Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eugenie Marlitt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788026841036
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will dich selbst nach dem Tode nicht wiedersehen – dummer Schnickschnack! – und dein Hundsfott von Onkel hat natürlich mit tausend Freuden seinen Segen dazu gegeben – Punktum!« hob er an. »Du bist vogelfrei erklärt, die Majorin Lucian hat keinen Teil mehr an dir, und damit – ist auch mir der Riegel vom Munde genommen.« – Er stützte die Hände auf den Tisch, und sich weit vorbeugend, sah er über die Brillengläser hinweg mit seinen großen, feurigen Augen durchdringend in das Gesicht des jungen Mannes. – »Hab' ich je deinen Vater gegen dich erwähnt?«

      Felix schüttelte den Kopf; er war totenbleich geworden – jähes Erschrecken und atemlose Erwartung machten ihn sprachlos.

      »Gut, mein Sohn – also nicht!« sagte der alte Herr, indem er sich in den Armstuhl zurücksinken ließ. – »Durfte auch nicht, obgleich mir's manchmal in den Fingern gejuckt hat, dich einzupacken und heimlich übers Meer zu schicken, wo du von Gott und Rechts wegen hingehörtest; denn die auf dem Klostergute haben dich gestohlen, gestohlen sage ich – der Sohn gehört zum Vater – damit basta!« Er schlug mit den Knöcheln so hart auf den Tisch, daß die Platte dröhnte – seine Schwiegertochter las, erschrocken, mit bebenden Fingern verschiedene Pfeffer- und Salzlöffelchen zusammen, die klirrend umherflogen.

      »Aber ich hatte deiner Mutter mit Handschlag versprechen müssen, daß in meinem Hause vor deinen Ohren nie von deinem Vater gesprochen werden sollte,« fuhr der Freiherr fort. »Was wollte ich denn machen? Ich mußte wohl, sonst hätte ich dich nie vor die Augen gekriegt; und ohne mich wärst du da drüben in dem Unkenloch verbauert und versauert, und sie hätten sich aus dem jungen Lucianschen Blut schließlich doch noch einen Wolframschen Mistfinken zurechtgeknetet. Deinem Vater aber hätte ich nie nähere Mitteilung über dich machen können –« er verstummte in sichtlicher Bewegung, er hatte wohl selbst den furchtbaren inneren Aufruhr nicht vorhergesehen, den der Vatername in der Seele des jungen Mannes weckte.

      Felix war aufgesprungen, und auf den Sprechenden zustürzend, umklammerte er dessen Rechte und zog sie stürmisch gegen seine Brust. »Sie wissen von meinem Vater? Lebt er? Denkt er an mich?« stammelte er in halberstickten Tönen.

      »Ruhig Blut, mein Junge,« ermahnte der alte Herr, aber seine Augen wurden feucht vor Rührung. »Tut mir leid, daß er dich nicht so sehen kann – das Herz im Leibe müßte ihm lachen – er hat seinen Jungen ebenso lieb, wie ich den meinen.« – Ein verstohlener, trüber Blick streifte den Sohn, wobei ein Seufzer seine Brust hob.

      »In der schönen Jugendzeit waren wir treue Kameraden und sind es bis auf den heutigen Tag verblieben,« setzte er nach einem augenblicklichen Verstummen hinzu. »Lucian war ein ebenso flotter Kerl, ein so lustiges Haus wie ich und im Schillingshofe besser daheim, als bei seinen Verwandten – wär' freilich besser für den armen Teufel gewesen, er hätte das Säulenhaus nie gesehen, und den Eiszapfen, die schöne Therese Wolfram dazu ... Als er Deutschland verließ, da war er noch eine Nacht verstohlenerweise hier bei mir im Schillingshofe. Er war wie toll vor Sehnsucht nach dir und hatte die verrücktesten Pläne in seinem Kopfe ausgeheckt – entführen wollte er dich und Gott weiß was alles tun, um mit Gewalt zu seinem Rechte zu kommen; aber er mußte einsehen, daß dem alten verwünschten Klosternest und dem Rechtsverdreher drin auf keine Weise beizukommen war. Und da ist er gegangen – über dem Meer drüben hat er sich eine neue Heimat gesucht und auch gefunden. Er hat sich wieder verheiratet mit einer sehr vornehmen Spanierin und ist glücklich mit ihr gewesen ... Solange sie lebte, waren seine Briefe ruhig – er hat die Frau lieb gehabt und schien mit seinem Schicksal ausgesöhnt – nun ist sie aber gestorben, und da muß ihn wohl die Sehnsucht nach seinem Jungen wieder gepackt haben.«

      Er hielt inne und schüttelte lächelnd den Kopf, indem er die Hand auf das Schreiben legte. »Närrischer Zufall! Just gestern kam der Brief da in meine Hände ... Lucian kränkelt auch, wie ich armer Lazarus, und kann deshalb nicht reisen. Er bittet mich dringend, nunmehr mit dir über ihn und seine Lebensverhältnisse zu reden – na, was braucht's da der vielen Worte und Salbadereien –, du packst eben auf und gehst zu deinem Vater – jetzt ist Amerika deine Heimat!«

      Felix war einigemal wie beflügelt im Zimmer auf und ab geschritten – Röte und Blässe, Jubel und Wehmut kämpften abwechselnd auf seinem schönen Gesicht – jetzt blieb er vor Lucile stehen. Sie sprang auf und warf sich mit leidenschaftlicher Heftigkeit an seine Brust.

      »Und wirst du mit mir gehen, Lucile?« fragte er mit erschütterter Stimme.

      »Na, natürlich, du närrischer Felix!« lachte sie. »Sofort, stehenden Fußes, wie ich da bin! ... Himmel, eine Seereise! ... Das wird ja noch viel toller und lustiger, als ich mir je hätte träumen lassen! ... Nach Amerika gehen wir? ... Doch jedenfalls nach dem brillanten Neuyork?«

      »Nein, schönes Kind, direkt nach den Südstaaten, nach dem reichen Plantagenstaat Südkarolina ... Freund Lucian ist ein Baumwollenbaron geworden; er hat von seinem Schwiegervater bedeutende Besitzungen ererbt. Diese Herren Pflanzer spielen dort eine Rolle, vor der sich unsere heutige Aristokratie verkriechen muß – sie sind in Wirklichkeit Feudalherren ... Lucians Schwiegervater ist ein Spanier aus Florida gewesen, und der Schilderung nach hat das Leben auf der Plantage einen stolzen Zuschnitt, wie kaum ein deutsches Fürstenhaus.«

      Mit einem ausdrucksvollen Lächeln winkte er Felix näher an sich heran. »Siehst du, mein Junge, das mütterliche Erbteil, das sie dir hundsföttischerweise entziehen, kannst du ruhig verschmerzen – dein Vater sammelt und legt seit Jahren für dich zurück; und wenn er dir auch nicht die Plantage selbst hinterlassen kann –« er hielt inne, schlug das Seidenpapier auseinander und nahm eine Elfenbeinplatte heraus – »denn du hast eine Schwester, Felix; es ist eine dreizehnjährige Tochter zweiter Ehe da – das ist sie!«

      Mit diesen Worten hielt er dem freudig bestürzten jungen Mann ein Miniaturgemälde auf dem Elfenbein hin. Lucile kam geflogen und drängte Felix in atemloser Spannung und Neugier fast zur Seite; auch Baron Schilling sprang auf und näherte sich; nur die junge Frau blieb gleichmütig sitzen. Sie wiegte, die Augen tief gesenkt, mechanisch den Teelöffel auf der Fingerspitze, und wäre nicht eine leichte Röte innerer Bewegung über Wangen und Schläfen hingelaufen, so hätte man meinen können, sie habe keine Ahnung von dem, was um sie her vorgehe.

      »Ist sie nicht ein reizendes Kind, diese kleine Mercedes?« fragte der alte Freiherr.

      »Das ist doch kein Kind?« murrte Lucile und stieß leise fortschiebend nach der Hand, die das Bild hielt. »Ein dreizehnjähriges Mädchen soll sie sein und sieht einen doch an mit einem Hochmut, einer Ernsthaftigkeit wie ein stockgelehrter Professor! ... Geh, Felix, ich bin eifersüchtig!« schmollte sie. »Wirst du sie lieben?« »Ja, Lucile, das werde ich, wenn ich auch fürchte, daß sie mir kein Herz entgegenbringt – sie hat viel Stolz und Herbigkeit in den Zügen –«

      »Nicht wahr? – Und bucklig ist sie auch, darauf kannst du dich verlassen, Felix! Wer eine hübsche Gestalt hat, der läßt nicht bloß seinen Kopf malen – das tut keine – da will ich gleich meinen kleinen Finger verwetten! – Der Kopf da schwimmt ja wie abgehackt auf den Wolkenpartien –«

      »Nein – er taucht aus den Wolken in engelhafter Schönheit,« sagte Baron Schilling, ohne den Blick von der längst unmodern gewordenen, aber köstlichen Malerei zu verwenden. »Das kleine Bild ist ein Meisterstück.«

      »Ein alter Künstler, der bei Lucian lebt und von ihm hochgeschätzt wird, hat es gemalt,« bemerkte der Freiherr. »Ich sage auch, das ist ein Kopf, der's einem antut. Mir armem, altem Krüppel wurde gestern ganz warm und weh ums Herz bei den jungen Augen da ... Von ihrem Vater hat sie übrigens keinen Zug –«

      »Von Felix auch nicht,« warf Lucile tiefbefriedigt ein. »Die gelbe Haut und das lebhaft dicke, schwarze Haar –«

      »Mit seinen aufgestreuten blaufunkelnden Lichtern findet man nur unter den Tropen,« ergänzte Baron Schilling. »Für mich wäre das ein Studienkopf von unschätzbarem Werte.«

      »Kannst das Bild behalten, Arnold – hast auch teil dran,« sagte der alte Herr lebhaft – über seine Stirn lief es wie ein düsterer Schatten hin. – »Der gute Lucian, er glaubt, im Schillingshof sei noch alles beim alten – unsere Korrespondenz hat längere Zeit gestockt, die Krankheit seiner