Impulsiv legte er eine Hand auf die ihre. »Willst du sie mir erzählen?«
Gabriela registrierte sehr wohl, daß er sie plötzlich duzte, aber irgendwie schien es ihr ganz normal zu sein – sogar mehr als das. Sie hatte das Gefühl, Franz schon ewig zu kennen. Weshalb sollte man sich also weiterhin mit diesem distanzierten Gesieze herumquälen?
Und dann begann sie zu erzählen – von ihrer ersten großen Liebe, von all den Gefühlen, die sie in die Beziehung zu Harald investiert hatte, und von dem Schock, als sie hatte erfahren müssen, daß von seiner Seite alles nur Berechnung gewesen war. Und dann… Trennung – aber kein Ende. Harald hatte weiterhin versucht, sie für seine Zwecke zu manipulieren.
»Sogar jetzt habe ich noch immer ein bißchen Angst«, gestand sie schließlich. Harry ist angeblich in der Schweiz, aber…«
»Um Dr. Harald Stein mußt du dir keine Gedanken mehr machen«, erklärte Franz ernst. »Er wird die nächsten Jahre wohl hinter schwedischen Gardinen verbringen. Der Skandal, in den er verwickelt war, ging vor ein paar Wochen durch die Weltpresse, und ich wundere mich nur, daß du nichts davon mitbekommen hast.«
»In der Klinik gab es so viel Arbeit«, entgegnete Gabriela wie zur Entschuldigung. »Ich habe seit Wochen keine Zeitung mehr in der Hand gehabt, und abends war ich einfach zu müde, um noch den Fernseher einzuschalten.«
Dr. Teirich überlegte, ob Gabriela wohl stark genug sein würde, um die Wahrheit über Harald Stein zu verkraften. Wenn sie ihn nämlich noch immer liebte…
»Erzählst du mir, in welchen Skandal Harry verwickelt war?« fragte Gabriela und riß Franz damit aus seinen Gedanken.
Er zögerte, dann stellte er die Frage, die ihm am Herzen lag, doch: »Liebst du ihn noch?«
Gabriela brauchte nicht eine Sekunde zu überlegen. »Nein, Franz, ich liebe ihn nicht mehr.«
Er sah sie einen Augenblick lang prüfend an und erkannte, daß sie die Wahrheit gesagt hatte.
»Also schön, der liebe Dr. Stein hat versucht, sich mit Organtransplantationen ein kleines Vermögen zu verdienen«, erzählte er.
Gabriela runzelt die Stirn. »Es ist zwar nicht sehr schön, kranken Menschen für ein neues Organ eine Menge Geld abzunehmen, aber strafbar macht man sich damit doch eigentlich nicht.«
»Wenn man Armen die passenden Organe entnimmt und sie danach für teures Geld an Reiche weiterverkauft, dann schon.«
»O mein Gott«, stieß Gabriela entsetzt hervor. »Wie konnte er nur…«
»Nach allem, was ich gehört habe, muß Dr. Stein ein begnadeter Chirurg sein«, meinte Franz. »Wahrscheinlich hat ihm diese Fähigkeit völlig den Sinn für die Realität geraubt. Er sah sich selbst wohl als eine Art Gott, dem es erlaubt ist, über Leben und Tod seiner Patienten zu entscheiden.« Mit einer zärtlichen Geste streichelte er Gabrielas Hand. »Du solltest ihn ganz schnell vergessen. Dir kann er jedenfalls nichts mehr anhaben.«
Gabriela sah ihn an – sein markantes Gesicht, die sanften Augen, die soviel Güte und Herzenswärme ausstrahlten, und sie fühlte seine streichelnde Hand. Im selben Moment wußte sie, daß ihr Herz im Begriff war, in einen sicheren Hafen einzulaufen.
*
Erika Metzler erwachte mitten in der Nacht, ohne genau zu wissen, wodurch sie geweckt worden war. Sie erinnerte sich lediglich an ein seltsames Gefühl in ihrem Bauch, aber vielleicht hatte sich ja auch nur das Baby bewegt. Das Kleine war zuweilen so lebhaft, daß es seine Mutter schon öfters durch Tritte oder Knüffe geweckt hatte.
Vorsichtig, weil der große Bauch allmählich überall im Weg war, drehte sich Erika auf die andere Seite. Im selben Moment schien sich alles in ihr zusammenzukrampfen. Sie spürte, wie ihr Bauch bretthart wurde.
»Nein, bitte nicht!« stöhnte sie verzweifelt. »Es ist doch noch zu früh!«
Erika fühlte Panik in sich aufsteigen. Mit zitternden Fingern drückte sie auf den Knopf, der die Nachtschwester alarmierte. Es dauerte keine zwei Minuten, bis Irmgard Heider hereingeeilt kam.
»Frau Doktor, ist etwas passiert?« fragte sie besorgt.
»Ich habe Wehen!« stieß Erika hervor. »Rufen Sie sofort Dr. Daniel an!«
Schwester Irmgard zögerte keine Sekunde, schließlich wußte sie ja von Erikas Risikoschwangerschaft. Hastig wählte sie Dr. Daniels Privatnummer und hoffte, daß er selbst an den Apparat gehen würde. Schließlich wollte sie ja nicht die ganze Familie um den Schlaf bringen.
»Daniel«, erklang in diesem Augenblick auch schon seine tiefe, noch etwas verschlafen klingende Stimme.
»Waldsee-Klinik, Schwester Irmgard«, gab sich die Nachtschwester zu erkennen. »Es tut mir leid, daß ich Sie mitten in der Nacht aus dem Bett holen muß, Herr Doktor, aber Frau Dr. Metzler hat Wehen.«
»Ich bin schon unterwegs«, versprach Dr. Daniel und traf auch wirklich kurz darauf in der Klinik ein. Mit langen Schritten ging er ins erste Stockwerk hinauf, dann betrat er Erikas Zimmer.
»Robert, Gott sei Dank!« Sie schien völlig aufgelöst zu sein. »Ich habe Wehen, und es ist doch noch viel zu früh!«
»Nur keine Panik, Erika«, erklärte Dr. Daniel und seine tiefe, warme Stimme zeigte auch diesmal sofort ihre Wirkung. Erika wurde merklich ruhiger. »Sie haben noch knappe drei Wochen bis zum Geburtstermin, das liegt durchaus im vertretbaren Rahmen. Keine Sorge, Erika, Sie werden ein gesundes Baby zur Welt bringen.«
Aus weit aufgerissenen Augen sah sie Dr. Daniel an. »Ich habe Angst, Robert.«
»Das müssen Sie nicht, Erika. Sie werden eine ganz normale Geburt erleben. Wenn die nächste Wehe kommt, dann veratmen Sie sie so, wie Sie es in der Geburtsvorbereitung gelernt haben.« Dr. Daniel schlug die Bettdecke zurück. »Versuchen Sie, sich zu entspannen. Ich muß Sie untersuchen.« Er lächelte Erika beruhigend an. »Keine Angst, ich werde Ihnen nicht weh tun.«
Das Untersuchungsergebnis überraschte Dr. Daniel ein wenig. Demnach war der Muttermund bereits fünf Zentimeter offen.
»Wie lange haben Sie schon Wehen?« wollte er wissen.
»Ich weiß nicht… noch nicht sehr lange«, stammelte Erika, dann zeichnete sich wieder Angst auf ihrem Gesicht ab. »Ist etwas nicht in Ordnung?« Und plötzlich brach sie in Tränen aus. »Ich will dieses Baby nicht wieder verlieren!«
»Das werden Sie auch nicht, Erika«, entgegnete Dr. Daniel und bemühte sich dabei erneut um einen besonders besänftigenden Ton. »Wir beide gehen jetzt gemeinsam in den Kreißsaal hinunter, und Schwester Irmgard wird Wolfgang verständigen.« Er lächelte. »Ich nehme ja an, daß er bei der Geburt seines ersten Kindes dabeisein will.«
Erika konnte nur nicken. Noch immer saß tief in ihr die Angst, die aus den Erlebnissen bei ihrer Fehlgeburt entstanden war.
Als Erika und Dr. Daniel den Kreißsaal erreichten, nahm der Arzt eine erneute Untersuchung vor.
»Ich glaube, es wird nicht allzu lange dauern«, prophezeite er. »Der Muttermund öffnet sich sehr schnell.«
Erika erschrak. »Ist das schlimm?«
»Nein, keine Sorge. Es ist nur ein bißchen ungewöhnlich. Bei Erstgebärenden geht es normalerweise nicht so rasch«, erklärte Dr. Daniel, obwohl Erika als Ärztin das eigentlich selbst wissen mußte. Aber die Streßsituation, in der sie momentan steckte, raubte ihr offensichtlich ihr ganzes ärztliches Wissen. So etwas hatte Dr. Daniel schon des öfteren erlebt – sogar bei sich selbst.
»Was ist?«
Atemlos stieß der hereinstürzende Dr. Metzler diese beiden Worte hervor.
Dr. Daniel wandte sich ihm lächelnd zu. »Deine Frau bekommt ein Kind – sonst nichts.« Er legte seinem Freund eine Hand auf die Schulter. »Bitte, Wolfgang, beruhige wenigstens du dich, sonst bist du für Erika jetzt keine Hilfe, sondern nur eine Belastung.«
»Leichter