de.«
»Na, dann können wir uns ja wirklich noch Zeit lassen«, meinte Schwester Bianca. Sie wandte sich Harald zu. »Sie wollen bei der Geburt sicher dabei sein, oder?«
Er nickte. »Selbstverständlich! Das… geht doch, oder?«
»Aber natürlich«, stimmte Bianca zu. »Ich lasse Sie jetzt einen Augenblick allein. Wie gesagt, der Herr Doktor wird gleich hier sein.«
Aufatmend ließ sich Harald auf das breite Bett fallen. Inzwischen hatte Melanie ihr Nachthemd angezogen und setzte sich neben ihn.
»Ich bin froh, daß wir hierhergefahren sind«, erklärte Harald. »Wenn der Doktor nur halb so nett ist wie die Schwester…«
Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden, denn jetzt öffnete sich die Schiebetür beinahe lautlos, und ein großer, athletisch wirkender Mann Anfang Fünfzig mit markantem Gesicht und dichtem blondem Haar trat ein. Sein freundliches Lächeln erreichte auch die strahlend blauen Augen.
»Guten Tag, mein Name ist Daniel«, stellte er sich vor.
Harald reichte ihm die Hand. »Bögl.« Dann wies er auf Melanie. »Und das ist meine Frau.«
»Freut mich.« Dr. Daniel gab auch ihr die Hand und musterte sie dabei. »Sie sind ja die Ruhe in Person, wie mir scheint.«
Melanie nickte. »In den vergangenen Tagen war ich schrecklich nervös, aber jetzt… Alles läuft ganz normal – so, wie die Hebamme es mir in der Geburtsvorbereitung gesagt hat. Also kein Grund, sich aufzuregen.«
Dr. Daniel lächelte. »Das ist eine gute Einstellung, und ich muß gestehen, daß ich so etwas bei Erstgebärenden nur selten erlebe. Die meisten sind doch ziemlich aufgeregt, wenn es losgeht.«
Er trat ans Waschbecken.
»Wenn Sie sich bitte auf das Bett legen, Frau Bögl. Ich muß Sie rasch untersuchen.« Er wandte den Kopf zurück. »Es wird nicht weh tun.«
Melanie fühlte, wie ihr Vertrauen zu Dr. Daniel erwachte. Dieser Arzt strahlte genau die Ruhe und Sicherheit aus, die ihr bei Frau Dr. Steiger immer gefehlt hatte. Jetzt streifte er sich Plastikhandschuhe über und trat an das Bett.
»Schön entspannen, Frau Bögl«, bat er, während er sich setzte, doch als er Melanie berührte, zuckte sie zusammen.
Erstaunt sah Dr. Daniel sie an. »Was ist denn? Ich kann Ihnen doch unmöglich weh getan haben.«
»Es ist auch nicht Ihre Schuld, Herr Doktor«, beeilte sich Melanie zu versichern. »Ich habe seit ein paar Tagen einen ganz ekelhaften Pickel, der schrecklich weh tut. Und schon bei der geringsten Berührung könnte ich vor Schmerz die Wände hochgehen.«
Alarmiert horchte Dr. Daniel auf, dann holte er eine Lampe, die das Untersuchungsfeld beleuchten sollte. Er zog frische Handschuhe an und setzte sich dann wieder auf das Bett.
»Ich werde Ihnen nicht mehr weh tun«, versprach er, dann wandte er sich der eben eintretenden Schwester zu. »Bianca, halten Sie mir bitte die Lampe, damit ich etwas erkennen kann.«
Im nächsten Moment sah er es.
»Frau Bögl, warum, um Himmels willen sind Sie mit diesen Beschwerden nicht zum Arzt gegangen?« fragte er entsetzt.
»Aber… aber das war ich doch«, verteidigte sich Melanie. Dr. Daniels Worte jagten ihr plötzlich Angst ein. »Meine Ärztin hat gesagt, es wäre nur ein harmloser Pickel, der von allein wieder vergehen würde.«
Ärgerlich schüttelte Dr. Daniel den Kopf. Wie konnte es einen Arzt geben, der nicht bemerkte, daß diese Krankheit alles andere als harmlos war – zumindest für eine Frau, die unmittelbar vor der Geburt ihres ersten Babys stand.
»Frau Bögl, das, was Sie da haben, ist kein harmloser Pickel, sondern ein Herpes genitalis«, erklärte Dr. Daniel eindringlich. »Sagt Ihnen das etwas?«
»Herpes«, murmelte Melanie. »Ich dachte, so etwas kann man nur am Mund bekommen.«
»Leider nicht.«
Harald Bögl trat jetzt zu dem Arzt. »Herr Doktor, ich hatte so etwas mal. Kann es sein, daß ich… ich meine… hat sich Melanie vielleicht bei mir angesteckt?«
Dr. Daniel nickte. »Das ist anzunehmen. Der Herpes-Virus wird durch Intimverkehr übertragen.« Er stand auf. »So leid es mir tut, Frau Bögl, aber wir müssen bei Ihnen umgehend einen Kaiserschnitt vornehmen.«
Melanie erschrak. »Aber… warum denn? Nur wegen diesem Pickel? Ich habe mich doch so auf diese natürliche Geburt gefreut und…«
»Frau Bögl, ich sage das nicht zum Spaß«, fiel Dr. Daniel ihr ins Wort. »Dieser Herpes-Virus, der bei Ihnen momentan aktiv ist, würde Ihr Baby stark gefährden, wenn Sie es auf natürlichem Weg zur Welt bringen. Es kann dabei nicht nur erblinden, sondern eine hochgradige Hirnschädigung davontragen.«
»O mein Gott«, entfuhr es Melanie, dann griff sie impulsiv nach der Hand ihres Mannes. »Harry…« Sie sah Dr. Daniel wieder an. In ihren Augen stand Angst. »Was sollen wir denn jetzt tun? Ich habe doch schon Wehen!«
»Das macht nichts«, entgegnete Dr. Daniel ruhig. »Sie müssen sich auch gar nicht aufregen, Frau Bögl. Glücklicherweise sind Sie ja früh genug in die Klinik gekommen. Wir haben also noch Zeit, den Kaiserschnitt vorzubereiten.« Er holte einen Infusionsständer. »Ich gebe Ihnen jetzt erst mal ein wehenhemmendes Medikament, und dann wird Schwester Bianca Sie in den Operationssaal bringen.« Er wandte sich Harald zu. »Sie dürfen mitkommen, damit Sie Ihr Baby gleich nach der Geburt in den Arm nehmen können. Dieser erste Kontakt ist sehr wichtig, und wenn die Mutter wegen der Narkose ausfällt, dann sollte wenigstens der Vater als Bezugsperson da sein.«
»Ich habe so viel über Kaiserschnitte mit Periduralanästhesie gelesen«, meinte Melanie, während Dr. Daniel die Infusion anschloß.
»Das ist in Ihrem Fall leider nicht möglich«, erklärte er bedauernd. »Sie haben bereits Wehen, und da müssen wir den Kaiserschnitt schon in Vollnarkose machen. Nur ein länger geplanter Kaiserschnitt kann mit Periduralanästhesie durchgeführt werden.« Er sah Melanie an. »Es tut mir wirklich leid, Frau Bögl. Sie hatten sich auf diese Geburt so gut vorbereitet, und ich kann mir vorstellen, wie groß Ihre Enttäuschung jetzt sein muß, aber Sie sollten dennoch an Ihr Baby denken.«
Da nickte Melanie. »Sie haben recht, Herr Doktor. Besser mit Kaiserschnitt ein gesundes Kind als auf natürlichem Weg ein womöglich schwerbehindertes.«
Impulsiv streichelte Dr. Daniel über das dichte, dunkle Haar seiner Patientin.
»Sie sind eine sehr tapfere junge Frau.«
Melanie errötete. »Ach was. Ich werde ja alles verschlafen.« Sie schwieg einen Moment. »Ich bin froh, daß Harry mich hierhergebracht hat.«
*
Zur selben Zeit saß Stefan Daniel müde und deprimiert im Ärztezimmer der Chirurgie. Gerade hatte sein Vater angerufen und ihn in den kleinen Operationssaal der Gynäkologie gebeten, weil ein überraschender Kaiserschnitt durchzuführen war. Normalerweise hätte Stefan daran großes Interesse gehabt, doch heute…
»Hast du nichts zu tun?«
Dr. Scheiblers unerwartete Stimme riß Stefan aus seinen Gedanken. Erschrocken fuhr er hoch, verlegene Röte überzog sein Gesicht, aber noch bevor er ein Wort sagen konnte, setzte der Oberarzt schon im selben strengen Ton hinzu: »Wie wär’s denn, wenn du endlich deinen Untersuchungsbericht schreiben würdest?«
Damit knallte er eine Krankenakte vor Stefan auf den Tisch. Der junge Assistenzarzt zuckte zusammen.
»Was ist los? Hast du die Sprache verloren?« Dr. Scheibler tippte mit einem Finger auf die Krankenakte, die nahezu anklagend vor Stefan lag. »Warum ist der Untersuchungsbericht noch immer nicht bei den Akten, obwohl ich dich nun schon dreimal darauf hingewiesen habe? Ich bin absolut kein Tyrann, Stefan, aber irgendwann ist auch meine Geduld einmal zu Ende.«
Der