»Lieselott, ich gebe zu, dass man das kaum am Telefon besprechen kann. Ich muss nachdenken, damit wir einen Ausweg finden. Finanziell nehme ich selbstverständlich alle Konsequenzen auf mich.«
»Sprich doch mit Isolde darüber, Achim«, bat sie. »Sie ist sehr einsichtig. Vielleicht wird sie ihren Entschluss noch einmal überprüfen. Warum zerschlägt sie auf einmal unser Glück?«
Achim schwieg und dachte, dass es dieses Glück in Wahrheit nie gegeben hatte und auch niemals geben würde.
»Bitte, Lieselott, halte mich nicht für kalt oder unfreundlich. Isolde und ich haben uns entschieden. Daran ist nun nichts mehr zu ändern.«
»Aber … es …, es ändert doch alles, wenn ich ein Kind haben werde. Vielleicht ist es ein Junge, Achim. Sollte er nicht deinen Namen tragen?«
»Das kann ich kaum erwarten und verlangen, Lieselott. Ich werde mein Kind nicht verleugnen. Darauf kannst du dich verlassen. Aber ich gehöre nun einmal zu Isolde.«
»Wirst du ihr sagen, was zwischen uns war und dass ich ein Kind erwarte?«
»Ja, das wird sich kaum umgehen lassen, Lieselott. Ich habe mir noch keine Gedanken darüber gemacht. Aber es soll keine Heimlichkeiten zwischen Isolde und mir geben. Das schulde ich ihr und auch dir. Was geschehen ist, können wir nicht rückgängig machen. So weit es sich vermeiden lässt, sollst du nicht darunter leiden – und auch das Kind nicht.«
Sie lachte hart auf. »Das sind wunderschöne Worte. Ich bleibe trotzdem mit dem Kind sitzen, Achim.«
»Ja, ich weiß, Lieselott.« Die Last seiner Schuld senkte sich schwer auf ihn. Doch er spürte, dass er durch dieses Kind nicht enger an Lieselott gebunden wurde, sondern sich sogar weiter von ihr entfernte.
»Wann sehen wir uns, Achim? Ich fühle mich schrecklich verlassen.«
»Ich weiß es noch nicht, Lieselott. In den nächsten Tagen ist es unmöglich.« Nein, er wollte sie nicht wiedersehen.
»Rufst du mich wenigstens mal an?«
»Ja, ich melde mich, Lieselott. Gehst du morgen wieder ins Büro?«
»Natürlich. Was sollte ich sonst tun?« Resigniert und bitter klang diese Antwort.
»Wir müssen überlegen, ob wir das ändern, Lieselott.«
»Wie stellst du dir das vor? Ich behalte meinen Job. Darauf kannst du dich verlassen.« Das war trotzig und böse gesagt.
Er seufzte unterdrückt. Dann hörte er, dass es bei Lieselott in der Wohnung klingelte.
»Da kommt meine Nachbarin«, sagte sie. »Ich muss Schluss machen, Achim. Leider hat sie mich vorhin gesehen. Sonst würde ich nämlich nicht öffnen. Wiedersehen, Achim. Alles Gute.«
»Dir alles Gute, Lieselott.«
Er legte auf und schüttelte den Kopf. Noch weigerte sich sein Verstand, es wirklich zu glauben. Lieselott erwartete ein Kind! Damit hatte er nun wahrhaftig nicht gerechnet. Wie würde Isolde das auffassen? Gewiss, sie wusste um seine Beziehung zu Lieselott. Aber ein Kind – das war etwas anderes.
Er wanderte durch das Wohnzimmer und versuchte Ordnung in seine Überlegungen zu bringen. Doch was er sich auch ausdachte, alles sah schief aus und schien zu keiner guten Lösung zu führen.
Ich hab’ es mir zu leicht gemacht, warf er sich selbst vor. Jetzt weiß ich keinen Ausweg. Der Preis, den Lieselott zahlen muss, ist zu hoch. Das hat sie nicht verdient. Wenn ich nur wüsste, wie ich ihr helfen könnte!
Dann dachte er an das Kind, das an allem schuldlos war und nun in einem Heim aufwachsen musste – vielleicht in Sophienlust? Ja, Sophienlust wäre immerhin ein Ausweg. Dort würde das Kind in einer Umgebung aufwachsen, in der es glücklich sein konnte. Lieselott musste sich damit einverstanden erklären.
Aus dem ersten Gedanken ergab sich der zweite. Er wollte sich Denise von Schoenecker anvertrauen und sie um ihren Rat bitten. Dieser ungewöhnlichen Frau, die rein äußerlich eine so starke Ähnlichkeit mit Isolde aufwies, gehörte sein ganzes Vertrauen. Ihr war es gelungen, Isolde zu helfen und sie aus ihrer verhängnisvollen seelischen Erstarrung herauszulösen. Vielleicht konnte sie ihm einen Weg weisen in seiner jetzigen Situation.
Achim fühlte sich freier, nachdem er mit seinen Erwägungen so weit gekommen war. Gleich am folgenden Wochenende würde er wieder nach Sophienlust fahren. Er durfte keine Zeit verlieren.
Als er sich zu später Stunde niederlegte, ging ihm schmerzlich durch den Sinn, dass man nicht ungestraft blieb, wenn man sich aus Bequemlichkeit und Gedankenlosigkeit auf ein Abenteuer einließ. Aber war er es eigentlich, der die Rechnung zu zahlen hatte? War es nicht Lieselott und mit ihr das Kind?
Ich fürchte, ich kann es niemals ganz gutmachen. Oder wird Denise von Schoenecker mir helfen?, überlegte er.
*
Achim arbeitete im Gericht wie ein Besessener, um seine Sorgen zu vergessen. Er hatte sich in Sophienlust für das Wochenende angemeldet und Denise in einem zweiten Anruf, von dem Isolde nichts wissen sollte, um eine persönliche Unterredung gebeten. Denise hatte keine Fragen gestellt, sondern ihm angeboten, zuerst in Schoeneich vorbeizukommen. Sie werde ihn dort erwarten.
Mit Lieselott traf sich Achim nicht. Zweimal rief er sie in ihrem Büro an, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Er wusste, dass sie niemals allein im Zimmer war, sodass sich ein allzu privates Gespräch dabei nicht ergeben konnte. Zwar schämte er sich ein wenig wegen dieses Verhaltens, doch hätte er im Augenblick nicht gewusst, was er Lieselott sagen sollte. Ein wenig fürchtete er auch, sie werde sich mit Isolde in Verbindung setzen, wie sie es schon einmal getan hatte. Doch er brachte es zunächst nicht über sich, Isolde zu schreiben. Auch am Telefon schwieg er über die Angelegenheit. Erst wollte er mit Frau von Schoenecker sprechen.
Zweimal klingelte im Laufe der Woche abends in seinem Haus das Telefon. Es war beide Male Isolde, die fröhlich anrief, nur um seine Stimme zu hören.
Der einsame Mann in dem stillen Haus fühlte jähe Angst, das eben zurückgewonnene Glück erneut zu verlieren. Die Erkenntnis, dass er die Schuld allein bei sich zu suchen hatte, war bitter.
Am Sonnabend fuhr Achim bereits um vier Uhr morgens ab und erreichte Schoeneich im Laufe des frühen Vormittags. Denise begrüßte ihn herzlich und führte ihn in ihr gemütliches Damenzimmer.
»Hier sind wir ungestört, Herr von Rettwitz. Was kann ich für Sie tun?«
Achim holte tief Atem. »Es beschämt mich, dass ich Sie heute um Rat fragen muss, gnädige Frau. Aber seltsamerweise sind Sie der einzige Mensch, dem ich meine Sorgen anvertrauen kann.«
Denise rückte das Tablett mit dem Imbiss, den sie hatte kommen lassen, bequemer für ihn zurecht. »Wollen Sie sich nicht erst ein bisschen stärken?«, bot sie ihm an. »Wir haben Zeit. Isolde erwartet Sie erst gegen Mittag, nicht wahr?«
»Ja, das ist richtig.«
»Es handelt sich also um eine Angelegenheit, von der Isolde keine Kenntnis hat?«, half Denise ihm, da sie merkte, dass ihm der Anfang schwer wurde.
»So ist es, Frau von Schoenecker. Aber ich will meiner Frau die Sache nicht verheimlichen.«
»Erzählen Sie«, forderte Denise ihn auf.
Ihr schönes Gesicht, das ihn so stark an das von Isolde erinnerte, flößte ihm Ruhe und Vertrauen ein. Plötzlich konnte er über sein Verhältnis zu Lieselott sprechen und Denise auch von dem Kind erzählen, das Lieselott erwartete.
»Das ist freilich ein ernstes Problem«, erklärte die Zuhörerin, als er zu Ende gekommen war. »Fräulein Engel versucht also, Sie in Ihrem Entschluss wieder schwankend zu machen?«
»Von ihr aus ist das begreiflich, gnädige