»Nee, blond und schwarz gibt braun. Aber merkwürdig, sobald der Name Ilse fällt, wird Klaus lebendig«, zog die Schwester ihn auf.
»Piepvogel!« Klaus tippte weniger höflich als deutlich gegen die Stirn. Aber sein frisches Gesicht wurde doch um eine Schattierung röter.
»Haach, seht bloß mal, der Klaus wird rot wie ein Backfisch, wenn von seiner ehemaligen Tanzstundenflamme die Rede ist«, setzte Nesthäkchen ausgelassen die Neckerei fort. Von klein auf stand sie mit Klaus auf Kriegsfuß. Allerdings, seitdem sie erwachsen waren, hatte derselbe harmlose Neckformen angenommen.
»Du, Kleines, ich mache mein Geschenk wieder rückgängig, wenn du frechdachsig bist. Heute hast du dich doch wenigstens anständig zu verhalten«, lachte der Bruder.
»Hast recht, mein Söhnchen. Du hast dich mit der Hauptmann-Biographie für einen arbeitslosen Studenten wirklich genügend angestrengt. Da will ich nicht undankbar sein.« Nesthäkchen gab das Wortgefecht auf und wandte sich dem reichen Gabentisch zu. Da war der mit bunten Blumen bemalte Geburtstagsring, der schon des kleinen Nesthäkchens Entzücken gewesen, als nur zwei oder drei Lichte darin aufflammten. Von Jahr zu Jahr war eins dazugekommen, und heute erstrahlte er in zwanzigflammigem Schein. Denn das große Lebenslicht in der Mitte flackerte am lustigsten.
Was hatten die Geburtstagslichter aber auch alles zu bestrahlen! In der Mitte Hannes »Nesthäkchentorte«, die alljährlich in erneuerter und wenn möglich noch verbesserter Auflage erschien. Trotzdem Annemarie auf alle andern Wünsche zugunsten des einen verzichtet hatte, hatte Elternliebe das einzige Töchterchen reich bedacht. Praktische und Luxusgegenstände gab es da. O Seligkeit – einen Koffer! Wäsche, Bücher, Schokolade und Wirtschaftsschürzen.
Annemarie betrachtete letztere mit nachdenklichem Gesicht. Sie wußte nicht recht, wann dieselben ihre Verwendung finden sollten. Das Vernünftigste war eigentlich, sie verteilte sie unter Hanne und Minna.
Die Mutter war ihrem Blick gefolgt. »Ich hoffe doch, daß die Schürzen auch noch mal zu ihrem Recht kommen werden, Lotte. Gern lasse ich mein Kind nicht so hauswirtschaftlich unerfahren ins Leben hinaus.«
»Für Tübingen langt’s schon, Muzi. Wenn’s dich beruhigt, kann ich ja eine der Wirtschaftsschürzen mitnehmen.«
»Hahaha – unser Kleines will mit der Wirtschaftsschürze anstatt mit dem Zerevis die Hohe Schule zu Tübingen beziehen!« Hans, der Älteste, hatte im Eintreten Annemaries Worte gehört. Klaus fiel in sein Gelächter ein.
»Ihr braucht gar nicht zu lachen, ihr Schlauköpfe! Zum Studieren brauche ich die Schürze natürlich nicht. Für die praktischen Arbeiten sind die weißen Kittelschürzen hier. Aber unser Kleeblatt wird sich morgens und abends selbst beköstigen, um zu sparen. Wenn wir uns mal Rühreier oder so was machen, ist solch unkleidsames Möbel vielleicht ganz gut am Platze. Eine Schürze reicht für uns alle drei.«
»Na, guten Appetit! Wenn drei Blaustrümpfe den Kochlöffel schwingen, da wird was Gutes ‘rauskommen«, begann jetzt auch der Referendar die Schwester aufzuziehen.
»Bitte sehr, Ilse kann kochen. Die hat schon öfters einspringen müssen, wenn Baurat Hermanns kein Mädchen hatten«, verteidigte Annemarie sich.
»Siehst du, Lotte, Ilse ist tüchtiger als du. Die hat trotz des Gymnasiums auch noch Sinn für weibliche Tätigkeit gehabt.« Ganz bekümmert sah Frau Doktor Braun drein.
»Geliebte Muz, du brauchst nicht so betrübte Augen zu machen über deine mißratene Tochter.« Annemaries lachendes Gesicht zeigte keine Spur von Beeinträchtigung. »Marlene Ulrich weiß auch besser mit chemischen Säuren zu kochen als mit Zitrone und Essig. Und die hältst du mir doch von jeher als das Muster aller Tugenden vor. Übrigens, es sind ja noch acht Tage bis zur Abreise. Da kann ich noch schrecklich viel in der Wirtschaft lernen und gleich eine der Schürzen einweihen.«
»Na, Lotte, was du in neunzehn Jahren nicht gelernt hast, wirst du schwerlich in dieser letzten Woche noch nachholen.« Der Vater blickte belustigt von seiner Zeitung auf. »Was soll das nur werden, wenn du dich mal verheiratest?«
»Der arme Mann tut mir jetzt schon leid.« Das war natürlich Klaus.
»Dein Mitleid ist überflüssig, mein Junge. Um zu heiraten, studiere ich nicht. Ich habe genug von euch Männern! Wenn die andern Exemplare auch so sind wie du, Klaus, ergebe ich mich lieber dem Zölibat. Ich werde Vaters Assistentin – basta!«
»Ein Mann – ein Wort, Lotte?« Vater hielt seinem Mädel die Hand hin.
»Eine Frau – ein Wort!« Nesthäkchen schlug ohne zu überlegen ein.
»Also abgemacht – vor Zeugen sogar!« Doktor Braun erhob sich, um seine Praxis aufzunehmen.
Auch für Hans war es Zeit zum Gericht. Klaus hätte auch eigentlich ins Kolleg müssen. Aber er hielt den Geburtstag der Schwester für eine würdige Veranlassung, dasselbe zu schwänzen. Für allzuviel Arbeit war Klaus von jeher nicht.
Trotzdem Annemarie ein sorglos unbekümmertes Temperament besaß, waren Mutters Worte doch nicht ganz wirkungslos an ihr abgeprallt. Sie war ja den Eltern heute so dankbar. Und aus diesem Empfinden heraus wollte sie gern jeden einzelnen so froh stimmen, wie sie es selbst war. Und ihre »Muzi« vor allem.
»Muzichen, ich gehe jetzt in die Küche und helfe der Hanne. Sie backt Pfannkuchen zum Geburtstagskaffee. Und das Roastbeef könnte ich auch heute mittag vielleicht machen«, schlug sie eifrig vor.
»Der Himmel bewahre uns in Gnaden!« Klaus faltete die Hände und blickte mit verdrehten Augen zur Stubendecke empor.
Auch Mutter machte ein bedenkliches Gesicht. Sie mochte den Geburtstagskuchen und den Braten nicht gern preisgeben.
»Lotte, heute ist wirklich kein Tag dazu, deine wirtschaftlichen Studien zu beginnen. Es können doch Gratulanten kommen. Wenn du in einem Jahr wieder daheim bist, dann magst du das Versäumte nachholen!«
Annemarie war durchaus einverstanden. Es war entschieden vergnüglicher, sich mit seinen Geschenken zu freuen, als »Küchenschnudel« zu spielen.
Bald kamen auch Gratulanten. Zuerst die Großmama. Die stand, nachdem sie sich all ihrer guten Wünsche, all der zärtlichen Kusse und des photographischen Kodakapparates, den Annemarie sich seit Jahren gewünscht, unter heller Begeisterung der Enkelin entledigt hatte, kopfschüttelnd vor dem Geburtstagstisch.
»Was bedeutet denn diese geheimnisvolle Inschrift?« Sie schaute durch die Lorgnette fragend auf Klaus’ Kunstprodukt.
»Geheimnisvoll – das ist doch klar wie Kloßbrühe, Großmuttchen. In acht Tagen geht’s nach Tübingen auf die Universität – juchhu!« Annemaries lauter Juchzer ließ die alte Dame erschreckt zusammenfahren.
»Wa–as?« Großmama traute ihren Ohren nicht. »Fortgeben wollt ihr euer Kind, Elsbeth?« Mit verständnislosem Gesicht wandte sie sich an die Tochter.
»Ja, was sollen wir machen? Das Mädel gibt ja keine Ruhe. Nun mag sie mal sehen, wie es ihr anderswo gefällt. Leicht wird es uns nicht, unser Nesthäkchen fortzulassen«, setzte Frau Doktor Braun leiser hinzu.
»Ich verstehe euch nicht. Ein Mädchen gehört ins Elternhaus. So war’s zu meiner Zeit Sitte. Und das war eine gute Sitte. Nicht genug, daß unser Kind studieren soll, nun noch gar auf einer andern Universität wie ein Student. Was sind das für Zeiten!« Großmamas mißbilligendes Kopfschütteln galt aber weniger den schlechter gewordenen Zeiten als der bevorstehenden Trennung von ihrem Herzblatt.
»Großmuttchen, du kannst dich mit unserer Hanne zusammentun. Die räsoniert auch schon den ganzen Morgen, daß ich fort will. Knapp, daß sie mir zum Geburtstag gratuliert hat, so fuchtig ist sie.«
»Recht hat sie, die treue Seele. Solch schlichter Geist empfindet oft das Richtige.« Großmama furchte die Stirn, und selbst der Enkelin zärtliche Finger vermochten die Falten nicht ganz fortzustreicheln.
Noch eine schloß sich der »Gegenpartei«,