Bei Rückkehr der Großmutter konnte Frau Sandler mitteilen, daß Hedi die ihr übertragene Aufgabe zur vollsten Zufriedenheit erfüllt hätte.
»Wenn du auch weiterhin so lieb und brav bist, kleine Hedi, darfst du dir von der Großmutter etwas wünschen.«
»Oh, ich weiß schon was!«
»Nun?«
»Klotzpantinen!«
»Was willst du nur mit den Klotzpantinen?«
»Großmutter, es klappert so wunderschön!«
»Mutti ist noch nicht ganz gesund, das Klappern würde sie stören.«
»Aber wenn sie wieder ganz gesund ist, Großmutter, kriege ich dann die Klotzpantinen?«
»Nur wenn du sehr artig bist«, lachte die Gefragte und nahm sich vor, dem Enkelkinde schon in den nächsten Tagen seinen Herzenswunsch zu erfüllen.
Die Besserung Frau Sandlers machte von nun an schnelle Fortschritte. Nicht mehr lange, da konnte die Förstersfrau in dem schönen grünen Wald spazierengehen. Man plante sogar für die nächsten Tage eine Fußwanderung nach Rahnsburg. Frau Sandler wollte mit der Mutter den Arzt besuchen.
Es war ein drückend heißer Junitag, als sich die beiden Frauen zum Fortgehen rüsteten. Der Förster war bereits in den Wald gegangen, und Minna machte sich auch fertig, um mit dem Säugling ein wenig spazieren zu fahren. Hedi sollte Minna begleiten.
»Kann ich nicht lieber hierbleiben, Mutti? Ich spiele auch sehr artig mit meiner Diana und dem Harras.«
»Nein, Hedi, du sollst nicht allein im Haus bleiben, begleite Minna.«
»Na, meinetwegen!«
Frau Sandler mit ihrer Mutter waren nach Rahnsburg gegangen; Hedi schritt artig neben dem Kinderwagen einher.
»Wollen wir nicht wieder nach Hause gehen, Minna. Ich möchte zum Harras, der ganz allein ist. – Ach, der arme liebe Hund!«
Schließlich ließ sich Minna erbitten. Als man am Forsthause angekommen war, kam gerade das Niepelsche Fuhrwerk, auf dem außer dem Kutscher Minnas Freundin Ella saß. Erst schwatzten die beiden zusammen, dann schritt Minna neben dem langsam weiterfahrenden Wagen ein Stück Weges dahin, nachdem sie Hedi eingeschärft hatte, brav bei dem Schwesterchen zu bleiben.
Die Kleine spielte vergnügt mit der Puppe und Harras, dem Jagdhund, bis plötzlich das Tier leise zu knurren und schließlich laut zu bellen begann. Immer wieder hob es den Kopf hoch, bellte lauter und immer lauter, setzte schließlich in großem Bogen über den Gartenzaun und lief in den Wald hinein. Diesmal hörte er nicht auf das laute Rufen des Kindes. Harras kam nicht zurück.
»Harras – Harras, wir sollen artig sein! Du darfst doch nicht allein in den Wald. Der Vati nimmt immer die Leine. – O je, ich darf dich doch nicht allein in den Wald gehen lassen!«
Im Hausflur hing die Hundeleine. Als Harras noch immer nicht zurückkehrte, als sein Bellen zum Heulen wurde, lief Pucki erregt davon, um den Hund zu holen.
Da kam er ihr auch schon entgegengesprungen. Er ließ sich ruhig an der Leine festmachen, zerrte jedoch das Kind weiter nach der Stelle, von der er gekommen war.
»Was hast du denn, Harras? Jaule doch nicht so sehr, oder tut dir was weh?«
Noch ein kleiner Seitenweg, dann sah Pucki, was den Hund ängstigte. Mitten zwischen den Tannen stieg Rauch empor, kleine Flämmchen hüpften am Boden entlang, krochen hin zu den dürren Zweigen und entzündeten sie.
»O je, es brennt im Wald!«
Hedi wurde vor Schreck blaß. Ein Waldbrand war dem Kinde ganz etwas Neues, aber oft schon hatte der Vater davon erzählt, was das für ein Unglück sei, und daß ein einziges Streichholz viele hundert Bäume kaputt machen könnte. So war in Hedis Gedanken das Feuer im Walde etwas Furchtbares.
Auch Harras schien zu wissen, wie furchtbar ein Waldbrand werden konnte. Dabei war das Forsthaus nicht weit ab. Einmal war ein ganzes Forsthaus durch solch einen Brand aufgefressen worden. Wenn die Flammen nun auch bis ans Forsthaus kamen? Das kleine Mädchen im Wagen verbrannte und die guten Kleider von der Mutti!
»Harras – Harras, was machen mir denn?«
Im ersten Augenblick wußte Pucki keinen Rat. Der Vati war weit fort, Mutti und Großmutter in der Stadt. Minna war auch fortgegangen.
»Kommt schnell ihr Leute, kommt schnell, im Walde ist Feuer!«
Obwohl sich Pucki anstrengte, laut zu rufen, so verhallte ihr Stimmchen doch ungehört. Die Holzschläger waren nicht mehr in jener Gegend beschäftigt. Das vierjährige Mädchen stand allein neben dem treuen Hund und sah mit angstgeweiteten Augen, wie die Flämmchen immer lustiger nach allen Seiten auseinander hüpften.
Pucki lief nach dem Forsthaus zurück. Sollte sie nach Rahnsburg laufen? – Doch der Weg war weit bis dorthin. In Vaters Zimmer stand das Telephon. Der Vati steckte den Finger in die Drehscheibe und drehte dann ein paarmal herum. Dann sprach gleich jemand.
Pucki wußte nicht, wie der Apparat zu handhaben war. Sie hatte nur immer zugeschaut, wenn die Eltern sprachen. Kurz entschlossen nahm sie den Hörer ab, steckte das Fingerchen in die Scheibe und rief, während sie immer wieder irgendwelche Zahlen drehte:
»Der Wald brennt – der Wald brennt!«
Die Nummer, die Pucki in ihrer Erregung ganz zufällig zusammengestellt hatte, gehörte dem Spediteur Runge, der die angstvolle Stimme des Kindes vernahm.
»Wer ist denn dort, was ist los?«
»Kommt schnell ihr Leute, im Walde ist das Feuer, und der Vati ist fort.«
»Wer bist du denn?«
»Ich bin Pucki, die Hedi aus dem Forsthause. Der Vati ist ein Förster und die Mutti ist krank gewesen. – Kommt doch schnell, die Flämmchen hüpfen immer weiter!«
»Brennt es in der Nähe des Forsthauses? Du bist doch die Hedi Sandler?«
»Ja, der Harras bellt immerzu, der sieht das Feuer. Oh, ich hab' solche Angst, wenn der Wald brennt.«
Spediteur Runge war ein energischer Mann, der sofort die nötigen Schritte einleitete. Rasch war die Rahnsburger Feuerwehr alarmiert, und kaum drei Minuten später fuhr die Motorspritze nach dem Forsthause ab. Pucki lief zwischen dem Forsthaus und der Brandstätte ängstlich hin und her. Endlich kam auch Minna zurück; kurz hinter ihr hörte man das Klingeln der näherkommenden Feuerwehr.
»Minna, es brennt im Walde, aber der Harras paßt gut auf!«
»Was du immer hast!«
Aber schon bemerkte Minna den Brandgeruch. Sie sah zwischen den Bäumen dicken Qualm hervorkommen und schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
»Lieber Gott, der Wald brennt, und der Förster ist nicht da!«
Da war die Feuerwehr auch schon zur Stelle. Man brauchte nicht erst nach der Brandstelle zu suchen. Das Feuer hatte sich in den letzten Minuten beträchtlich ausgedehnt, und ein rasches und energisches Eingreifen war notwendig, um die drohende Gefahr zu beseitigen. Man hatte Mühe, das erregte kleine Mädchen zurückzuhalten. Hedi wollte durchaus helfen, damit sich die schönen Bäume nicht vom Feuer fressen ließen.
»Geh aus dem Wege«, sagte einer der Feuerwehrmänner, als Hedi immer wieder auftauchte, »es kann dir was passieren.«
Und wirklich, schon im nächsten Augenblick ging ein Sprühregen von Funken nieder und fiel auf das blonde Köpfchen des Kindes. Glücklicherweise war sofort einer der Männer neben ihr, er riß Pucki an sich, drückte den Kopf des Kindes fest an seine Brust und löschte somit die Funken.
Pucki war sehr erschrocken; sie wußte nicht, was mit ihr geschehen war.
»Marsch heim!« rief der Mann, »oder ich bespritze dich mit Wasser.«
Das ließ sich die Kleine nicht zweimal sagen.