»Ein großer Junge wird solch kleinen Tierchen, die immerfort arbeiten, ein Leid zufügen! Oh, pfui, ich mag dich gar nicht mehr leiden!«
An einem Nachmittage erschien der große Claus im Forsthause und schloß Pucki lachend in seine Arme.
»Ich bin nun fertig mit der Schule, Pucki, ich habe das Abiturium bestanden und bin darüber sehr froh.«
»Ich habe auch tüchtig den Daumen gedrückt. – Brauchst du nun gar nicht mehr in die Schule gehen?«
»Ach, nun geht das Lernen erst richtig los. Jetzt wird es noch ernsthafter als früher.«
»Fängst du nochmal von vorne an, großer Claus?«
»Jetzt geht es auf die Universität, dort wird studiert, bis aus dem großen Claus ein Onkel Doktor geworden ist, der die kranken Menschen gesund macht.«
»Ach, und wenn ich krank werde, kommst du dann auch zu mir und machst mich gesund?«
»Freilich, ich hoffe aber, daß du gar nicht erst krank wirst, Pucki. Für dich gibt es nun auch bald Ferien, dann wollen wir wieder zusammen durch den Wald wandern.«
»Wieviel Tage sind es noch, bis ich Ferien habe?«
»So viele, wie du Finger an einer Hand hast.«
»Und was ist dann?«
»Gründonnerstag – Karfreitag – dann kommt das Osterfest.«
»Ja, mit dem Osterhasen und den Ostereiern.«
»Mit der Versetzung, Pucki! Du wirst doch ein gutes Zeugnis erhalten und in die siebente Klasse hinüber kommen?«
»Ich glaube schon – Fräulein Caspari hat ein bißchen davon erzählt.«
»Das ist schön – ich hätte sonst meine kleine Pucki auch gar nicht mehr so lieb haben können wie bisher, wenn sie faul wäre.«
»Hast du den Paul Niepel nicht lieb? Er ist faul und wird nicht versetzt. Aber der Fritz wird versetzt, er ist lieb und fleißig.« – –
So vergingen auch die letzten Schultage, und beglückt brachte Pucki ein sehr gutes Zeugnis heim. Dafür wurde sie von den Eltern gelobt.
»Weißt du noch, Pucki«, sagte der Vater, »daß du dich vor der Schule sehr gefürchtet hast? Du wolltest gar nicht hingehen. Anfangs warst du auch nicht gerade fleißig, doch jetzt, da du sieben Jahre zählst, bist du schon klüger geworden. Du siehst bereits ein, wie schön es ist, wenn man etwas versteht, und wieviele Freude man damit anderen machen kann.«
»Wenn ich zur Schmanzgroßmutter gehe, zeige ich ihr das Zeugnis und lese ihr was vor.«
»Zur Schmanzgroßmutter wirst du in den nächsten Tagen nicht gehen können. Die alte Frau ist nicht wohl.«
»Vati, tut ihr was weh?«
»Ja, sie muß zu Bett liegen.«
»Oh, dann gehe ich mit dem großen Claus hin. Er wird bald alle Leute gesund machen können. Er kann auch die Schmanzgroßmutter wieder gesund machen. – Ach, Vati, laß mich doch zur Schmanzgroßmutter gehen.«
»Erst wollen wir abwarten, wie es ihr morgen geht. Dann kannst du vielleicht am Ostersonnabend hingehen.«
Am Gründonnerstag saßen die beiden Kinder im Garten zusammen. Pucki erzählte Waltraut von dem Osterhasen mit dem goldenen Schwänzchen, der in wenigen Tagen wieder in das Forsthaus kommen würde, um schöne bunte Eier zu legen.
»Wir müssen aber noch warten und noch ein paarmal schlafen gehen, Waldi, ehe er kommt. Heute ist erst der grüne Donnerstag, an dem alles schön grün wird. Und morgen ist immer noch nicht Ostern, aber dann bald.«
Der nächste Morgen brachte Pucki eine große Freude. Aus der Oberförsterei wurde angerufen, daß Oberförster Gregor am heutigen Tage beruflich nach Rotenburg müsse. Er wolle in seinem Auto Pucki und die drei Niepelschen Knaben mitnehmen. Pucki möge sich für ein Uhr bereithalten, dann würde das Auto kommen.
Die Kleine jubelte laut auf. Eine Fahrt im Auto des Onkel Oberförster hatte für sie keine Schrecken. Wohl dachte sie mit Entsetzen an eine Fahrt in dem dunklen Kasten des Viehhändlers Henschel, die sie einmal gemacht hatte, aber in dem großen Wagen von Onkel Oberförster saß es sich herrlich.
»Mutti, ich freue mich furchtbar! Mach nur, daß ich bald fertig werde, damit der Onkel nicht zu warten braucht. – Mutti, ist der große Claus auch dabei?«
»Das weiß ich nicht. Außerdem kennt Claus Rotenburg genau, denn er geht dort mit seinem Bruder aufs Gymnasium.«
»Ja, dort hat er gewohnt, bei seiner Tante.«
»Wahrscheinlich wird der gute Onkel Oberförster euch zu der lieben Tante bringen. Sei also nicht unartig, mein Kind. Wenn du mit den Niepelschen Knaben zusammen bist, bist du genau so wild wie sie.«
»Ach, fein wird es sein! Mutti, ich freue mich furchtbar!«
Oberförster Gregor, der große Kinderfreund, wollte besonders der fleißigen kleinen Pucki und dem braven Fritz Niepel eine Freude machen. Die beiden Kinder hatten so gute Zeugnisse mit heimgebracht, daß sie eine Belohnung verdienten. Seine beruflichen Pflichten würden ihn wohl eine gute Stunde, in Anspruch nehmen. Während dieser Zeit sollte Claus, der die Fahrt mitmachte, mit den vier Kindern zu Tante Grete gehen.
Frau Perler war die verwitwete Schwester des Oberförsters, die in Rotenburg wohnte und Pensionäre bei sich aufnahm. Zu ihr hatte Oberförster Gregor seine beiden Söhne gegeben, denn er wußte sie bei seiner Schwester in den allerbesten Händen. Rotenburg war eine ansehnliche Stadt, die außer einem Gymnasium auch eine landwirtschaftliche Schule, ein Technikum und mehrere Fabriken aufzuweisen hatte.
Pünktlich um ein Uhr fuhr der Oberförster am Forsthause vor. Er saß selbst am Steuer, und Claus holte Pucki aus dem Forsthause. Sie kam sich sehr wichtig vor, als sie auf dem weichgepolsterten Sitz neben dem großen Claus saß. Sie wippte auf dem Polster auf und nieder und sagte glücklich:
»Wie eine große Frau bin ich jetzt. Ob Schneewittchen auch einen so schönen Wagen gehabt hat, als es zur Hochzeit fuhr?«
Schnell ging es weiter hin zum Niepelschen Gutshause. Walter und Fritz waren dem Wagen ein gutes Stück entgegengelaufen und hielten ihn mit lautem Lärmen an.
»Nun, wo ist denn der Dritte?«
»Der darf nicht mit!«
»Warum denn nicht?«
»Weil er viele Tadel hat und nicht versetzt ist. Der Vater sagte, ein fauler Junge brauche auch nicht Auto zu fahren«, antwortete Walter.
»Oh, das wäre aber schrecklich«, rief Pucki erregt, »er hat sich gewiß mächtig darauf gefreut. Wir wollen ihm schnell sagen, daß er doch mitkommen kann.«
Schon stieg Pucki aus dem Wagen. Im Vorgarten trafen die Kinder Herrn Niepel und dessen Frau.
»Onkel Niepel, gelt, du läßt den Paul nach Rotenburg mitfahren. Das ist eine so schöne Stadt mit einer Kirche. Die hat einen runden Turm. – Sieh mal, sooo – –. Der Paul hat sich so furchtbar darauf gefreut! Laß ihn doch einsteigen.«
»Nein, Pucki, der Paul bleibt hier. Die Fahrt ist eine Belohnung für fleißige Kinder.«
»Was macht er denn dann, wenn wir weg sind?«
»Er weint«, rief Walter laut.
Puckis Gesichtchen wurde sehr traurig. »Ach, laß ihn doch mitfahren, Onkel Niepel. Wenn der Paul weint, ist es sehr schlimm.«
Sie erblickte Paul. Er kam mit verweinten Augen soeben aus dem Hause und drückte