Sophienlust Staffel 8 – Familienroman. Diverse Autoren. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Diverse Autoren
Издательство: Bookwire
Серия: Sophienlust
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740913977
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lief Barri den Weg entlang, der zu Justus’ Werkstatt führte. Die kleine Heidi hatte von der Freitreppe aus den Hund erspäht und lief ihm nun selig nach. Auch sie verbrachte die Vormittage oft bei dem alten Mann, der so spannende Geschichten erzählen konnte.

      »Barri! Barri!« rief sie. »So warte doch auf mich.«

      Der Bernhardiner blieb sofort stehen und wendete seinen Kopf. Dabei wedelte er begeistert mit seiner buschigen Rute. Das ungefähr vierjährige Mädchen legte seine Rechte auf den dicken Kopf des Hundes und schritt dann neben ihm her.

      Justus stand, die unvermeidliche Pfeife im Mundwinkel, unter der Tür des Schuppens, in dem er sich im Laufe der letzten Jahre eine komplette Werkstatt eingerichtet hatte, blickte den beiden lächelnd entgegen. Als Heidi ihn erblickte, nahm sie die Hand vom Kopf des Hundes und eilte freudestrahlend auf den alten Mann zu. Mit ausgebreiteten Armen erwartete Justus das Kind.

      »Fein, daß du mich besuchst«, sagte der ehemalige Gutsverwalter nach der herzlichen Begrüßung.

      »Barri bringt dein Frühstück«, erklärte die Kleine eifrig.

      »Ich sehe es. Bist ein braver Hund«, lobte er das Tier, als es ihm den Korb vor die Füße stellte. Barri fuhr ihm schnell mit der Zunge über den Handrücken.

      »Ich helfe dir!« rief Heidi und faßte nach dem Henkel des Korbes, als Justus diesen in die Werkstatt trug. »Tut es noch sehr weh?« fragte sie mitleidig nach einem Blick auf seine dick verbundene Hand.

      »Überhaupt nicht mehr, Heidi.« Der alte Mann stellte den Korb auf den Tisch, und Heidi half ihm beim Auspacken der Eßwaren. »Magda meint es nach wie vor gut mit mir«, meinte er lachend.

      »Ich helfe dir beim Decken!« rief Heidi und holte schon die Tasse und den Teller vom Regal. Barri machte es sich neben der Tür bequem und beobachtete den alten Mann und das Kind aus halbgeschlossenen Augen.

      Heidi beteiligte sich mit gutem Appetit an dem reichhaltigen Frühstück. Dabei überschüttete sie ihren großväterlichen Freund mit unzähligen Fragen, die sie alle beantwortet bekam. Ihrer Meinung nach gehörte Justus zu den klügsten und weisesten Männern auf der großen weiten Welt.

      Lächelnd blickte der alte Mann in die großen staunenden Kinderaugen. Er hatte die kleine Person, die ihre Eltern auf eine so tragische Weise verloren hatte, tief in sein einsames altes Herz geschlossen. Auch heute dachte er wieder an das Schicksal der Eltern von Heidi Holsten. Der Vater war ein haltloser Mensch gewesen, dem Rauschgift verfallen, der seine Frau erschossen hatte und danach tödlich verunglückt war. Zurückgeblieben war dieses noch nicht vierjährige Kind, das nun eine Heimat in dem Kinderparadies Sophienlust gefunden hatte.

      Barri fuhr aus seinem Halbschlummer hoch, lauschte, und schlug dann voller Freude mit seiner Rute auf den Boden. Danach erhob er sich zu seiner ganzen Größe und winselte leise.

      »Da kommt jemand!« rief Heidi. Sie rutschte von der Bank und eilte zur Tür, um sie zu öffnen. »Es ist Tante Isi!« berichtete sie erfreut.

      Denise von Schoenecker fing das kleine Mädchen in ihren Armen auf und gab ihm einen zärtlichen Kuß. »Ich dachte mir doch, daß ich dich hier finden würde«, sagte sie und lächelte über Heidis blonden Haarschopf hinweg Justus an, der auf der Türschwelle stand. Er erwiderte schmunzelnd ihr Lächeln und begrüßte sie ebenso erfreut wie das Kind und der Hund.

      »Ich wollte mich nur nach Ihrem Befinden erkundigen, Justus«, erklärte Denise, als sie die Werkstatt betrat. Barri schmiegte sich an ihre schlanken Beine und sah anbetungsvoll zu ihr auf. Auch Heidi blieb dicht neben der geliebten Tante Isi, die für sie zur zweiten Mutter geworden war.

      »Ich habe keine Schmerzen mehr«, berichtete Justus und bot der Besucherin einen Stuhl an. »Ich wollte heute zu Ihnen kommen, um mit Ihnen über eine Krankenschwester im Maibacher Krankenhaus zu sprechen« fügte er hinzu.

      »Über eine Krankenschwester, Justus?« Denise schaute ihn an.

      »Ja, Frau von Schoenecker. Es handelt sich um Schwester Ingrid. Sie heißt mit Familiennamen Laurens und hat zwei kleine Kinder. Ich glaube, Sie könnten der Familie vielleicht helfen.«

      »Helfen? Aber warum denn? Ist Frau Laurens Witwe?«

      »Nein, Frau von Schoenecker, das nicht, aber ihr Mann hat sie verlassen. Jedenfalls habe ich das gehört. Er soll ein Tunichtgut sein.«

      »Woher wissen Sie das alles?«

      »Man hört es halt. Schwester Ingrid hat in den letzten Tagen immer meinen Verband erneuert. Dabei habe ich sie näher kennengelernt. Sie ist sehr hübsch und noch sehr jung. Ich mag sie gut leiden. Aber mir ist gleich aufgefallen, daß sie immer sehr traurig aussieht. Im Wartezimmer habe ich dann von einer Frau erfahren, daß sie zwei Kinder hat, einen Buben und ein Mädchen, die den ganzen Tag sich selbst überlassen sind, wenn die Mutter ihren Dienst im Krankenhaus versieht. Dabei sollen die Kinder noch nicht einmal in die Schule gehen.«

      »Justus, wie stellen Sie sich das nur vor«, meinte Denise kopfschüttelnd. »Ich kann doch nicht einfach ins Krankenhaus gehen und zu Schwester Ingrid sagen: Ich habe gehört, daß Sie sich in Not befinden und Hilfe brau-

      chen.«

      »Warum nicht?« Justus sah sie sinnend an. »Es wäre doch nicht das erstemal, daß Sie in ein Schicksal eingreifen und Menschen helfen«, fügte er hinzu.

      Heidi war der Unterhaltung der

      Erwachsenen mit steigendem Inter-

      esse gefolgt. »Bekommen wir neue Kinder?« fragte sie schließlich leb-

      haft.

      »Aber nein, Heidi.« Denise strich ihr über das seidenweiche helle Haar. »So schnell schießen die Preußen nicht.«

      »Ich glaube, daß man Frau Laurens und ihren Kindern doch helfen sollte«, erklärte Justus hartnäckig. »Im Laufe der Jahre, die ich hier verbracht habe, bekommt man so etwas wie einen sechsten Sinn für derlei Dinge. Wenn Sie es wünschen, Frau von Schoenekker, versuche ich, mehr über die Familie Laurens herauszubekommen«, bot er an.

      »Meinetwegen.« Denise gab nur zögernd nach, denn sie dachte an ihren Mann, der immer wieder zu ihr sagte, sie könne nicht jedem Menschen helfen, der in tragischen Verhältnissen lebe. Das übersteige auf die Dauer ihre Kräfte. Sie gab ihm darin auch recht. Trotzdem konnte sie nicht gegen ihre Natur an. Sobald sie von einem tragischen Schicksal erfuhr, gingen ihr diese in Not geratenen Menschen nicht mehr aus dem Sinn. So war es auch jetzt. Doch sie legte sich noch nicht fest. Im stillen hoffte sie aber, daß Justus tatsächlich mehr über die Laurens’ in Erfahrung bringen würde.

      Justus las in dem Gesicht dieser gütigen Frau wie in einem offenen Buch und war sicher, daß sie der Familie helfen würde. Er sollte sich darin auch nicht täuschen.

      *

      Ingrid Laurens blickte auf ihre beiden Kinder, die beim Frühstück saßen. Die vierjährige Kuni blitzte sie aus ihren dunklen Augen schelmisch an. Wenn ihr Töchterchen sie auf diese Weise ansah, spürte Ingrid jedesmal einen schmerzhaften Stich in der Herzgegend. Genauso hatte ihr Mann Guido sie früher angeschaut, wenn er etwas von ihr gewollt hatte. Ja, Kuni, vier Jahre alt, ähnelte ihrem Vater in einer fast schon lächerlichen Weise. Mathias glich dagegen mit seinen tiefblauen Augen und den dunklen Haaren ihr selbst. Er war drei Jahre alt.

      Wie hübsch die beiden sind, schoß es Ingrid durch den Sinn. Obwohl Mathias ein Jahr jünger war als seine Schwester, war er fast so groß wie sie. Auch waren die beiden bereits erstaunlich vernünftig. Trotzdem befand Ingrid sich ständig in Sorge um sie, wenn sie die beiden allein lassen mußte. Zwar kümmerte sich die Nachbarin, eine vierzigjährige Frau, gelegentlich um die Kinder, aber die meiste Zeit waren die beiden doch sich selbst überlassen.

      Die Kindergärtnerin hatte Ingrid versprochen, daß sie so bald wie möglich Plätze für Kuni und Mathias im Kindergarten bekommen würde. Doch es würde noch einige Zeit vergehen, bis es soweit sein würde.

      »Mutti, du brauchst nicht so traurig auszuschauen«, riß Kuni sie aus ihren quälenden Gedanken.