Der Sachsenspiegel: Eine Geschichte aus der Hohenstaufenzeit. Julius Wolff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Julius Wolff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066112424
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nach einem bequemen Sitz um, stutzte und schritt dann schnell auf den Zweibechermann zu, ihn mit den Worten begrüßend: »Täusche ich mich, oder bist du es wirklich, Eike von Repgow?«

      »Täusche ich mich, oder bist du es wirklich, Eike von Repgow?«

      »Graf Hoyer von Falkenstein!« rief der andere aufspringend und dem Ankömmlinge beide Hände entgegenstreckend. »O wie freue ich mich dieses unverhofften Wiedersehens!«

      »Du hast Gesellschaft,« sagte der Graf, auf den zweiten Becher weisend.

      »Nein, ich bin allein,« gab der Befragte zur Antwort.

      »Allein? ja, was tust du denn hier?«

      »Trinken und träumen, Herr Graf! weiter nichts. Der Stuhl ist frei, der Becher aber nicht.«

      Verwundert schaute Graf Hoyer den Jüngeren an und ließ sich, ohne eine Erklärung der ihm unverständlichen Rede zu fordern, auf dem unbesetzten Schemel nieder.

      Er war ein Mann von mittelgroßer Gestalt mit grauem Haar und mochte wohl sechzig Jahre oder mehr auf seinen breiten Schultern tragen. Aus seinem durchfurchten Gesicht mit buschigen Brauen über den herrisch blickenden Augen sprach befehlerische Willenskraft.

      Die Wirtin brachte einen dritten Becher, den Eike sofort mit Wein aus dem irdenen Kruge füllte, worauf die beiden Herren sich freundlich zutranken.

      »Haben uns lange nicht gesehen, Eike!« begann der Ältere.

      »Seit etwa zehn Jahren nicht, Herr Graf!« erwiderte der Jüngere.

      »Aber ich kenne dich schon aus der Zeit her, da du die Kinderschuhe noch nicht ausgezogen hattest und mir mit dem Scheitel kaum an die Hüfte reichtest,« bemerkte Graf Hoyer. »Das war, als ich meinen lieben Freund, deinen Vater – Gott hab' ihn selig! einmal in Reppechowe besuchte. Da hab' ich dich auf meinen Knien reiten lassen. Das rechte war dein Schlachtroß, das galoppieren mußte, weil du mir das Schienbein weidlich mit den Hacken sporntest, und das linke war dein Reisegaul, auf dem du hin und her schwanktest, weil er, wie ich dir weismachte, einen sehr holprigen Feldweg trotten mußte. Erinnerst du dich?«

      »Gewiß!« bejahte Eike die Frage. »Und nicht lange danach war ich einmal bei Euch auf dem Falkenstein, wohin mein Vater mich mitgenommen hatte. Da zeigtet Ihr mir auf dem Burghofe den Ziehbrunnen mit dem Haspel und dem Eimer an einer eisernen Kette und sagtet mir, daß er über zweihundert Fuß tief wäre und da unten ein Neck hauste, den man zu Zeiten lustig plätschern und singen hörte, was dann immer als Ankündigung von etwas Erfreulichem aufgefaßt würde. Manchmal aber rumorte er auch unwirsch, und dann wäre stets ein Unheil im Anzuge. Ihr warntet mich auch, einen Stein in den Brunnen zu werfen, denn das erboste den Neck, und dann würde er tückisch.«

      »Stimmt alles,« sagte der Graf, »nur daß ich den Neck niemals singen oder rumoren gehört habe. Es ist ein Märlein, wie so viele hier im Harz erzählt werden. Vor allem künde mir eines, Eike!« fuhr er dann fort, »hast du daheim ein liebes Weib?«

      »Nein, ich bin Junggesell, Herr Graf. Habe zum Werben und Freien noch keine Zeit gehabt und, offen gestanden, auch wenig Neigung dazu.«

      »Schade! solltest dir doch bald eine Herrin in deinen Burgstall führen. Nun, so berichte mir jetzt von deines Lebens einspänniger Fahrt.«

      »Gern, doch erst müssen wir wieder Wein haben, denn in dem Kruge ist kein Tropfen mehr,« sprach Eike und winkte der im Garten waltenden Schenkin.

      »Und einen kräftigen Imbiß soll sie uns auch bringen,« fügte Graf Hoyer hinzu. »Mich hat auf dem langen Ritt nicht bloß Durst, sondern auch ein grimmiger Hunger überfallen.«

      »Woher kommt Ihr?« fragte Eike.

      »Von Wernigerode, wo ich einen Enkel des Grafen Christian über die Taufe gehalten habe. Da wurde wacker gebügelt gestern, denn es waren viel ritterliche Herren aus der Umgegend mit trinkfesten Kehlen dort.«

      Nachdem das blitzsaubere Mädchen den frisch gefüllten Krug und ein einfach ländliches Abendbrot aufgetischt hatte, hub Eike von Repgow an: »Daß ich eine Reihe von Jahren erst als Edelknabe und dann als Knappe beim Markgrafen Dietrich von Meißen war, wo ich höfischen Brauch, Waffenhandwerk und nebenbei noch mancherlei anderes, mehr als mich verlangte, aus dicken Büchern und aus dem Munde umständlich dozierender Magister und Mönche lernen sollte, wißt Ihr wohl.«

      »Von deinem Aufenthalt dort weiß ich, und das übrige kann ich mir denken,« lachte der Graf. »Ging wohl hoch her bei dem künstlerisch angehauchten Markgrafen, dem ehrgeizigen Gönner fahrender Sänger und Spielleute?«

      »Hoch ging es nicht her, sondern manchmal sogar ziemlich dürftig. Man nannte ihn nicht umsonst Dietrich den Bedrängten, weil er von seinen nächsten Verwandten viel Anfechtung und Drangsal auszustehen hatte, aber wir junges Volk waren allweg guter Dinge, und ich denke gern an jene Zeit zurück.«

      »Na, und dann?«

      »Dann blieb ich zu Hause in Reppechowe, wo ich doch wieder die Nase in Bücher und Schriften steckte, die ich mir oft von weither verschaffte, denn mir war in Meißen ein schulfüchsiger Wissensdrang angeflogen, der mir keine Ruhe mehr ließ. Diese Bücherschnüffelei trieb ich so lange, bis mich mein Vater auf meinen dringenden Wunsch nach Bologna schickte.«

      »Nach Bologna? was hattest du denn in Bologna zu suchen?«

      »Die Rechte zu studieren. Und das kam so. Mein Vater hatte einen Rechtsstreit anhängig gemacht, bei dem er ins Unrecht gesetzt wurde, weil in Reppechowe, das jenseits der Elbe liegt, ein anderes Recht gilt als diesseits, wo der Gegner heimisch war, und doch wohnten beide, Kläger und Beklagter in Anhalt, nur wenige Wegstunden voneinander. Damit uns nun solche Unbill nicht noch einmal widerfahre, wollte ich mich des Studiums der Rechte befleißigen. Außerdem hoffte ich auch, dermaleinst den Schöffenstuhl meines Vaters in Salbke einnehmen zu können, und wollte mich darauf gründlich vorbereiten, um später einmal ein guter Urteilsfinder zu sein.«

      »Soso! das muß ich loben,« sagte der Graf. »Gefiel dir's in Bologna?«

      »Es war die weitaus glücklichste Zeit meines Lebens. Auf der hohen Schule dort waren zu tausenden die Söhne aus aller Herren Ländern. Man sprach deshalb immer lateinisch, und die hochgelahrten Herren doctores juris, die judices, wie sie sich nannten, hielten auch die Kollegia in Latein, das ich wie meine Muttersprache beherrschte. Wir schwärmten, zechten, fochten –«

      »Und liebten, – nicht zu vergessen! nicht wahr?«

      »Ich nicht, ich nahm es ernst mit der Arbeit, so wenig mir auch das dort ausschließlich behandelte römische Recht behagte, an Stelle dessen ich ein allgemeines deutsches Recht für unser Volk ersehnte und …«

      Eike brach jählings ab, obwohl ihm offenbar noch etwas auf der Zunge schwebte, was er verschwieg.

      Graf Hoyer wartete vergeblich auf den Schluß des Satzes. Dann fragte er: »Und als du von Bologna heimkehrtest, was tatest du da?«

      Eike zögerte auch jetzt mit der Antwort und sagte dann etwas verlegen: »Ich – ich lernte zu Hause fleißig weiter und gab mir, viel im Lande umherreitend, alle Mühe, mich mit den alten sächsischen Gewohnheitsrechten bekannt zu machen, immer im Hinblick auf den mir von ferne winkenden Schöffenstuhl.«

      »Nun, Schöffe bist du ja geworden, soviel ich weiß,« sprach der Graf. »Wie stehst du denn in der Heerschildordnung? Hast du nicht irgendwo die Schwertleite erhalten?«

      »O ja. Um den mir angeborenen Schild auch durch eine Waffentat in Panzer und Sturmhut zu erwerben, nahm ich als Knappe Kriegsdienst beim Fürsten Heinrich von Anhalt und kämpfte unter ihm und für ihn in seiner blutigen Fehde gegen die aufrührerischen Lehnsleute im Hasgau, nach deren endlicher Besiegung er mich zum Ritter schlug. Ich dachte, er würde mich nun zu seinem Kanzler oder Justitiarius machen, aber daraus wurde nichts, nur als Schöffen hat er mich nach meines Vaters Tode mit Brief und Siegel bestallt.«

      Graf Hoyer hob den Becher, trank