In den Künstlerkreisen war die Baronin verhaßt durch die souveräne Art und Weise, mit der sie jegliches Verständnis für die spezielle künstlerische Begabung ihres Mannes, wie auch für die Kunst überhaupt entschieden ablehnte, und als Baron Schilling im Jahre 1866 auf den Kriegsschauplatz nach Böhmen eilte und, halb im Johanniterdienst, halb um seiner Studien willen, den Feldzug mitmachte, da jubelten die befreundeten Künstler, daß »der nebenher schleppende, lange, blonde Schatten« doch einmal von seiner Seite hatte weichen und zu Hause bleiben müssen. Die vornehme Gesellschaft dagegen fand die Frau zwar nicht hübsch, um ihrer stolz gelassenen Art und Weise willen aber durchaus ohne Tadel; auf ihrer Visitenkarte vereinigten sich zwei Namen von gutem Klange, sie hatte den reich begüterten Baron Steinbrück allein beerbt und galt für streng, ja fanatisch im Punkt ihres römisch-katholischen Glaubens – lauter Gründe, die ihr viel Auszeichnung, besonders in Rom verschafften...
Es war für die umwohnenden Leute eine seltene Erscheinung gewesen, daß während der letzten Wintermonate die Schlote auf dem Säulenhause Tag für Tag gedampft und die Gaskandelaber im Vorgarten allabendlich gebrannt hatten; und nun war der Frühling nahezu vorüber, und noch hob sich mit jedem Morgen die eintönig graue Reihe der Vorhänge im ersten Stockwert und ließ die Spitzen- und Seidendekorationen hinter den Scheiben sehen. Man wußte, daß Baron Schilling an einem großen Werke arbeite und sich deshalb aus der Welt in den Schillingshof zurückgezogen habe. Im Vorgarten wurde er selten gesehen, noch weniger aber an den Fenstern des ersten Stockwerks, das die Baronin bewohnte... Mitunter machte er zu Pferde Ausflüge in die Umgegend; er war ein einsamer Reiter, der oft in die unwegsamsten Pfade einlenkte, um einem schönen Baume oder einer Felsenpartie das Profil abzugewinnen.
Sein Atelier stand auf dem Gartengrundstück, das sich hinter dem Säulenhause ausbreitete und inmitten eines großen Stadtteiles mit dichtgedrängter Bevölkerung einen grünen Fleck Landes bildete, weit genug, um in seiner Mitte die tiefe Stille eines einsamen Parkes zu behüten... Im siebzehnten Jahrhundert hatte der Stolz der Ritterlichen das Schillingsche Wappen in grünem Buchsbaum riesengroß vor der Ostseite des Säulenhauses hinbreiten lassen; Rosmarin- und Eibenhecken waren zu Vasen, Pyramiden, ja zu großen Vogelgestalten verschnitten gewesen und hatten im steifen Gemisch mit Muschelgrotten und abnormen Steinfiguren abgewechselt. Von allen Nachkommen war die geschmacklose Schöpfung respektiert worden, bis der Freiherr Krafft kam und in seinem gesunden Sinn mit dem ganzen Plunder aufräumte. Die verstümmelten Bäume und Sträucher durften ins Kraut schießen, soviel sie Lust hatten, köstliche Wiesenflächen wurden angelegt, schöne starke Bäume gepflanzt, und alle die Brünnlein und Wasserstrahlen, die aus Vogelschnäbeln und Krötenmäulern zu Tage gesprungen waren, kamen jetzt natürlich quellend aus moosigem Gestein und rieselten lustig als volle Silberader durch Rasengrün bis zum Teich, den ein Kreis junger, kräftiger Linden umstand. Hier waren sie alle heimisch, die Amseln und Drosseln, die Finken und der scheue Pirol; die süßen Wiesenkleeblüten hingen voll summender Bienen und Hummeln, und für das schmarotzende Schmetterlingsvolk waren Beete voll Sommerblumen da... An der Ostseite schloß eine Mauer den Garten von einer stillen Straße ab. Ein Dickicht von Fichten, mit Laubbäumen vermischt, verdeckte die steile Steinwand, und vor diesem Wäldchen erhob das Atelier seine helle, stuckverzierte Fassade und sah in diese grüne Oase voll Duft und Vogelsang hinein.
11.
Die Glastür, die aus den oberen Gemächern nach der südlichen Plattform des säulengeschmückten Erdgeschosses führte, stand weit offen. Der Morgenwind strich frisch und kräftig vom Nadelwald der nächsten Bergzinne herüber, aber in den offenen Salon quoll er doch südlich träge, wie mit beschwerten Flügeln – er blieb draußen halb und halb in der blütenbedeckten Orangerie hängen, die das mächtige, von einer Brüstung umschlossene Viereck der Terrasse füllte. Diese hochgetragenen, vollentwickelten Blätterkuppeln drängten sich so dicht aneinander, daß es von dieser Seite her stets, selbst unter dem blendend goldenen Morgenlichte, ln das Zimmer hinein tief dunkelte und schattete. Der Frühstückstisch stand seitwärts in einer Ecke, da, wo hinter einer starkstämmigen Magnolie die vollblättrige Waldrebe an der Hauswand emporkletterte, während ein anderer Teil ihrer Rankenwucht sich über die Brüstung warf, um drunten mit ihren schaukelnden, grüngefiederten Ausläufern nach der nächsten dicken Säule zu haschen. Bunte Aras schwangen sich ungestüm auf ihren Ständern unter den Orangenbäumen und reckten die Hälse kreischend nach den Kuchenkörben, das lüsterne Spatzenvolk kam von der Zinnenkrone des Oberbaues und rückte auf dem Geländersims ungeniert gegen den Frühstückstisch vor, und jetzt schlüpfte auch Minka heraus, so verdächtig scheu und hastig, als sei sie durch eine offen gelassene Tür desertiert...
Minka zerpflückte nach wie vor mit Leidenschaft jeden Brief, jede Photographie, alles Zerreißbare, was sie erwischen konnte, in kleine Stücke, sie zerbrach die Fächer und Sonnenschirme ihrer Herrin, bearbeitete leidenschaftlich gern mit ihren Nägeln die Gesichter und Rockschöße der Bedienten und verschleppte Schmuckstücke und Nippsachen in die unzugänglichsten Ecken. Aber mit demselben schweigenden, lächelnden Gleichmut, wie Baron Schilling vor seinem emporsteigenden neuen Atelier, hatte die Frau Baronin allzeit schützend vor ihrer Minka gestanden. Sie kaufte sich mit unzerstörbarer Ruhe immer wieder neue Fächer und Schirme, bezahlte den klagenden Dienstboten, ohne eine Miene zu verziehen, den erlittenen Schaden und stieg selbst mit bis auf den Dachboden, wenn es galt, die versteckten Gegenstände zusammenzusuchen.
Das boshafte Tier war noch genau so behende und geschmeidig, wie vor acht Jahren. Es verjagte zunächst mit einem grotesken Sprung auf den Geländersims die aufschreienden Spatzen, stopfte sich zum Arger der Aras die Backentaschen voll Kuchen und schlüpfte, immer auf der Flucht, nach dem entgegengesetzten Ende der Terrasse. Dort erhoben sich die Wipfel der dichtvorüberlaufenden Platanenallee hoch über der Brüstung, und ihre Laubmassen quollen wie eine grüne Flut auf die Plattform herein – der Affe sprang auf das Geländer und begrub versinkend den kleinen dunklen Leib in wohlig kühlendem Geäst.
Gleich darauf kam die Baronin auf die Terrasse. Sie war nicht allein; eine Dame, noch jung, von imposanter, kräftiger Gestalt, mit brünettem Gesicht unter dicken, scharf aus der Stirn gestrichenen, schwarzen Haaren, folgte ihr auf dem Fuße. Sie hing ein weiches Tuch über den einen Korbstuhl in der geschützten Ecke und breitete ein dickes, zottiges Fell auf die Steinfliesen; das geschah fürsorglich geschäftig, aber nicht mit der Beflissenheit einer Kammerjungfer, sondern würdevoll und freundlich, in freiwilliger Pflege, wie sie eben eine Jugendfreundin der anderen angedeihen läßt – denn Jugendfreundinnen waren sie, die Baronin Schilling und Fräulein Adelheid von Riedt. Sie waren im Klosterpensionat zwei Unzertrennliche und später treue Briefschreiberinnen gewesen; es war demnach begreiflich, daß die Frau Baronin im Jahr 1866, zur selben Stunde, da ihr Gemahl seine Abreise nach dem Kriegsschauplatz unwiderruflich beschlossen, »die Langentbehrte« aufgefordert hatte, zu ihr zu kommen, »weil sie nicht allein bleiben wolle«. Seitdem kam Adelheid öfter und blieb monatelang, um die kränkliche Freundin zu pflegen – sie konnte das, ohne andere Pflichten zu verletzen, denn sie war Stiftsdame in B. und stand verwaist, fast allein in der Welt.
»Ich bitte dich, Adelheid, bringe die gefräßigen Schreier zur Ruhe!« sagte die Baronin verdrießlich und zeigte nach den kreischenden Aras. »Arnold hat eine wahre Leidenschaft, mir Unvernünftiges und Unausstehliches zu schenken, und ich muß es dann aus Höflichkeitsrücksichten zu meiner Qual um mich dulden.« Sie seufzte tief auf.
Die Stimme hatte gegen früher eine tiefere, gleichsam in Bitterkeit gesättigte Lage angenommen; die Gesichtsfarbe war grauer als je; und unter den Augen, wie an den hohlen Schläfen hin liefen zahllose seine Runzelandeutungen, Spuren der rastlosen, inneren Arbeit verheimlichter Leidenschaft und eines allzu frühzeitigen Alterns.
Sie begab sich schleppenden Schrittes hinter den Frühstückstisch. Ein weißer, mit breiten Stickereien und blauseidenen Schleifen besetzter Schlafrock fiel weitfaltig, in glänzender Frische und Eleganz an der hageren Gestalt nieder, und eine Brüsseler Barbe mit einer blauer Bandkokarde lag auf dem lose gesteckten