Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stanislaw Przybyszewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027205639
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unterbrach ihn heftig.

      – Ja, eben, grade dies. Siehst Du, der Bildhauer, der Prachtkerl – weißt Du, was er gesagt hat? Prachtvoll hat er es gesagt:

      Sehen Sie, hier sind die fünf Finger, die kann man sehen und betasten – und nun spreizte er die Finger auseinander – aber hier, hier, das zwischen den Fingern, das kann man nicht sehen, kann man nicht betasten, und doch ist das die Hauptsache.

      – Ja, ja, das ist die Hauptsache, aber lassen wir die Kunst.

      – Du bist wohl ein wenig blasiert?

      – Das nicht, aber zu Zeiten werde es doch ein wenig langweilig. Alles Leben nicht unmittelbar genießen zu können, sondern nur immer darauf hin zu leben, wie werde man es gestalten, wie werde man das verwerten können – und wozu eigentlich? Ihm werde schon ganz übel, wenn er daran denke, daß er kaum – fähig sei, Schmerz oder Freude nur als solche zu empfinden ...

      – Du mußt einmal lieben.

      – Mikita, Du? Das sagst Du?

      – Ja, ja. Lieben. Das ist etwas, was nicht ideell wird, das läßt sich nicht mittelbar empfinden. Gibt es Glück, so könnte man in den Himmel springen, ohne zu bedenken, daß man sich dabei die Beine verrenken kann; gibt es Schmerz, so frißt es an Einem so reell, na weißt Du, das kann man nicht wegschreiben, das kann man nicht unter Gesichtspunkte ordnen ...

      Mikita lächelte. – Ich bin nämlich verlobt.

      – Du?! Verlobt?!

      – Ja, und ich bin unerhört glücklich.

      Falk konnte aus dem Erstaunen nicht herauskommen.

      – Nun, das Wohl Deiner Verlobten!

      Sie tranken die Flasche leer.

      – Du, Mikita, wir bleiben doch den ganzen Tag zusammen.

      – Freilich, selbstverständlich.

      – Weißt Du, ich habe ein wunderbares Restaurant entdeckt ...

      – Nein, Bruder, wir gehen zu meinem Fräulein.

      – Ist sie denn hier?

      – Ja, sie ist hier. In vier Wochen sollen wir uns heiraten. Zuerst nur noch eine Ausstellung in München, damit ich die nötigen Gelder habe, eine würdige Hochzeit zu feiern, ja, ein Fest, wie es noch kein Maleratelier gesehen hat.

      Falk sträubte sich.

      – Er habe sich so gefreut, heute, grade heute mit ihm allein zu sein. Erinnere er sich nicht mehr an die herrlichen heures de confidence mit den endlosen Disputen ...

      Aber Mikita bestand hartnäckig auf seinem Vorschlag. Isa sei maßlos auf ihn neugierig. Er habe heilig versprochen, ihr das Wundertier von Falk in natura vorzuführen. – Nein, es ginge nicht mehr, sie mußten zu ihr gehen.

      Falk mußte sich fügen.

      Unterwegs sprach Mikita beständig von seinem großen Glück und gestikulierte lebhaft.

      – Ja, ja, das ist merkwürdig, wie ein solches Gefühl Einen aufwühlen kann. Das Unterste kommt zu Oberst, es ist als ob sich ungeahnte Tiefen aufschließen. Zehn Welten kommen hinein. Und dann, was sich so alles an Fremdem, Unbekanntem regt ... Empfindungen, so unfaßbar, daß sie kaum ein Tausendstel Sekunde im Gehirne aufblitzen. Und doch steht man den ganzen Tag unter dem Einfluß dieses Dinges. Und wie die Natur Einem erscheint! Weißt Du, in der ersten Zeit, als sie sich sträubte – ich lag wie ein Hund vor ihrer Tür, mitten im Winter, in der fabelhaftesten Kälte hab ich die ganze Nacht vor ihrem Zimmer geschlafen – und ich zwang sie. Aber gelitten hab ich! Hast Du einen schreienden Himmel gesehen? Nein! Also weißt Du, ich habe ihn schreien gesehen. Es war, als öffne sich der Himmel zu tausend Mundhöhlen und schrie nun Farbe in die Welt hinaus. Der ganze Himmel eine unendliche Reihe von Streifen; dunkelrot, so ins Schwarze hinüber. Geronnenes Blut ... nein! eine Kotlache, in der sich die Abendröte spiegelt, und dann ein schmutziges Gelb! Häßlich, ekelhaft, aber großartig ... Gott ja, Mensch! Dann das Glück! Ich reckte mich und reckte – hinauf, daß ich an der Sonne meine Zigarette anzünden konnte!

      Falk lachte auf.

      Mikita, der ihm kaum an die Schultern reichte! Der wunderbare Kerl ...

      – Nicht wahr? Komische Vorstellung. Ich an die Sonne reichen! Weißt Du, als ich in Paris war, sahen sich die Franzosen nach mir um. Ich hatte nämlich einen Freund, und neben ihm sah ich wie ein Riese aus.

      Sie lachten beide.

      Mikita drückte ihm warm die Hand.

      – Weißt Du, Erik, ich weiß eigentlich nicht, wen ich mehr liebe ... Siehst Du, Liebe zum Weibe, das ist doch etwas Andres, man verlangt etwas, und schließlich, nicht wahr? Man liebt doch auf etwas hin ... Und nun siehst Du die Freundschaft –ja, Du Erik das ist das Unfaßbare, das Feine, das zwischen den Fingern ... Und nun, wenn man so drei Monate ununterbrochen mit einem Weibe zusammen ist ...

      Falk unterbrach ihn.

      – Du kannst Dir nicht vorstellen, wie ich mich manchmal nach Dir gesehnt habe. Hier unter diesem Schreibergesindel gibt es auch nicht einen Menschen ...

      – Kann mirs denken. Nun, jetzt wollen wir die Zeit ausnutzen.

      – Ja, wir wollen immer zusammen sein.

      Sie kamen an.

      – Du Erik, sie ist furchtbar gespannt auf Dich. Mach Dich nur interessant, sonst blamierst Du mich. Sehr interessant, das verstehst Du gut, Du Teufelskerl!

      Sie traten ein.

      Falk überkam ein Gefühl, als hätte er eine große, glatte Spiegelfläche um sich.

      Dann wurde es ihm, als müßte er sich an etwas erinnern, was er schon längst einmal gesehen oder gehört hatte.

      – Erik Falk, stellte Mikita vor.

      Sie sah ihn an, wurde sehr verlegen, und streckte ihm dann herzlich die Hand entgegen:

      – Sie sind es.

      Falk wurde lebendig.

      – Ja, ich bin es. Ich sehe doch nicht so merkwürdig aus. Sie mußten wohl nach Mikitas Beschreibung ein seltsames Tier erwartet haben?

      Sie lächelte.

      Falk bemerkte Etwas, wie einen rätselhaften Schleier, durch den dies seltsame Lächeln durchschimmerte.

      – Ich war ganz eifersüchtig auf Sie geworden. Mikita hat die ganze Zeit nur über Sie gesprochen. Er ist ja wohl auch nur Ihretwegen nach Berlin gekommen.

      Sonderbar! Derselbe Schleier in den Augen. Ein Schimmer wie von einem intensiven Lichte, das sich erst durch schwere Nebel Bahn brechen mußte. Was war es?

      Sie setzten sich hin.

      Falk sah sie an. Sie ihn auch. Beide lächelten verlegen.

      – Mikita hat erzählt, daß Sie immer Cognac haben müssen. Ich habe eine ganze Flasche gekauft, aber er hat sie schon zur Hälfte ausgetrunken ... Wie viel darf ich Ihnen eingießen?

      – Gott, genug!

      – Ja, ich weiß nicht ... Sie sind doch aus Rußland her, es soll dort Sitte sein, Cognac aus Litergläsern zu trinken.

      – Sie glaubt nämlich, erklärte Mikita, daß in Rußland Bären ins Haus kommen, um die Überreste aus den Töpfen zu schlecken.

      Sie lachten alle.

      Das Gespräch ging hin und her. Mikita sprach fortwährend und fuchtelte dabei mit den Händen.

      – Siehst Du, Erik, wir lieben uns nämlich bis zur Verrücktheit ...

      Falk bemerkte bei ihr ein verlegenes Lächeln, als glitte ganz leise ein Schamgefühl über ihr Gesicht.

      – Du darfst Herrn Falk damit nicht langweilen.

      Ein feiner Streifen Unmut huschte über Mikitas Gesicht.

      Sie