Erika erschrak zutiefst, als Gabriela ihr Zimmer betrat, versuchte es aber zu verbergen, was ihr nicht so ganz gelang.
»Ich habe mich ziemlich verändert, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben«, meinte Gabriela, zögerte einen Moment und umarmte ihre Freundin dann.
»Ja, das stimmt«, gab Erika offen zu, dann lächelte sie. »Trotzdem freue ich mich, daß du hier bist, Gabi. Und die Veränderungen – die sind doch nur äußerlich.«
Gabriela seufzte. »So ganz stimmt das wohl nicht. Ich fürchte, die Beziehung zu Harry… und vor allem das Ende dieser Beziehung haben mich auch innerlich geprägt. Es war… sehr unerfreulich – und das ist noch recht harmlos ausgedrückt. Schon vor Monaten haben wir uns getrennt, aber es war leider eine Trennung ohne Ende.« Mit einer fahrigen Handbewegung strich Gabriela ihr langes, dunkles Haar zurück. Es schmerzte sie, über all das zu sprechen, trotzdem drängten die Worte förmlich aus ihr hervor. Es war, als müsse sie sich endlich alles von der Seele reden. »Nach unserer gemeinsamen Zeit in dieser tollen Privatklinik, die schließlich Konkurs anmelden mußte, war ich eine ganze Weile arbeitslos, aber dann wurde eine Anästhesistenstelle in der Klinik meines Onkels frei. Und etwa zeitgleich lernte ich Harry kennen – einen erstklassigen Chirurgen. Wir arbeiteten etliche Jahre zusammen und kamen uns dabei auch privat näher.« Sie senkte den Kopf. »Wir waren verlobt, und ich… ich habe an die wahre Liebe geglaubt, doch dann…« Sie atmete tief durch, als hätte sie auf diese Weise mehr Kraft, um über alles weitere zu sprechen. »Ich mußte erfahren, daß ich für Harry nur ein Mittel zum Zweck gewesen war. Er wollte unbedingt Chefarzt und später wohl auch Klinikdirektor werden, und da er wußte, daß ich Onkel Tonis Klinik einmal erben würde…« Wieder senkte sie den Kopf. »Er hat mich nie geliebt, und das ist es, was mich am meisten schmerzt.« Sie sah Erika an. »Allerdings war diese Trennung noch längst nicht das Ende der ganzen Geschichte. Zuerst versuchte Harry, mich wieder herumzukriegen, und als er merkte, daß das nicht möglich war, begann er mir zu drohen. Er wollte mich und die Klinik vernichten.«
Erika nickte. »Deshalb also deine Flucht nach Australien.« Prüfend sah sie Gabriela an. »Und jetzt? Hast du nun keine Angst mehr vor Harry?«
Gabriela zögerte, dann nickte sie. »Doch, ein bißchen habe ich es immer noch, aber… er wird wohl nicht herausbekommen, wo ich bin. Weder von meinen Eltern noch von meinem Onkel wird er ein Sterbenswörtchen erfahren, und sonst kennt niemand von Harrys Bekannten oder Verwandten meinen Aufenthaltsort. Außerdem dürfte er jetzt in der Schweiz bereits als Chefarzt arbeiten.« Dann zwang sie sich zu einem Lächeln. »Und wie geht’s dir?«
»Blendend!« erklärte Erika voller Überzeugung. »Ich habe einen zärtlichen, liebevollen Mann, und wenn unser Baby erst mal gesund zur Welt kommt, werden wir die glücklichsten Menschen der Welt sein.« Dann zog ein Schatten über ihr Gesicht. »Allerdings besteht bei mir nach wie vor die Gefahr einer Fehlgeburt. Vier Wochen noch, dann ist das Baby auch außerhalb des Mutterleibs lebensfähig, aber bis dahin werde ich die leise Angst in mir wohl nicht ganz loswerden.«
*
Es dauerte nicht allzu lange, bis Gabriela Köster den Mann, dem sie an ihrem ersten Tag hier begegnet war, wiedersah. Inzwischen hatte sie sich in der Klinik schon gut eingearbeitet. Erika hatte ihr tatsächlich nicht zuviel versprochen. Der Chefarzt Dr. Metzler war bei aller respekteinflößenden Ausstrahlung sehr nett und freundlich, und Dr. Daniel hatte sie auf eine so herzliche Art willkommen geheißen, daß sich Gabriela in seiner Nähe richtig geborgen gefühlt hatte. Auch mit ihren anderen Kollegen verstand sie sich ausgezeichnet, und ihre Tätigkeit als Anästhesistin in dieser modernen Klinik füllte sie schon bald voll aus.
Sie war also rundherum zufrieden, als sie an diesem Morgen zum Dienst erschien, doch ihr inneres Gleichgewicht kam ganz schnell ins Wanken, denn in der Eingangshalle stand eben jener Mann, der sie an ihrem ersten Tag hier schon so sehr aus der Fassung gebracht hatte. Jetzt kam er ihr mit einem charmanten Lächeln entgegen.
»Ich fürchte, ich muß mich bei Ihnen entschuldigen«, erklärte er und zeigte dabei einen recht zerknirschten Gesichtsausdruck. »Vermutlich halten Sie mich für einen ungehobelten Flegel, weil ich es bei unserer ersten Begegnung total versäumt habe, mich vorzustellen.«
Gabriela schmunzelte. »Das müßte dann eigentlich auf Gegenseitigkeit beruhen. Schließlich habe auch ich Ihnen meinen Namen nicht verraten.«
Der Mann zeigte ein spitzbübisches Grinsen. »Sie scheinen ganz zu vergessen, daß ich mit dem hiesigen Oberarzt befreundet bin, und den habe ich so lange bedrängt, bis er mir Ihren Namen verraten hat – einen sehr klangvollen Namen übrigens. Gabriela Köster.«
Gabriela lauschte diesen beiden Worten nach. War ihr Name jemals zärtlicher ausgesprochen worden? Sie konnte sich nicht erinnern.
Jetzt lächelte sie. »Sie scheinen allerdings auch übersehen zu haben, daß ich bereits seit etlichen Wochen hier arbeite. Und natürlich habe ich auch so meine Nachforschungen angestellt, Herr Teirich.«
»Franz«, verbesserte er sofort. »Wenn Sie zu mir ›Herr Teirich‹ sagen, komme ich mir vor wie ein Urgroßvater. Dabei stehe ich doch in der Blüte meiner Jahre!«
Gabriela mußte lachen. »Sie sind ja überhaupt nicht von sich eingenommen. Im übrigen weiß ich noch ein wenig mehr über Sie, als nur Ihren Namen, Franz. Sie arbeiten als Neurochirurg in der Münchner Thiersch-Klinik.«
»Alle Achtung. Da waren Sie ja wirklich fleißig.« Wieder zeigte er dieses unwiderstehliche, spitzbübische Grinsen. »Ich kann also davon ausgehen, daß Sie sich für mich genauso interessieren wie ich mich für Sie.«
Gabriela errötete, weil er damit den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.
»Scheint so«, murmelte sie verlegen.
»Dann würde ich doch sagen, wir lassen diese Nachforschungen über Dritte bleiben und unterhalten uns einmal persönlich«, schlug Dr. Teirich vor, dann warf er einen Blick auf seine Uhr. »Ich hätte heute ja meinen freien Tag, aber Sie müssen offensichtlich arbeiten.« Er sah sie an. »Wann darf ich Sie abholen, Gabriela?«
»Leider erst um sechs.«
Dr. Teirich seufzte abgrundtief. »Ich werde vor Sehnsucht nach Ihnen bis dahin vergehen.« Dann küßte er galant ihre Hand. »Gnädiges Fräulein, wir sehen uns dann um sechs.«
*
Gabriela wußte kaum, wie ihr geschah. Da war sie nun erst seit ein paar Wochen wieder in Deutschland und schon bis über beide Ohren in einen jungen Mann verliebt. Sie hatte diesen Gedanken kaum zu Ende gedacht, da erschrak sie schon über das Eingeständnis, das sie sich damit gemacht hatte. Aber es hatte ja keinen Sinn, es abzustreiten. Tatsache war nun mal, daß sie sich auf den ersten Blick in Dr. Franz Teirich verliebt hatte. Weshalb sonst auch hatte sie Dr. Scheibler so gezielte Fragen über seinen Freund gestellt?
Und so konnte Gabriela es kaum noch erwarten, bis ihr Dienst endlich beendet war. Rasch vertauschte sie den weißen Arztkittel mit ihrem mitternachtsblauen Blazer, dann ging sie raschen Schrittes in die Eingangshalle hinüber und sah sich suchend um, doch offensichtlich würde sich Dr. Teirich verspäten.
»Irrtum«, erklang in diesem Moment schon seine Stimme. »Ich bin berühmt für meine Pünktlichkeit.«
Ein glückliches Lächeln huschte über Gabrielas Gesicht, und sie fühlte, wie ihr Herz viel heftiger zu schlagen begann. Wie kam es nur, daß dieser Mann sofort einen solchen Sturm der Gefühle in ihr entfachte.
»Wohin gehen wir?« wollte er wissen und riß sie damit aus ihren Gedanken.
»Ich bin noch ziemlich neu hier«, entgegnete Gabriela, »aber über das Waldcafé habe ich bisher nur Gutes gehört.«
»Also, auf ins Waldcafé«, meinte Dr. Teirich, begleitete Gabriela hinaus und ließ sie zuerst im Auto Platz nehmen.
Wenig später saßen sie sich an einem ruhigen Nischentisch gegenüber.
»Wie kommt die Melancholie in Ihren Blick, Gabriela?« fragte Dr. Teirich schließlich. Zuvor hatten sie sich nur über Belanglosigkeiten