»Ich weiß«, flüsterte der Kindermund, »jetzt bringe ich der guten Großmutter einen Himmelschlüssel. Dann schließt sie sich die Tür zum lieben Gott selbst auf, damit sie dort oben froh und glücklich sein kann.«
Lautlos huschte Pucki aus dem Zimmer, wählte draußen auf der Wiese das schönste Himmelschlüsselchen aus, das sie finden konnte, und trug es bewegten Herzens hinein zur Schmanzgroßmutter. Vorsichtig steckte sie es zu den anderen Blumen in die gefalteten Hände der Toten.
»Jetzt wirst du schon in den Himmel hineinkommen, Schmanzgroßmutter. – Soll ich dir nun noch was vorlesen? Wie der liebe Gott in den Himmel fuhr?«
Die Schmanzbäuerin weinte noch immer, sie kümmerte sich nicht um das kleine Mädchen. Da nahm Pucki erneut das Buch vor und flüsterte leise:
»Und der Herr, nachdem er mit den Jüngern geredet hatte, ward aufgehoben in den Himmel und sitzet zur rechten Hand Gottes.«
Erst als der Vater zurück zur Schmanz kam, trippelte Pucki ihm entgegen und sagte leise, daß die Schmanzgroßmutter nun für immer schliefe.
»Denke dir, Vati, sie ist eingeschlafen, als ich ihr eine Geschichte vorgelesen habe. Sie macht auch beim Schlafen ein frohes Gesicht. – Nun ist sie glücklich, denn sie kann gleich in den Himmel hinein.«
Förster Sandler nahm seine Tochter in die Arme und küßte sie innig. Er freute sich darüber, daß seine Pucki der alten Schmanzgroßmutter noch kurz vor dem Sterben eine große Freude hatte bereiten dürfen.
Pucki und ihre Freunde
Tausend Freunde
Hedi, die achtjährige Tochter des Försters Sandler, die man weit und breit nur als Pucki Sandler kannte, stand auf einem Stuhl und betrachtete mit nachdenklicher Miene den dicken Abreißkalender, der im Wohnzimmer an der Wand hing. Ihr um vier Jahre jüngeres Schwesterchen Waltraut blickte ebenfalls voller Erwartung zu den Blättchen auf, die Pucki durch die Finger gleiten ließ.
»Es dauert noch lange, bis wir den Kuchen bekommen.«
»Wie lange noch?« fragte Waltraut.
Pucki suchte im Abreißkalender und behielt ein ganzes Päckchen Blätter zwischen den Fingern.
»Diese Blättchen müssen alle erst abgerissen sein, dann hat der Vati Geburtstag, dann kommt der große Freund, und dann gibt es endlich den Kuchen mit den vielen Rosinen. – Ach, der schmeckt so gut!«
»Och«, sagte Waltraut betrübt, »noch so viele Blättchen! – Wollen wir nicht machen, daß wir schneller den Kuchen bekommen?«
Pucki tippte mit dem Fingerchen auf den 24. Mai. »Hier gibt es Kuchen, bis dahin müssen wir noch furchtbar lange leben. Jedes Blatt ist ein Tag. – Ach, sieh mal, Waldi, so oft müssen wir noch schlafen gehen!«
Waldi bemühte sich ebenfalls, auf den Stuhl zu steigen, doch gelang es der Vierjährigen nicht.
»Waldi will auch sehen, wann es Kuchen gibt!«
Pucki nahm den Kalender von der Wand, legte ihn auf den Stuhl, und dann beugten sich die beiden Kinder interessiert über die Blätter.
»Wo gibt's Kuchen?« fragte Waldi noch einmal.
Abermals suchte Pucki im Kalender, bis sie den 24. Mai gefunden hatte.
Da lachte Waltraut lustig auf. Ihre kleinen Hände ergriffen mehrere Blättchen und rissen sie ab. Pucki legte beide Hände auf den Rücken und schaute wortlos dem Treiben der kleinen Schwester zu. Als der Fußboden mit zahlreichen Zetteln besät war, sagte Pucki nachdenklich:
»Es wird uns nichts nützen, wir werden was auf die Finger bekommen, aber keinen Kuchen.«
Waltraut hingegen jubelte hell auf und meinte, man brauche nun nicht mehr so oft schlafen zu gehen, und der Kuchen mit den vielen Rosinen müsse bald gebacken werden. Sie war gerade im Begriff, nach der Küche zu eilen, um die Mutti an diese wichtige Arbeit zu erinnern, als die Försterin ins Zimmer trat.
»Was ist denn hier geschehen?«
Pucki stand noch immer unbeweglich da, während Waltraut strahlend auf den Kalender wies: »Waldi hat gemacht, daß der Vati jetzt Geburtstag hat! Bäckst du nun den Kuchen?«
»Wer hat euch erlaubt, den Kalender von der Wand zu nehmen und die Blätter abzureißen?«
»Es hat so furchtbar lange gedauert, Mutti, bis der Vati Geburtstag hat«, erklärte Pucki. »Wir haben uns den Kalender immerfort angesehen.«
Die Folge war, daß die beiden Kinder einige Klapse auf die Finger bekamen und die Blätter zusammensuchen mußten.
»Für dich wäre es besonders schlimm, Pucki, wenn der Vater heute Geburtstag hätte, denn dein Geschenk ist noch lange nicht fertig. Oder hast du heute schon an dem Lesezeichen gestickt?«
»Nein«, sagte Pucki kleinlaut, »ich hatte so viel anderes zu tun, Mutti!«
»Dann geh sofort an die Arbeit. – Wie steht es mit den Schularbeiten? Bist du damit fertig?«
»Ich hatte doch so viel anderes zu tun, Mutti, und nachher kommt der Fritz Niepel, der hilft mir. Dann geht es viel schneller, dann brauche ich nicht erst zu rechnen.«
»Schämst du dich nicht, Pucki, so was zu sagen? Fritz darf dir bei den Schularbeiten nicht helfen. Willst du denn ein dummes Mädchen bleiben? Was wird Vatis Freund sagen, der zu Pfingsten zu uns kommen will? Er ist ein netter Lehrer, der dich gewiß fragen wird.«
Pucki machte große Augen. »Noch ein Lehrer? – Ach, Mutti, wir haben in der Schule genug Lehrer! – Wenn er ein Lehrer ist, soll er lieber nicht herkommen.«
»Das war wieder recht unartig, mein Kind. Onkel Strenke ist Vaters guter Freund, den kennt er schon seit seiner Kindheit. Der Vater freut sich darauf, seinen früheren Schulkameraden wiederzusehen. Und da willst du sagen, er soll nicht kommen?«
»Wenn es doch lieber ein Forstmann wäre, Mutti, dann könnte er kommen und lange, lange hierbleiben. An Vatis Geburtstag haben wir doch gerade Ferien, was soll denn dann ein Lehrer bei uns?«
»Du