Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stanislaw Przybyszewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027205639
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war, gefiel mir eine Idee von Plato ungemein. Er hält nämlich das Leben hier auf Erden nur für ein Abbild eines Lebens, das wir schon früher einmal als Ideen durchlebt haben. Unser ganzes Schauen ist nur eine Erinnerung, eine Anamnese dessen, was wir schon früher, bevor wir geboren wurden, geschaut haben.

      Sehen Sie – damals war mir die Idee lieb wegen ihres poetischen Gehaltes, und jetzt denk ich beständig an sie, weil sie sich an mir selbst realisiert hat.

      Ich erzähle Ihnen diese Tatsache – rein objektiv, wie ich gestern über die Unverletzlichkeit der Fakire erzählte. Mißverstehen Sie mich nicht ... Ich bin Ihnen eigentlich ein wildfremder Mensch ...

      – Nein, Sie sind mir nicht fremd ...

      – Bin ich das nicht? Wirklich nicht? Sie wissen nicht, wie mich das freut. Ihnen, Ihnen allein möcht ich nicht fremd sein. Sehen Sie, kein Mensch weiß, wie ich bin; sie hassen mich Alle, weil sie nicht wissen, wo ich zu fassen bin; sie sind so unsicher mir gegenüber ... nur Ihnen möcht ich meine ganze Seele öffnen ...

      Er stockte. Ob er nicht zu weit gegangen war? Sie erwiderte nichts, sie ließ ihn sprechen.

      – Ja, aber was ich sagen wollte ... ja, gestern, gestern ... seltsam, daß es erst gestern war ... Als ich Sie gestern sah, kannte ich Sie schon längst. Ich muß Sie irgendwo gesehen haben. Ich habe Sie selbstverständlich niemals gesehen, aber Sie waren mir so bekannt ... Heute kenn ich Sie schon hundert Jahre, deswegen sag ich Ihnen Alles; ich muß Ihnen Alles sagen ...

      Ja, und dann ... ich kann mich sonst sehr beherrschen, aber gestern in der Droschke – da übermannte es mich; ich mußte Ihnen die Hand küssen, und ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mir Ihre Hand nicht entzogen haben ...

      Ich verstehe es nicht ... ich sehe sonst alle Menschen draußen, ja irgendwo weit draußen; mein Inneres ist jungfräulich, kein Mensch ist mir nahe gekommen, aber Sie fühl ich in mir, jede Ihrer Bewegungen fühl ich an meinen Muskeln niederfließen – und dann seh ich die Anderen wie einen Feuerring um mich tanzen ...

      Isa war wie gebannt. Sie durfte das nicht hören. Sie fühlte Mikitas Augen auf sich ruhen. Aber diese heiße, leidenschaftliche Sprache ... so hatte noch kein Mensch zu ihr gesprochen ...

      Falk überkam ein Taumel. Es war ihm gleichgültig, was er jetzt sprach. Er suchte sich auch nicht mehr zu beherrschen. Er mußte zu Ende reden. Es war ihm, als wäre Etwas aufgebrochen in seiner Seele, und nun stürzte die Glut unaufhaltsam heraus.

      – Ich verlange Nichts von Ihnen, ich weiß, daß ich es nicht verlangen darf. Sie lieben Mikita ...

      – Ja, sagte sie hart.

      – Ja, ja, ja, ich weiß es; ich weiß auch, daß Alles, was ich Ihnen sage, dumm ist, ganz dumm, lächerlich; aber ich muß es sagen. Das ist das größte Ereignis in meinem Leben. Ich liebte nie; ich wußte nicht, was Liebe ist, ich fand sie lächerlich; ein krankhaftes Gefühl, das die Menschheit überwinden müsse. Und nun mit einem Ruck war es geboren ... In einem Moment: als ich Sie sah in dem roten Licht, als Sie mit dieser rätselhaften, verschleierten Stimme zu mir sagten: Sie sind es ...

      Und Ihre Stimme war mir so bekannt. Ich wußte, daß Sie so, gerade so sprechen mußten, ich erwartete es. Ich wußte auch, daß das Weib, das ich lieben könnte, nur so, nur so wie Sie aussehen müsse ... Es hat sich Alles in meiner Seele ausgelöst, Alles, was mir bis jetzt unbekannt war, das Tiefste – Intimste ...

      – Nein, Herr Falk, sprechen Sie nicht weiter; ich bitte Sie, tun Sie es nicht. Das schmerzt mich, das tut mir so weh, daß Sie durch mich leiden sollen. Ich kann Ihnen ja Nichts, Nichts geben ...

      – Ich weiß es, Fräulein Isa, ich weiß es nur zu gut. Ich verlange nichts. Ich will Ihnen nur das sagen ...

      – Sie wissen doch, Herr Falk, daß ich Mikita liebe ...

      – Und wenn Sie tausend Mikitas liebten, müßt ich Ihnen das sagen. Es ist ein Zwang, ein Muß ...

      Plötzlich schwieg er.

      Was wollte er nur?

      Er lachte auf.

      – Warum lachen Sie?

      – Nein, nein, Fräulein Isa, ich bin zur Besinnung gekommen. Er wurde ernst und traurig.

      Er nahm ihre Hand und küßte sie innig.

      Er fühlte nur das heiße Fieber dieser langen, schmalen Hand.

      – Nehmen Sies mir nicht übel. Ich habe mich vergessen. Aber Sie müssen mich verstehen. Ich habe in meinem ganzen Leben nicht geliebt. Und jetzt strömt dies Neue, Unbekannte mit solcher Wucht auf mich ein, daß es mich völlig übermannt. Vergessen Sie es nur, was ich Ihnen sagte.

      Er lächelte traurig.

      – Ich werde nie mehr so zu Ihnen sprechen. Ich werde Sie immer lieben, weil ich es muß, weil Sie meine Seele sind, weil Sie das Tiefste und Heiligste in mir sind, weil Sie das in mir sind, wodurch Ich grade Ich bin und kein Andrer.

      Er küßte ihr wieder die Hand.

      – Wir bleiben Freunde – nicht wahr? Und Sie werden das schöne Bewußtsein haben, daß Sie mein herrlichstes, mein mächtigstes Erlebnis sind, mein ...

      Seine Stimme brach; er küßte ihr nur die Hand.

      Sie schwieg und preßte heftig seine Hand.

      Falk beruhigte sich.

      – Sie nehmen mirs nicht übel?

      – Nein.

      – Sie bleiben mir Freundin?

      – Ja.

      Nun schwiegen sie den Rest des Weges.

      Isas Wohnung gegenüber war ein Restaurant, das noch offen stand.

      – Wir sind jetzt Kameraden, Fräulein Isa; darf ich Sie bitten, mit mir ein Glas Wein zu trinken. Wir wollen die Kameradschaft besiegeln.

      Isa zögerte.

      – Sie werden mir dadurch ein großes Glück bereiten. Ich mochte mit Ihnen so unendlich gerne so en bon camarade sprechen.

      Sie gingen hinein.

      Falk bestellte Burgunder.

      Sie waren allein. Das Zimmer war durch eine Portiere abgegrenzt.

      – Ich danke Ihnen, Fräulein Isa, ich habe nie einen Menschen gehabt ...

      Isa hatte Mikita auf der Zunge, aber sie schwieg. Es war peinlich, seinen Namen auszusprechen.

      Es wurde Wein gebracht.

      – Sie rauchen?

      – Ja.

      Isa saß zurückgelehnt auf dem Sofa, rauchte die Zigarette und blies Ringe in die Luft.

      – Das Wohl unserer Kameradschaft. Er sah sie mit so herzlicher Innigkeit an.

      – Ich bin so glücklich, Fräulein Isa, Sie sind so gut zu mir, und dann – nicht wahr? – wir haben nichts voneinander zu verlangen; wir sind so frei ...

      Er sah wieder dies heiße Glühen um ihre Augen ... Nein! Er wollte es nicht sehen. Er trank sein Glas hastig aus, füllte es wieder und starrte auf die rote Weinfläche. Er dachte an den Meniskus; er mußte wohl konvex sein ...

      – Ja, ja, die Seele ist ein seltsames Rätsel ...

      Schweigen.

      – Kennen sie Nietzsche? Er sah auf.

      – Ja.

      – Und diese eine Stelle aus Zarathustra: Die Nacht ist tiefer, als der Tag gedacht ...

      Sie nickte.

      – Hm; nicht wahr? Er lächelte ihr zu. Die Seele ist auch tiefer, als sie sich in dem blödsinnigen Bewußtsein widerspiegelt.

      Sie sahen sich an. Ihre Augen vergruben sich ineinander.

      Wieder sah Falk ins Glas.

      –