Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stanislaw Przybyszewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027205639
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tierische Instinkte in ihm wach wurden.

      Er trat in eine Baumallee. Er war ganz verwundert. So herrliche Bäume hatte er noch nie gesehen. Er betrachtete sie aufmerksam. Er sah die mächtigen Äste wie knorrige Speichen um den Stamm herumsitzen, seltsam verzweigt, zu Netzen geformt ... Und er sah das Ästegeäder sich gegen den Himmel abzeichnen, ein riesiges Venengeflecht, das den Himmel umspannte, die heilige Gebärmutter des Lichtes und des Samen-Segens.

      Wie schön das war! Und der Märzwind so lau ...

      Er mußte sie vergessen. Ja, er mußte es.

      Und wieder überschrie all sein Denken und Grübeln dies uralte: Flieh! Flieh! ...

      Nein, er brauchte nicht zu fliehen. Wovor?

      Aber die Unruhe stieg in ihm höher und höher. Er stemmte sich gegen die wachsende Qual, die sein Herz stocken machte.

      Wer war dies Weib? Was war ihm?

      Er hatte doch niemals etwas Ähnliches empfunden? Nein! Niemals!

      Er prüfte sich und prüfte, aber nein! Niemals ...

      War es Liebe?

      Er fühlte Angst.

      Wie kam es, daß in einer Stunde ein Weib zu ihm in Beziehung trat, in sein Gehirn übertrat als eine Art Fremdkörper, um den sich nun sein Denken, sein ganzes Fühlen sammelte, in den sich sein Blut goß ...

      Nein! Er sollte, er durfte nicht mehr daran denken.

      Du sollst nicht deines Nächsten Weib begehren! Nein! Das wollte er sicherlich nicht. Sie war ja Mikitas ganzes Glück. Gott, wie der Mensch strahlte, als er von seiner Liebe sprach ...

      Es war doch herrlich, daß Mikita dies große Glück finden sollte! Wie das seine künstlerische Potenz steigern würde, für und durch dies Weib schaffen zu können.

      Aber wieder fühlte er ihre schmale, heiße Hand an seinen Lippen. Sie wehrte es ihm nicht. Er sah ihr verschleiertes Lächeln und das aufquellende Glühen und Leuchten um ihre Augen ... Und er fühlte mit unendlichem Behagen eine zitternde Wärme in seinem Innern; seine Augen brannten. Es wurde ihm so heiß und so beklommen.

      Einen Menschen möchte er jetzt um sich haben, zu dem er sehr, sehr zärtlich sein könnte.

      Janina!

      Wie ein Blitz schoß ihm der Gedanke durch sein Gehirn.

      Sie war doch so gut zu ihm. Sie liebte ihn so. Es ist doch, weiß Gott, herrlich, so geliebt zu werden.

      Er hatte sie doch auch sehr gerne. Mehr als er sich eigentlich eingestehen wollte.

      Er sah sie deutlich. Ja, vor Jahren, als noch »Brand« in seinem Kopfe herumspukte. Er hatte sie geküßt und sie wurde so glücklich. Er ging weg, beobachtete sie aber heimlich. Er sah sie heiß und begehrlich suchen. Dann sah er, wie sie ein kleines Mädchen von dem Nachbarn in ihre Arme nahm und heiß an sich drückte.

      Ihre Liebe kam ihm plötzlich so schön, so geheimnisvoll schön vor. Sie gab ihm Alles, sie dachte Nichts, sie hatte keine Rücksichten, sie war ganz, ganz sein ...

      Merkwürdig, daß er ganz in ihrer Nähe war. Was hatte ihn hierher geführt?

      Ja, nur noch eine Straße ...

      Der Nachtwächter machte ihm das Tor auf. Er flog die Treppen hinauf und klopfte leise an ihre Tür.

      – Erik, Du?!

      Sie zitterte heftig und stammelte vor Freude.

      – Leise ... ja, ich ... ich hatte Sehnsucht nach Dir ... er tastete sich in ihr Zimmer hinein.

      Sie hängte sich leidenschaftlich an seinen Hals.

      Wie lieb ihm jetzt diese Leidenschaft war.

      – Ja, ich hatte Sehnsucht nach Dir.

      Und er küßte sie und streichelte und sprach zu ihr, daß sie wirr wurde vor Glück.

      – Dies Glück, dies Glück ... stammelte sie unaufhörlich.

      Er preßte sie enger und enger an sich und horchte in sich hinein und schrie in sein Gewissen: Mikita! Mikita!

      Ja, jetzt vergessen – Alles vergessen um Mikitas Willen ...

      – Ja, Janina, ich bin bei Dir; ich bleibe Dir ...

      V.

       Inhaltsverzeichnis

      Er durfte sie nicht mehr sehen.

      Das wurde ihm nun klar.

      Nein! Nicht mehr.

      Angst, schmerzhafte Angst kam in ihm auf.

      Wie wird das werden? Wie wird er dies zwingende Verlangen ersticken können? In einer Stunde hatte das Weib diese tiefen Wurzeln in ihn geschlagen. Ihr Faserwerk umstrickte seine Seele. Enger und enger zogen sich die Maschen dieses Wurzelnetzes zusammen. Er fühlte sich deutlich in zwei Menschen zerfallen, und während der Eine kühl und klar den Willen zu beeinflussen suchte, warf ihm der Andre plötzlich Gedanken in sein Gehirn, die den bewußten Menschen zerstörten und bohrte sich tiefer in ihn hinein mit einer Sehnsucht und einem Verlangen, daß er rastlos hin- und hergeworfen wurde und keine Ruhe finden konnte.

      Was war denn geschehen?

      Ohé les psychologues! Erklärt mir doch mit euren ganzen psychophysischen Grundgesetzen, was in meiner Seele vor sich gegangen ist? Bitte, erklärt mir das!

      Er setzte sich plötzlich auf.

      Was fehlte nur Mikita?

      Ahnte er, fühlte er es kommen? Aber es war ja nichts geschehen ... Warum war er nur heute so einsilbig?

      Er muß sie unerhört lieben. Es zuckte Leiden um seinen Mund.

      Ja, Mikita fühlt auf Distanzen; ja, Mikita sieht das Gras wachsen ... Der Ton, mit dem er ihn bat, Isa heute zu Iltis zu begleiten. Er habe so viel zu tun, und Isa habe so große Lust darauf.

      Warum führe er sie nicht selbst?

      Ja, er werde vielleicht später nachkommen ... Aber konnte er denn nicht seine Geschäfte bis morgen vertagen?

      Falk stand auf.

      Nein! Er wird sie nicht begleiten. Er darf sie nicht mehr sehen. Jetzt könnte er sie noch vielleicht vergessen. Sie könnte jetzt noch ein herrliches Erlebnis werden, ja, ein Erlebnis, das er literarisch verwerten könnte.

      Literarisch! Falk lachte höhnend.

      Er wird zu Hause bleiben und literarisch tätig sein. He, he ...

      Er fühlte Ekel.

      Dies dumme blödsinnige Schreiben! Warum ist er nicht genug Aristokrat, um sein persönlichstes, sein feinstes und verschämtestes Empfinden nicht zu prostituieren? Warum wirft er das Alles vor die Menge?

      Die Herren, die auf den Menschheitshöhen wandeln, mitsamt den Ferschten. Ja, den Ferschten, wie sie in den »Fliegenden Blättern« zu finden sind, halb Pudel, halb Affe, mit aufgekrempelten Hosen ...

      Ekelhaft!

      Nein! Jetzt wird er sich entschließen. Ja! Nun ist es bestimmt. Er wird zu Hause bleiben.

      Der feste Entschluß tat ihm wohl. Er setzte sich vor den Schreibtisch und fing an zu lesen.

      Er las eine Seite und verstand Nichts.

      Dann sah er auf. Er mußte unwillkürlich an einen Knecht in einem Gogelschen Roman denken, dem das rein mechanische Lesen Vergnügen macht, ohne daß er auch nur ein Wort versteht.

      Er raffte sich auf und las weiter.

      Was war nur in ihren Bewegungen?

      Das war keine Bewegung mehr, das war Sprache, das war der vollendeteste Ausdruck seines