»Fein, fein, wir gehen zur Lehmgrube!«
Die vier schlichen aus dem Garten, überquerten die Straße und wanderten gemeinsam nach der Lehmgrube, die etwa eine Viertelstunde entfernt lag. Da es in den letzten Tagen stark geregnet hatte, sank man beim Betreten beträchtlich ein, doch gerade das machte den Kindern die größte Freude.
»Uff –« lachte Pucki, »die Grube hat meinen Schuh festgehalten! Guck mal, wie er klemmt!«
Sie stand mit dem weißen Strumpf im Lehm, neben dem Schuh. »Sieh mal mein Bein, das rutscht ganz tief in den Kleister!« Pucki beugte sich nieder und zog den Schuh heraus. »Schön sieht er nicht aus.«
»Wir wollen dort hinauf auf den Berg! – Au, das geht aber schwer«, sagte Walter, »wenn es so glatt ist wie heute, rutscht man immer wieder 'runter.«
Schon nach wenigen Minuten waren die Kinder derartig beschmutzt, daß sie von selber sorgenvoll dreinblickten.
»Wollen wir nach Hause gehen?« fragte Fritz, »bei mir ist alles dreckig.«
»Es klebt«, rief Walter, »sieh mal meine Hände!«
»Wisch sie ab«, rief Paul.
Walter wischte sie an den schönen blauen Anzug.
»Kommt schnell fort«, sagte Pucki und nahm Fritz an der Hand, »wir haben genug.«
Auf dem Rückweg wurden die vier sehr still. Eines sah das andere kummervoll an; die Kleider waren verschmutzt, und an den Füßen hingen dicke Lehmklumpen.
»Ich gehe barfuß«, flüsterte Pucki, »sonst schimpft Fräulein Irma.«
Vor dem Niepelschen Garten wurden Schuhe und Strümpfe ausgezogen und zum Trocknen ins Gras gelegt Die Kleinen hörten das Rufen des Kinderfräuleins.
»Still, still«, rief Paul, »sie darf uns nicht sehen, sonst macht sie Krach.«
Aber Fräulein Irma sah sie doch und war starr vor Entsetzen. Die guten blauen Sonntagsanzüge verschmutzt, Puckis weißes Kleidchen an vielen Stellen mit einer Lehmkruste überzogen.
Nun gab es harte Worte zu hören.
Nur Fritz, der kleinste und zierlichste der Drillinge, wagte eine Entgegnung.
»Wir wollten doch so schön spielen!«
»Sofort kommt ihr ins Haus! Ich ziehe euch die Spielkittel an, und wenn ihr von der Mutter gerufen werdet, um den Gästen guten Tag zu sagen, müßt ihr in den schlechten Kleidern kommen.«
»Und was ziehste mir an?« fragte Pucki vertrauensvoll.
»Kommt mit«, sagte das junge Mädchen verärgert.
Pucki bekam ein buntes Tuch, das ihr kunstvoll umgesteckt wurde. Dann streifte man ihr Strümpfe von Fritz über. Über die viel zu großen Schuhe lachte die Kleine belustigt.
»Ihr wolltet heute besonders artig sein, nun macht ihr den Eltern solchen Kummer. Was werden nur deine Eltern denken, wenn du so heimkommst, Pucki?«
»Die wissen, daß ich ein Pucki bin! Immer wenn ich artig sein möchte, kommt etwas dazwischen, und dann geht es schlimm aus. Ich bin doch eben ein Pucki.«
Durch die strenge Miene des Fräuleins waren die Kinder doch eingeschüchtert, so daß sie in der nächsten halben Stunde artig am Tisch saßen und spielten. Plötzlich legte Pucki die Hände auf das Bäuchlein und sagte:
»Kommt man auch in den Himmel, wenn man hungrig ist?«
»Hast du schon wieder Hunger?«
»Na, wenn wir doch soviel herumgerannt sind! Ich könnte wieder Speise essen.«
»Damit mußt du noch warten.«
»Im Garten hängen lauter kleine Beeren an den Sträuchern. Wenn man da mal ein bißchen naschen könnte – –«
»Unreife Beeren dürft ihr nicht essen, dann werdet ihr krank.«
Pucki seufzte. »Kleine Kinder haben es schlimm – kleine Kinder dürfen gar nichts machen – und große dürfen alles machen. – Ich möchte bald groß sein.«
Schließlich rief Frau Niepel nach ihren Kindern. Sie sollten herüberkommen, um den Gästen guten Tag zu sagen.
Pucki war sogleich bereit, sie kam sich in dem bunten Tuch sehr schön vor. Doch die drei Knaben machten verlegene Gesichter.
»Ich geh' nicht 'rein«, meinte Paul, »ich habe hinten einen großen Flicken drauf.«
»Und ich kann durch die Tasche fassen«, sagte Walter. »Unten fällt alles 'raus, was ich oben 'reinstecke.«
»Geht nur«, mahnte Fräulein Irma, »die Mutter hat gerufen.«
Pucki war die erste, die ins Zimmer lief. Die drei Knaben blieben hinter der Tür stehen.
»Ihr seid wohl gerade beim Spielen«, lächelte Frau Niepel, als sie das aufgeputzte Mädchen sah.
»Ja, Tante Niepel, wir haben schön gespielt. Wir haben uns bei der Hochzeit mächtig gehauen, und dann waren wir bei der großen Lehmgrube.«
»Wo wart ihr?« fragte der Oberförster, der auch gekommen war, um Frau Niepel zu gratulieren.
Frau Niepel hatte ihre drei Buben hinter der Tür bemerkt und holte sie ins Zimmer.
»Warum habt ihr euch umgezogen?«
»Mutter – – wir haben heute wieder Dummheiten gemacht.«
»Was ist denn geschehen?« fragte Frau Niepel sorgenvoll.
»Es wird schon alles wieder gut werden«, flüsterte Fritz, »wir werden alle wieder trocken, und die Beine sind schon gewaschen.«
Unter einem Vorwand verschwand Frau Niepel und holte sich wegen der rätselhaften Worte der Kleinen Auskunft bei Fräulein Irma. Es war einfach unglaublich! Sie war schon manches von ihren dreien gewöhnt, so daß sie auch diesmal sich die Geburtstagsstimmung nicht verderben lassen wollte. Mochte der Vater am Abend seinen drei Söhnen klarmachen, daß man nach Regenwetter nicht in die Lehmgrube gehen durfte.
Fräulein Irma stand indessen in ihrem Zimmer und betrachtete die zerbrochene Kuckucksuhr. Sie war recht ärgerlich. Und noch viel ärgerlicher war sie, als sie in der Wäschekammer die durchwühlten Gardinen sah, die Paul achtlos auf den Boden geworfen hatte.
Pucki dagegen war wieder in bester Laune. Sie sprach der Speise tapfer zu, und als der Abend kam, als Frau Niepel mahnte, nun heimzufahren, sagte die Kleine bedauernd:
»Ich wäre gerne noch so'n bißchen hiergeblieben. Ich hab' in der Kammer schöne Brötchen mit dicker Wurst gesehen. Die hätte ich gerne essen mögen, weil – ich doch heute so artig war.«
»Artig nennst du das?« sagte Fräulein Irma streng und wies auf das unsaubere Kleid. Es war unmöglich, Pucki in diesem Auszug nach Hause zu schicken.
»Pucki war sehr artig!« – –
Die Eltern waren jedoch nicht derselben Meinung, als sie am Abend hörten, wie alles gekommen war.
»Schimpf mal nicht«, sagte Pucki und legte zärtlich beide Ärmchen um den Hals des Vaters.
Die Niepelschen Jungen dagegen bekamen noch am Abend eine gehörige Tracht Prügel und wurden ohne Abendessen zu Bett gebracht.
Bitteres Leid
»Was machst du da, Pucki? Warum nimmst du die Wurst vom Brot? – Aber Pucki, man steckt doch die fettige Wurst nicht in die Tasche. – Was soll das?«
Förster Sandler drohte dem Töchterchen, mit dem er beim Abendessen saß, mit