...

      Und nun dachte Falk wieder an seine Hungerperiode und an die Mutter, die doch immer geholfen hatte.

      Ihn überkam eine weiche Zärtlichkeit.

      Ja, ja, die Mutter, die Mutter ...

      Na, Mikita wird schön gehungert haben in Paris.

      Die armen Bahnbrecher!

      Er lachte höhnisch.

      Aber nein! Zum Trotz! Nicht eine Linie nachgeben, lieber verhungern.

      Er dachte nach.

      Was war es eigentlich? Was hielt ihn aufrecht trotz all der Beschimpfungen, all der Mißerfolge?

      Er legte sich wieder hin.

      Die große, die herrliche Kunst, die eine neue Welt aufsucht, eine Welt, die hinter der Erscheinung, hinter dem Bewußt-Gedachten, hinter jeder Äußerungsform liegt – eine Welt, so unfaßbar fein, daß die Zusammenhänge sich verwischen und ineinanderfließen – eine Welt in einem Blick, einer Geste ...

      Herrlich!

      Und die neuen Symbole ... Ja, ja – das neue Wort, die neue Farbe, der neue Stimmungston ...

      – Alles dagewesen ...

      – Nein, nein, verehrter Herr, nicht Alles. Nicht der Schmerz, der über dem Schmerze steht, nicht die Freude, die zum Schmerze wird, nicht der ganze neue Vorstellungsinhalt, in dem alle Sinne ineinandermünden ... ja, ja ... all die tausend Empfindungswerte, die zwei, drei, höchstens zehn brave Zeitgenossen nachzuempfinden verstehen ... Das alles nicht dagewesen, sonst würde es auch schon die Menge verstehen, die hundert Jahre nötig hat, um einen Gedankenbrocken durchzukauen.

      Nun, es war doch am Ende sehr gut, daß man nicht von jedem Preßbuben verstanden wurde, sonst müßte man sich vor sich selbst schämen ...

      Er schaute der Rauchwelle nach, die sich in einem feinen Streifen von der Zigarette loslöste und sich in seltsamer Windung nach oben hinaufwand.

      So sah er einmal einen Bach gemalt auf einem chinesischen Bilde.

      Plötzlich kam ihm vor, als höre er Mikitas Stimme.

      Ja, er erinnerte sich, nie wieder hatte er diese unsagbar mystische Stimmung erlebt. Er war damals krank, konnte nicht die Augen aufmachen, das ganze Gesicht war aufgeschwollen.

      Mikita pflegte ihn; oh, er verstand mit ihm umzugehen! Tag und Nacht wachte er bei ihm. Und wenn Falk nicht einschlafen konnte, dann las er ihm vor. Ja, er las die Florentinischen Nächte von Heine.

      Und Falk hörte ein monotones, weiches Singen – ja, Singen ... halb wie ein Gebet, das immer mehr verebbte, wie die letzten Wellen am Seestrand, wenn sich die See glättet – immer mehr, immer weicher ...

      Er schlief ein.

      II.

       Inhaltsverzeichnis

      – Mikita, mein teurer Bruder!

      – Ja, ich bin es.

      Beide Freunde umarmten sich herzlich.

      Falk war sehr aufgeregt.

      Er lief hin und her, kramte alle möglichen Sachen heraus und fragte unaufhörlich:

      – Sag – sag, was willst Du haben? Bier? Schnaps ... Da, wart mal – richtig! Ich habe hier einen herrlichen Tokayer – von der Mutter bekommen – weißt Du, noch von Vaters Zeiten her. Er hat sich auf diese Dinge verstanden.

      – So laß doch endlich. Setz Dich doch hin. Laß Dich sehen.

      Endlich beruhigte sich Falk.

      Sie sahen sich glücklich in die Augen und stießen mit den Gläsern an.

      – Großartig! Aber Mensch, siehst Du schlecht aus. Du hast wohl viel geschrieben ... Potz Tausend! Dein letztes Buch – weißt Du, ich kam in eine solche Aufregung ... nein, war das merkwürdig! Ich kaufe mir das Buch, fange an auf der Straße zu lesen, bleibe stehen, das Buch packt mich derart, daß ich es auf der Straße auslesen muß und halb verrückt werde. Du bist doch ein ganzer Kerl!

      Falk strahlte.

      – Das macht mir große, große Freude. Du hast ja doch immer diese furchtbaren Ansprüche an mich gestellt. Also gefiel es Dir wirklich?

      – Na!

      Mikita machte mit der Hand einen weiten Kreis in der Luft.

      Falk lachte.

      – Da hast Du Dir eine neue Bewegung angewöhnt.

      – Nun, weißt Du, sprechen kann man doch wirklich nicht mehr. Alle diese unerhört feinen Dinge, die lassen sich nur mit Gesten ausdrücken.

      – Ja, Du hast Recht.

      – Das ist nämlich die große Linie, verstehst Du, der große Zug, der heiße Unterstrom, das verstehen wenige. So bin ich in Paris zu Einem von den Großen gegangen, weißt Du, dem Oberhaupt der Naturalisten, oder wie sie da heißen ... Er verdient! Na ja, der Pöbel fängt jetzt an, das cinquième élément, das Napoleon in Polen entdeckte – la boue und ein paar Kartoffelstengel darauf zu kaufen. Früher waren es die Pfefferkuchenpuppen des Hoftapeziermeisters Seiner Apostolischen Majestät – Raffael hieß er, nicht wahr? Nun, jetzt sind es die Kartoffelmaler ...

      Also ich frage das Oberhaupt, wozu man eigentlich das male, was in der Natur tausendmal besser sei und schließlich doch keine Bedeutung habe.

      – Ach was! Bedeutung! Nämlich die Natur, verstehen Sie ...

      Ja, ich verstand.

      – Die Natur ist Bedeutung.

      Aber doch nicht die Kartoffel?

      Nun kam der Kartoffelmaler in eine große Begeisterung.

      – Ja, grade die Kartoffel, das ist Natur, alles übrige Quatsch! Phantasie? Phantasie? Wissen Sie, Phantasie – lächerlich, Notbehelf!

      Beide Freunde lachten herzlich.

      Mikita dachte nach.

      – Na aber jetzt sollen sie sehen. Herrgott, mein Kopf birst vor lauter Gedanken. Hätt ich tausend Hände, tausend Linien würde ich Dir vorfuchteln, dann würdest Du mich verstehen. Weißt Du, das Sprechen verlernt man nämlich. Ich war bei einem Bildhauer – na weißt Du, Du wirst Skizzen von ihm bei mir sehen ... Ich lag auf dem Bauch vor diesem Menschen. Ich sagte ihm: das ist herrlich! Was? Ich beschrieb ihm die Sache. Ach so, Sie meinen dies! Und nun beschrieb er in der Luft eine unerhört großartige Linie. Der hat es verstanden ... Aber Herrgott, ich rede, daß sich mir der Mund verdreht – wie geht es Dir? Nicht besonders, was?

      – Nein, nicht besonders. Er habe viel Qual in der letzten Zeit ausgestanden.