Und Eure Pistole habt Ihr wohl in der Tasche gehabt. Dann habt Ihr Euch von ihm verabschiedet, seid ein paar Schritte von ihm weg, einen Meter vielleicht, und habt ihn von hinten erschossen.«
Pause. Studer nahm noch einen Schluck. Merkwürdig, dass er gar keine Betrunkenheit spürte, im Gegenteil, er wurde nüchterner, es schien ihm, als werde sein Kopf immer klarer, der unangenehme Stich war verschwunden. Er zündete umständlich seine Brissago wieder an, die während des Redens ausgegangen war.
»Zwei Fehler, Äschbacher, zwei große Fehler!« sagte Studer, wie ein Lehrer, der einen begabten Schüler nicht tadeln, sondern im Gegenteil fördern will.
»Der erste: Warum nicht Witschis Revolver nehmen? Armin hätte ihn gefunden; die ganze Geschichte hätte reibungslos geklappt. Ich wäre höchstens bis zum Selbstmord vorgedrungen, nie weiter. Und der zweite Fehler, aus dem alle übrigen sich dann ergeben haben: Warum den Browning in jener Automobiltasche lassen? Irgendwer hat ihn doch finden müssen. Und dass ihn gerade der Augsburger, der kleine Einbrecherdilettant, hat finden müssen, das war Pech… Pech? Vielleicht habt Ihr das gerade gewollt?«
Studers Augen hatten sich endlich von dem schwarzen Muster losgerissen. Er starrte nun auf ein anderes, das wie ein Haus aussah, dachte an einen Spruch, der in blauer Farbe an eine Wand gemalt war, und die Farbe begann abzubröckeln: ›Grüß Gott, tritt ein, bring Glück herein.‹
»Es ist merkwürdig mit uns Menschen«, fuhr Studer fort, »wir tun manchmal gerade das, was wir vermeiden möchten, das, wovor unser Verstand uns warnt. Ein Bekannter von mir, der nun tot ist, sprach immer von Unterbewusstsein. Als ob das Unterbewusste einen eigenen Willen hätte. Und bei Euch, Äschbacher, muss ich immer an so etwas denken. Denn Ihr habt doch alles getan, damit man auf Euch aufmerksam wird. Und das kann man nicht nur mit Eurer Spielleidenschaft erklären, es steckt wohl etwas anderes dahinter. Im Grunde habt Ihr doch gewollt, dass der Mord auskommt. Sonst hättet Ihr doch nicht den Gerber und den Armin mit Eurem Auto ausgeschickt, um den Ellenberger und den alten Cottereau zu überfahren. Wer hat Euch erzählt, dass der Cottereau Euch gesehen hatte? Der Augsburger?«
»Ich hab den Augsburger damals mitgenommen, wie ich den Witschi hab treffen wollen…« Ganz ruhig kam die Stimme von drüben. Keine Aufregung brachte sie zum Zittern. Sie klang genau wie die Stimme des Ansagers, wenn er verkündete: »Die Überschwemmungen im unteren Rhonegebiet haben große Ausmaße angenommen.«
»Und Ihr habt nicht Angst gehabt, dass er Euch verraten würde?«
»Er war ein treuer Bursch. Später hätt ich ihn ins Ausland geschickt…«
»Aber er wurde gesucht. Und der Autodiebstahl…«
»Mein Gott«, sagte Äschbacher, »solche Leute gehen nicht so sparsam mit den Jahren um, wie wir.«
Studer nickte. Das stimmte.
»Und«, fuhr Äschbacher fort, »den beiden anderen Burschen hab’ ich angegeben, ein Tschucker wolle sich in unsere Angelegenheiten mischen… Sie haben viel Kriminalromane gelesen, die Burschen, sie haben es gerne gemacht. Sie wollten John Kling spielen.«
Einen Augenblick übermannte den Wachtmeister schier der Stolz. Er hatte den Äschbacher dazu gebracht, zu sprechen; er hatte ihn gezwungen, zuzugeben. Da blickte er zum ersten Mal auf und der Stolz verging ihm. Ihm gegenüber, im tiefen Stuhl, saß ein zusammengesunkener Mann, der schwer atmete. Das Gesicht war rot angelaufen, die Hände zitterten, der Mund stand ein wenig offen. Aber nur einen Augenblick verblieb der Mann so. Dann schloss sich der Mund, die Augen blickten wieder gerade vor sich hin, an Studer vorbei, zum Fenster hinaus.
»Die beiden Burschen«, sagte Studer, »haben den armen Cottereau ordentlich durchgeprügelt. Er hat mir nichts sagen wollen. Und auch der alte Ellenberger wusste von der Sache?«
»Vielleicht nachher. Der Cottereau hat auch zuerst gar nicht gewusst, dass ich den Witschi erschossen habe. Ich habe nur vorbeugen wollen, er sollte es Euch nicht gleich erzählen, dass er mich dort gesehen hatte.«
»Wann hat er Euch erkannt?«
»Wie ich ins Auto gestiegen bin. Da hat ihn auch der Augsburger gesehen, den Cottereau nämlich…«
Jetzt eine Platte da haben! dachte Studer, und das Gespräch aufnehmen!
»Warum habt Ihr den Augsburger im gestohlenen Auto nach Thun geschickt, damit er sich verhaften lassen soll? Denn das habt Ihr doch gewollt?«
»Fragt nicht so dumm, Wachtmeister!« Es war der Gemeindepräsident, der sprach. »Natürlich hab ich ihn geschickt. Zwei Gründe: Er hätte von der Belohnung hören können, die Ihr habt ausschreiben lassen, und dann wollt ich Euch einen Strich durch die Rechnung machen. Wenn der Schlumpf gestand, so waret Ihr schachmatt, nid? Und Augsburger kannte den Schlumpf. Er sollte versuchen, mit ihm in Verbindung zu treten und ihm von Sonja ausrichten, es stünde schlecht und er müsse gestehen, sonst würden alle wegen Versicherungsbetruges verhaftet. Ich hab natürlich nicht erwartet, dass mir die Leute in Thun so entgegenkommen und den Augsburger mit dem Schlumpf in eine Zelle sperren. Wollt Ihr sonst noch etwas wissen? Der Augsburger hat schlecht geschwindelt, ich weiß es. Aber er hat keine große Erfindungsgabe, darum hat er alles auf den Ellenberger gewälzt.«
»Ja, der Ellenberger«, sagte Studer, ganz freundschaftlich, so, wie man sich an einen Kollegen um Auskunft wendet. »Was haltet Ihr vom Ellenberger?«
»Eh«, sagte Äschbacher. »Ihr kennt doch diese Sorte Leute. Immer muss etwas gehen, immer müssen sie eine Rolle spielen, weil sie im Innern