Die Augen der Baronin verfinsterten sich. »Wo steckt die Birkner? Wie kommt es, daß Sie das Frühstück besorgen, Johanne?« fragte sie verdrossen.
»Mamsell Birkner läßt sich für einige Stunden bei der gnädigen Frau entschuldigen – ihr schlimmes Nervenkopfweh hat sich eingestellt,« versetzte das junge Mädchen ruhig – sie schien diesen unliebenswürdigen Ton gewöhnt zu sein. Ihre ernsten Augen unter den dunklen, d«s jugendliche Gesicht stark verdüsternden Brauen senkten sich nicht vor dem kalten Blick der Dame, und weder ihr Gesichtsausdruck, noch irgend ein Farbenwechsel zeugten von verletzter Empfindlichkeit.
Sie erfüllte pünktlich ihre Obliegenheiten am gedeckten Tisch.
»Ich sehe nur zwei Gedecke,« sagte die Baronin scharf tadelnd.
»Der Herr Baron hat im Atelier gefrühstückt und ist schon vor zwei Stunden ausgeritten,« lautete die Antwort.
Die Baronin biß sich auf die Lippen. Sie sank in den Lehnstuhl; den Ellenbogen auf den Geländersims stützend und schweigend weggewendet, schob sie die Rechte unter das Kinn und blickte ziellos hinaus ins Weite.
In diesem Augenblick erhob sich ein klägliches Geschrei drunten im Vorgarten. Minka rannte wie besessen um den großen Rasenplatz und rieb sich unter fortwährendem Jammern den Rücken, und drüben, auf der weinumsponnenen Klostermauer hüpfte und sprang ebenso toll ein zweites koboldartiges Wesen, dem das starrende Haar tief in die Stirne ging, und dessen flinke dürre Beine wie Holzstöckchen aus den kurzen, weiten Sammethosen ragten ... Mosje ???Beit schwenkte in der einen kleinen Faust ein Blasrohr und mit der anderen hielt er sich die Seite vor Lachen – er hätte sich am liebsten überschlagen mögen vor Vergnügen über die Wirkung seiner Tonkugel.
Die Dienstboten kamen auf den Lärm hin aus dem Säulenhause gelaufen und nahmen, nach der Mauer hinauf scheltend, die völlig zerknirschte und gebeugte Minka in ihre Mitte, und aus dem Giebelfenster des Klostergutes bog sich die Majorin – von der Terrasse aus konnte man ihr alterndes, aber immer noch schönes Profil sehen. Ein starkes Gefühl des Ärgers mochte in ihr aufwallen, denn sie drohte dem boshaften Burschen mit der gehobenen Hand und erteilte ihm einen derben Verweis.
Da erschien auch der Rat Wolfram über der Mauer; er stieg auf der Leiter empor, die Veit im Klosterhof angelehnt hatte. »Bemühe dich nicht, Therese – ich glaube, das ist meine Sache!« rief er seiner Schwester mit beißender, schallender Summe zu. »Übrigens sehe ich nicht ein, weshalb du dich ereiferst! Wer solch greuliches Geziefer um sich leiden mag, der soll's tun; aber es gehört sich, daß er's zwischen seinen vier Pfählen behält und nicht zum Skandal und Schrecknis anderer herumlaufen läßt... Ich strafe meinen Sohn ganz gewiß nicht für die wohlverdiente Lektion!«
Der Kopf der Majorin verschwand, und der Rat umschlang seinen zappelnden, langbeinigen Sprößling und trug ihn die Leiter hinab.
Man hatte jedes Wort dieser klangvollen, boshaft geschärften Stimme klar und deutlich drüben auf der Terrasse gehört. »Der Unverschämte!« klagte die Baronin ganz erschrocken und betroffen. »Und ich kann Arnold nicht einmal um Genugtuung bitten, weil es sich um die unglückliche Minka handelt!«
Sie zog sich tief hinter die Magnolie zurück und streifte mit scheuforschendem Blick die Promenade drüben, ob wohl Vorübergehende die gegen die stolze Herrin vom Schillingshof gerichteten anzüglichen Bemerkungen gehört haben möchten. »Das abscheuliche Tier!« klagte sie weiter, in ihren früheren hohen, nervös gequälten Ton verfallend, und lehnte den Kopf geärgert an die Wand. »Es ist wieder einmal desertiert – zur Freude der Dienstboten – oh, ich kenne diese kleinen, stillen Bosheiten sehr gut! ... Man hat, meinem strikten Befehl entgegen, die äußere Tür meiner Gemächer offen gelassen –« ein Seitenblick voll bitteren Grolles suchte die servierende Dienerin, die eben mit dem leeren Tablett die Terrasse verlassen wollte. »Ich vermute, Sie sind es gewesen, Johanne.«
Das Mädchen wandte sich auf der Schwelle um, und jetzt stieg ein lebhaftes Rot in ihr Gesicht. »Dagegen muß ich mich entschieden verwahren, gnädige Frau,« sagte sie bescheiden, aber fest. »Eine solche Pflichtwidrigkeit lasse ich mir ganz gewiß nicht zuschulden kommen.« – Sie blieb noch einen Augenblick in Erwartung eines Befehles oder einer Bemerkung auf der Schwelle stehen, dann verschwand sie geräuschlos wie ein Schatten im anstoßenden Salon.
»Das ist auch so eine Plage, die mir Arnold mit diesem »Hannchen« auferlegt hat, und unter der ich machtlos seufze,« sagte die Baronin unmutig, während ihr die Stiftsdame wie einem hilflosen Kinde die Teetasse füllte und zurechtmachte. »Kann ich dafür, daß mich ein Schauder schüttelt, wenn sie in meine Nähe kommt? Ich spüre den Hauch einer begangenen Todsünde um ihre ganze Person – sie ist und bleibt Adams Kind! ... Dazu dieser unangenehme Gesichtsausdruck! – Das Gesicht ist wie von Stein, als läge eine tote Seele dahinter, und doch steckt das Mädchen voll unheimlicher Leidenschaft – damals nach der greulichen Katastrophe mit ihrem Vater hat sie sich lange wie toll gebärdet.« – Sie zuckte die Schultern. – »Man hat meiner Selbstüberwindung stets sehr viel zugemutet – in diesem Schillingshofe kommt man überhaupt nie zur ersehnten inneren Ruhe.«
Ein kaltes Lächeln stahl sich um den feinen, schmallippigen Mund der Stiftsdame. »Soll das eine Anklage sein, Klementine?« fragte sie, und ihre dunklen Augen sahen ernst, ja strafend auf die gegenübersitzende Frau herab. »Wer sein Schicksal so eigenmächtig in eine heißgewünschte Bahn gelenkt hat, wie du, der muß es dann auch nehmen, wie es kommt. Wärst du deinem frommen Entschluß nicht treulos geworden, dann lebtest du jetzt unter Gottes unmittelbarer Hut, im seligen Frieden ... Übrigens,« lenkte sie ein, denn das blutlose Frauengesicht war noch fahler, aber auch herber geworden – Eigensinn und Arger überwogen offenbar weit das Schuldbewußtsein, an das leise gerührt wurde – »übrigens tut Johanne musterhaft ihre Pflichten und ist eine nicht zu entbehrende Stütze der Hausmamsell. Sie soll in der fixen Idee, daß die Unschuld ihres Vaters doch noch an den Tag kommen müsse, förmlich aufgehen –«
»Ja, das versichert die gute Birkner, die das Mädchen gründlich verzieht, stets mit unleidlichem Pathos,« fiel die Baronin ein, während sie sich apathisch langsam aufrichtete. »Lächerlich! Das alberne Ding, die Johanne, tut allen Ernstes, als sei ein edles, altes Wappenschild befleckt worden.« Sie schob die Haarmassen, an denen die Blätter der Waldrebe gezaust hatten, aus den Schläfen, wies eine der warmen Schüsseln, die ihr die Stiftsdame hinreichte, voll Widerwillen zurück und bröckelte etwas mürbes Gebäck in ihren Tee. »Bah, alte, verjährte Geschichten! Wer mag sich noch dafür interessieren! ... Mein Schwiegervater hat durch Adams Klatscherei das Nachsehen gehabt, und das war ganz gut für mich – mit dem alten Manne wäre kein Auskommen gewesen, wenn er durch die Kohlen ein Millionär geworden wäre wie der da drüben.«
Sie deutete nach der Richtung, wo vorhin der graue, maliziös ausdrucksvolle Kopf des Rates über der Mauer erschienen war. Ihre matten Augen flimmerten einen kurzen Moment in stechendem Glanze – aus der indolenten Nachbarin war urplötzlich eine unversöhnliche Feindin geworden. »Eine grundgemeine Nachbarschaft, dieses Kloster« gut!« murmelte sie. »Und aus dieser grobkörnigen Familie hat sich Arnold seinen Spielkameraden geholt, »seinen einzigen Freund«, wie er stets zu sagen beliebt –«
»Ja, Felix Lucian, der eine Tänzerin entführt hat.« warf die Stiftsdame mit zugespitztem Tone hin. »Das Weltleben hat seltsame Elemente an dich herangespült, Klementine –«
Das Gesicht der Baronin verdüsterte sich. »Sie haben mich nie berühren dürfen, diese Elemente – ich wehre mich stets gegen solche Gemeinschaft,« fiel sie mit erregter Stimme ein. »Aber sieh sie dir an, die viereckigen Köpfe der Schillings, drüben im Mittelsaal; auf allen liegt dasselbe Gepräge derber Neigungen – Arnold nennt es Kraft und Kühnheit – dagegen hilft kein Ankämpfen. Reserve, ein konsequentes Sichfernhalten, das sind die einzigen schwachen Waffen, die den Schillingschen