»Gerrit, ich… ich muß in die Gynäkologie… zu einem Kai-
serschnitt«, wandte Stefan leise
ein.
Dr. Scheibler warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Pech für dich, denn dann wirst du heute Überstunden machen. Der Bericht wird geschrieben, und wenn du bis Mitternacht hier sitzen mußt.«
Entsetzt starrte Stefan ihn an. »Aber ich war doch gestern erst bis…«
»Noch ein Wort«, unterbrach Dr. Scheibler ihn nicht ohne Schärfe, »und dein freies Wochenende ist gestrichen.«
Abrupt drehte sich Stefan um, trotzdem konnte er ein heftiges Aufschluchzen nicht verhindern.
»Warum seid ihr denn alle so streng zu mir?« stieß er hervor. »Ich habe doch keinem was getan! Ich mache meine Arbeit und…« Er konnte nicht mehr weitersprechen, weil er sonst unweigerlich in Tränen ausgebrochen wäre.
Erst in diesem Moment erkannte Dr. Scheibler, daß Stefans seltsamem Verhalten keine Faulheit oder Bequemlichkeit zugrunde lag. Der junge Mann schien ernsthafte Probleme zu haben. Und deshalb war er zur Zeit wohl auch so unkonzentriert.
Spontan legte Dr. Scheibler einen Arm um seine Schultern. »Na komm, Junge, was ist denn eigentlich los?«
Hartnäckig schüttelte Stefan den Kopf. »Das interessiert dich doch gar nicht. Du willst ja nur deinen blöden Bericht haben.« Mit einer unwirschen Bewegung befreite er sich von Dr. Scheiblers Arm. »Keine Angst, du wirst ihn schon bekommen.« Und dann verließ er so schnell das Ärztezimmer, daß der Oberarzt keine Gelegenheit zu einer Erwiderung mehr hatte.
»Ich habe Zeit«, murmelte er. »Und ich werde schon herauskriegen, was dich so bedrückt.«
*
Innerhalb kürzester Zeit war das Operationsteam komplett. Stefan Daniel war der letzte, der dazustieß. Er wirkte abgehetzt und zerstreut, doch in der momentanen Streßsituation fiel es Dr. Daniel nicht weiter auf. Im Augenblick hatte er andere Sorgen.
Frau Dr. Erika Wieland, die Anästhesistin der Klinik, leitete eine leichte Narkose ein, dann gab sie Dr. Daniel ein Zeichen. Er streckte die rechte Hand aus.
»Skalpell.«
Und bereits wenige Minuten nach dem ersten Bauchschnitt war der kleine Junge geboren. Dr. Daniel übergab das Baby seinem Sohn, der es in die vorbereitete, angewärmte Decke wickelte und schließlich in Harald Bögls Arme legte.
»Herzlichen Glückwunsch«, erklärte er und mußte sich dabei zu einem Lächeln zwingen, dann kehrte er an den Operationstisch zurück.
Die Anästhesistin hatte die Narkose inzwischen vertieft, und Dr. Daniel ging daran, zuerst die Gebärmutter und dann die Bauchdecke zu schließen. Und während sich die Ärzte in den Nebenraum begaben, um sich die Hände zu waschen, schob die OP-Schwester Petra Dölling die Patientin in den Aufwachraum.
»Herr Bögl, Sie können gleich mitkommen«, erklärte sie lächelnd. »Ihre Frau wird in ein paar Minuten aufwachen, und dann soll sie doch gleich ihr Baby sehen, nicht wahr?«
Doch Harald zögerte. Das Neugeborene war so winzig, und er hatte Angst, es könnte ihm aus der Decke rutschen, wenn er aufstand. Schwester Bianca, die eben hereinkam, bemerkte mit geübtem Blick, in welchem Dilemma der junge Vater steckte.
»Ich trage Ihnen das Baby hin-über«, bot sie hilfsbereit an.
Harald atmete auf. »Da wäre ich Ihnen sehr dankbar.«
Als Schwester Bianca und Harald den Aufwachraum betraten, begannen Melanies Lider bereits zu flattern, und so zögerte Bianca nicht lange und legte das Neugeborene gleich neben seine Mutter. In diesem Moment schlug Melanie die Augen auf und blickte in das winzige Gesichtchen ihres Babys. Und als hätte der kleine Junge gehört, wer ihn da anschaute, blinzelte er ein bißchen und öffnete schließlich ebenfalls die Augen.
Sehr langsam, weil die Narkose noch nachwirkte, hob Melanie eine Hand und streichelte über das
dunkle Büschelchen Haare, was dem Baby einen wohligen Seufzer entlockte.
Schwester Bianca, die zusammen mit Harald diese Szene verfolgt hatte, drehte sich jetzt um und verließ nahezu lautlos den Raum. Draußen stieß sie auf Dr. Daniel.
»Gehen Sie noch nicht hinein«, riet sie ihm lächelnd. »Da drin finden die ersten Schnupperminuten statt.« Sie sah zu der geschlossenen Tür zurück. »Es gibt nichts Bewegenderes, als Mutter und Kind zu beobachten, wenn sie den ersten Blickkontakt haben.«
Dr. Daniel nickte zustimmend. »Da haben Sie recht, Bianca.«
Er blieb noch ein paar Minuten vor der geschlossenen Tür stehen, dann klopfte er und trat ein. Harald hatte sich auf die Bettkante gesetzt und streichelte liebevoll die Hand seiner Frau, während Melanie, so gut es ging, ihr Baby im Arm hielt, was angesichts der Infusionsschläuche nicht ganz einfach war. Außerdem fühlte sie sich noch immer sehr geschwächt von der Narkose und hätte eigentlich am liebsten geschlafen. Doch das überwältigende Gefühl, Mutter zu sein, und der Anblick ihres Babys, den sie jede Sekunde genießen wollte, hielten sie wach.
»So, Frau Bögl, nun kann ich Ihnen auch endlich gratulieren«, erklärte Dr. Daniel mit einem herzlichen Lächeln. »Einen strammen Burschen haben Sie da zur Welt gebracht.«
Melanie strahlte ihn an. »Ich bin ja so froh, Herr Doktor. Wenn Sie nicht gemerkt hätten, was für eine Erkrankung ich da habe… es wäre gar nicht auszudenken gewesen.«
Dieser Gedanke jagte auch Dr. Daniel einen Schauer über den Rücken, doch Melanies Lob machte ihn verlegen. Schließlich hatte er doch nur seine Pflicht getan.
»Jeder andere Gynäkologe hätte das sicher auch erkannt und richtig gehandelt«, wehrte er bescheiden ab.
Doch Melanie schüttelte entschieden den Kopf. »Ich habe am eigenen Leib erfahren, daß eben nicht jeder Gynäkologe einen Herpes-Virus erkennt.« Sie sah Harald an. »Allerdings werde ich den Rat meines Mannes befolgen und den Arzt wechseln.« Jetzt richtete sie ihren Blick wieder auf Dr. Daniel. »Ich habe da vor kurzem einen sehr netten Gynäkologen kennengelernt, der überdies ein As auf seinem Gebiet sein dürfte.«
Wieder wurde Dr. Daniel sichtlich verlegen. »Nun hören Sie aber auf.« Dann versuchte er, das Thema zu wechseln. »Wie wird Ihr kleiner Stammhalter denn heißen?«
Harald und Melanie tauschten einen Blick.
»Zu unserer Schande müssen wir gestehen, daß wir uns gar keinen Jungennamen überlegt haben«, erklärte Harald, während eine verlegene Röte über sein Gesicht huschte. »Irgendwie haben wir immer mit einem Mädchen gerechnet.«
»Frau Dr. Steiger hatte bei einer Ultraschalluntersuchung angeblich gesehen, daß es ein Mädchen wäre«, berichtete Melanie. »Aber auch in diesem Punkt hat sie sich offensichtlich geirrt.«
»Wie man sieht«, schmunzelte Dr. Daniel. »Wie hätte denn ein Mädchen geheißen?«
»Christine«, antwortete Harald. »Nach meiner verstorbenen Mutter.«
»Wie wär’s denn dann mit Christian?« schlug Dr. Daniel vor.
Harald nickte. »Gar nicht schlecht.« Dann sah er seine Frau an. »Was meinst du, Liebes?«
Doch Melanie schüttelte den Kopf. »Nein, Harry, ich habe eine viel bessere Idee.« Sie wandte sich Dr. Daniel zu. »Wie heißen Sie mit Vornamen?«
»Robert«, antwortete er, dann versuchte er einen kleinen Scherz. »Das wollen Sie Ihrem Erstgeborenen doch wohl nicht antun?«
Melanie lächelte. »Warum nicht? Robert ist ein schöner Name. Und immerhin verdankt er es Ihnen, daß er gesund ist.« Sie wurde wieder ernst. »Wenn Sie nicht gewesen wären, dann