»Es besteht die Möglichkeit, dass eine Probe der Fusarium-Sporen von damals überlebt hat.«
»Das ist nicht dein Ernst!« Weinstein klang erschrocken.
»Doch, ist es. Eine der Tafeln beschreibt ein versiegeltes Gefäß … eine goldene Urne. Angeblich enthält diese den Fluch einer Göttin.«
»Jetzt hör schon auf, Jim. Ein Fluch?«
»Natürlich kein Zauber, sondern etwas Reales. Xerxes brachte es um 490 vor Christus aus Griechenland mit. Ich glaube, es enthielt Sporen von infiziertem Getreide. Vielleicht war das sogar der Grund für die Hungersnot. Den Griechen ist es womöglich gelungen, die Ursache zu isolieren, ohne wirklich zu verstehen, wie das Ganze funktionierte. Sie haben es vielleicht als etwas angesehen, was sie gegen ihre Feinde verwenden könnten. Der Mythos um die Urne dreht sich um die Göttin der Ernte.«
»Du meinst Demeter?«
»Ja. Die Urne wurde in der königlichen Schatzkammer aufbewahrt. Dort befand sie sich auch noch, als Alexander Darius den III. bezwang.«
»Was geschah dann mit ihr?«
»Alexander schickte sie nach Griechenland zurück, zusammen mit den restlichen Reichtümern.«
»Und danach ist sie verschwunden.«
»Und wenn nicht? Was wäre, wenn wir sie finden könnten? Die Urne könnte genau das sein, wonach das Pentagon sucht, und wenn dem so ist, will ich nicht, dass sie in deren Hände fällt.«
Weinstein seufzte.
»Jim, das ist keine abhörsichere Leitung.«
»Das interessiert mich einen Dreck. Ich habe mich nicht für dieses Fachgebiet entschieden, um eines Tages meine Forschung dafür zu benutzen, Menschen umzubringen.«
»Jim, bitte.«
»Wenn wir diese Urne finden können und sie sich als das entpuppt, wofür ich sie halte, finden wir womöglich einen Weg, das Fusarium ein für alle Male auszurotten. Denk doch nur mal darüber nach, Arnie! Neues genetisches Material, noch nicht verunreinigt. Wir haben noch nie mit etwas derart Altem arbeiten können.«
»Vielleicht unterscheidet es sich ja auch kaum von dem, was wir kennen.«
»Richtig. Aber wenn doch …«
»Und wie sollen wir diese Urne deiner Meinung nach finden? Wenn sie denn überhaupt existiert?«
»Ich denke, ich weiß wie, oder zumindest, wo wir mit der Suche beginnen können.«
»Wann kommst du zurück?«
»Morgen.«
»Sei vorsichtig, Jim.«
»Sie werden es nicht wagen, mir ein Haar zu krümmen, Arnie. Das gilt auch für dich. Sie brauchen uns. Wir sehen uns morgen.«
Der Anruf endete.
»Was ist dieses Fusarium Soundso?«, erkundigte sich Nick.
»Finden wir es heraus.« Stephs Finger flogen über die Tastatur. Ein Bild erschien daraufhin. »Es handelt sich dabei um eine Form von Getreidefäule. Hat in der Vergangenheit für einige Probleme gesorgt. Breitet sich rasch aus, lässt sich nur schwer aufhalten und zerstört Getreidesorten wie Weizen und Gerste. Es reproduziert sich über Sporen. Ziemlich fieses Zeug.«
Elizabeth studierte das Bild auf dem Monitor. Ein Weizenfeld, schwarz, verdorben und verfault war darauf zu sehen.
»Campbell und Weinstein arbeiteten an einem Projekt für das Pentagon, worüber Campbell nicht sonderlich glücklich war. Die beiden waren Virenforscher. Es muss sich also um eine Art Biowaffe gehandelt haben.« Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück. »Campbell schien allerdings nicht davon auszugehen, sich in echter Gefahr zu befinden.«
»Ich schätze mal, da lag er wohl falsch«, sagte Nick.
Kapitel 4
Zviad Gelashvili war gerade damit beschäftigt, eine lange Stahlklinge zu schärfen, die er normalerweise um seinen linken Unterschenkel geschnallt trug. Er hob sie ins Licht, inspizierte sie und fuhr dann damit fort, die Klinge weiter über den Schleifstein zu ziehen.
Er war ein großer Mann. Sein Kopf wurde langsam kahl, war aber fast immer unter der Arbeitermütze verborgen, die er trug, um die anderen Menschen in seiner Umgebung an seine bäuerlichen Wurzeln zu erinnern. Er sah aus wie ein bösartiges Ei und wurde deshalb oft nur das Ei genannt. Aber nicht nur wegen seines Aussehens, sondern weil er dazu neigte, jeden, der ihn belästigte oder ihm feindlich gesinnt war, in ein unappetitliches Omelett zu verwandeln.
Das dicke Fleisch in Zviads Gesicht war von Aknenarben und jovialer Bösartigkeit gezeichnet. Er besaß eine große Nase und schwarze Augen, die kalt schimmerten. Seine Lippen waren wulstig und bläulich gefärbt, sein Körper muskelbepackt. Die maßgeschneiderten Hemden, die er trug, fielen über einen wuchtigen Bauch, außerdem besaß er zwei so riesige Pobacken, dass er dafür eigens angefertigte Stühle brauchte. Seine Schuhe waren aus feinstem Leder, hergestellt von den exklusivsten Schuhmachern Londons.
Gelashvili war in der kriminellen Unterwelt Moskaus an die Macht gekommen, indem er seinem Idol und georgischen Landsmann Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili nacheiferte, besser bekannt als Stalin. Wenn Zviad Verrat witterte, musste jemand sterben. Wenn jemand daran scheiterte, einen bestimmten Auftrag auszuführen, musste er sterben. Bot ihm jemand die Stirn, musste er sterben. Es gab immer Mittel und Wege, die Motivation seiner Männer zu steigern.
Gelashvili war ein mächtiger und reicher Mann. Er kontrollierte einen großen Teil der Energielieferungen an Deutschland und Westeuropa. Er kontrollierte außerdem Politiker, Richter und Polizisten. Ihm gehörten Nachtklubs und Bordelle in Moskau, Kiew und St. Petersburg.
Etwas früher an diesem Tag hatte ihn ein Anruf eines Klienten erreicht, den er nur als anonyme Stimme am Telefon kannte. Sein Akzent klang amerikanisch und deshalb nannte ihn Zviad auch nur den Amerikaner. Hin und wieder heuerte er Zviad an, um jemanden umzubringen oder um an Industriegeheimnisse zu gelangen. Einmal hatte er ihm Pläne für eines der neuen Kampfflugzeuge besorgen sollen. Für Zviad war ein Auftrag wie der andere, solange er nur gut genug dafür bezahlt wurde, und der Amerikaner zahlte immer sehr gut.
Dieses Mal wollte der Klient, dass sich Zviad nach Griechenland begab, um dort eine Frau zu entführen und sie lebend an einen bestimmten Ort zu bringen, wo sie jemand anderes in seine Obhut nehmen würde. Per Fax bekam er ein Foto von ihr zugesandt. Das Honorar fiel überaus großzügig aus. Zviad entschied, seinen jüngeren Bruder damit zu betrauen. Bagrat war so skrupellos wie er selbst. Er würde tun, was nötig sein würde.
Gelashvili wohnte im Herzen der Stadt, direkt vor dem Gartenring und nahe des Gorky Parks. Von der Balkontür in seinem Arbeitszimmer aus konnte er mit bloßem Auge den Park überblicken. Seine Frau hatte sich eine Wohnung gewünscht, die zentral gelegen war. Er mochte es, wenn er Bedisa verwöhnen konnte. Sie belohnte ihn dafür nämlich immer mit sexuellen Improvisationen, welche die Unannehmlichkeiten ihrer bloßen Anwesenheit wieder wettmachten. Bislang hatte sie ihn leider nur mit zwei Töchtern enttäuscht. Nächstes Mal würde es hoffentlich ein Junge werden.
Der Klatsch und Tratsch, den Bedisa in den vornehmen Salons und Geschäften aufschnappte, die vornehmlich von den wohlhabenderen Frauen Moskaus frequentiert wurden, erwies sich oft als recht nützlich. Seine Frau war gerissen. Alles in allem also ein guter Tausch. Zviad hoffte, dass sie niemals etwas Indiskretes tun würde, denn es wäre eine Schande, wenn die Kinder ihre Mutter verlieren würden.