Die Barriere verlief jetzt wieder in Richtung Südwest. Bei einer frischen Brise aus Ost setzten wir die Segel, die wir um 19 Uhr jedoch wieder einholen mussten, weil die Endurance eine Stunde lang von Packeis aufgehalten wurde. Wir nutzten die Pause zum Loten und stellten 268 Faden Tiefe fest, der Grund bestand aus Gletscherschlamm und Kieseln. Dann öffnete sich vor uns eine schmale Rinne. Wir rauschten mit Volldampf hindurch, und um 20:30 Uhr fuhr die Endurance auf einer weiten Wasserfläche unter Segel Richtung Süden. Ich hielt Ausschau nach möglichen Landungsplätzen, auch wenn ich nicht die Absicht hatte, ohne Not nördlich der Vahselbucht an der Luitpoldküste an Land zu gehen. Jede weitere in Richtung Süden zurückgelegte Meile bedeutete eine Meile weniger im Schlitten, wenn es an die Kontinentalquerung ging.
Kurz vor Mitternacht des 15. Januars kamen wir an die Nordflanke eines riesigen Gletschers oder Eisflusses aus dem Inlandeis, der über die Barriere ins Meer hinausragte. Er war vier- oder fünfhundert Fuß hoch, und an seinen Rändern drängten sich Massen von Buchteneis. Die Bucht, die von der Nordflanke dieses Gletschers gebildet wurde, wäre ein hervorragender Landungsplatz gewesen. Ein flacher Eisvorsprung etwa drei Fuß über Meereshöhe sah wie eine natürliche Kaimauer aus. Von dort stieg ein Abhang zum Gipfel der Barriere an. Die Bucht war vor dem Wind aus Südost geschützt und bot nur den Nordwinden Zugang, was in diesen Breiten höchst selten vorkommt. Eine Lotung ergab achtzig Faden Tiefe, was zeigte, dass der Gletscher bis zum Grund reichte. Ich gab dem Ort den Namen Glacier Bay und hatte später Grund, mich mit Wehmut an ihn zu erinnern.
Die Endurance dampfte etwa siebzehn Meilen an diesem Eisfluss entlang. Der Gletscher wies viele Spalten und durch hohen Druck entstandene Kämme auf und schien im Landesinneren bis zu eisbedeckten Hängen oder Hügeln von 1000 bis 2000 Fuß zurückzureichen. Einige seiner Buchten waren mit glattem Eis überzogen, auf dem sich Robben und Pinguine tummelten. Am 16. Januar erreichten wir um 4 Uhr den Rand einer weiteren riesigen Gletscherzunge, die sich ins Meer hineinschob. Das Eis schien über niedrige Hügel zu gleiten und war sehr brüchig. Die Gletscherfront war 250 bis 300 Fuß hoch, das Eis zwei Meilen weiter im Land etwa 2000 Fuß. Die im Meer liegende Front wies eine Gezeitenmarke von etwa sechs Fuß auf, was bewies, dass der Gletscher nicht schwamm. Wir dampften vierzig Meilen an diesem gewaltigen Gletscher entlang und wurden dann um 8:30 Uhr von festem Packeis aufgehalten, das sich anscheinend zwischen gestrandeten Eisbergen verkeilt hatte. Die Tiefe betrug zwei Kabellängen vor den Klippen der Barriere 134 Faden. An diesem Tag gab es kein Weiterkommen mehr, doch die mittags ermittelte Position von 76° 27' S und 28° 51' W ergab, dass wir in den letzten vierundzwanzig Stunden 124 Meilen nach Südwesten vorangekommen waren. An diesem Nachmittag gab es noch ein Vorkommnis. Die Eisberge in der Umgebung waren sehr groß, einige davon über zweihundert Fuß hoch. Manche saßen fest auf Grund und trugen Gezeitenmarken. Ein Eisberg in der Barriere schien über fünfundzwanzig Meilen lang zu sein. Wir trieben das Schiff gegen einen kleineren, gestreiften Eisberg, von dem Wordie einige größere Brocken Biotit-Granit als Probe nahm. Während die Endurance langsam gegen den Eisberg drückte, ertönte ein lautes Krachen, und der Geologe musste sofort zurück an Bord klettern. Die Streifen dieses Eisbergs waren besonders ausgeprägt, sie rührten von den Moränen des Muttergletschers her. Später am Tag frischte der Ostwind zu einem Sturm auf. Kleine Eisschollen trieben mit einer Geschwindigkeit von zwei Knoten vorbei, und das Packeis in Lee begann schnell aufzubrechen. Ein niedriger Eisberg mit geringem Tiefgang trieb in das mahlende Packeis, rammte zwei größere gestrandete Eisberge und stieß sie vom Ufer fort. Alle drei trieben ineinander verkeilt weiter, während wir in Lee eines großen gestrandeten Eisbergs Schutz suchten.
Ein Blizzard aus Nordnordost zwang uns am folgenden Tag, Sonntag dem 17. Januar, im Schutz des Eisbergs zu bleiben. Das Wetter klarte auf, aber der Sturm trieb dichte Schneewolken vom Land heran und versperrte die meiste Zeit den Blick auf die Küstenlinie. »Bei klarer Sicht scheint das Land höher als wir gestern dachten, wahrscheinlich steigt es bis auf 3000 Fuß über den Gipfel des Gletschers an. Die Cairdküste, wie ich sie genannt habe, verbindet das von Bruce 1904 entdeckte Coatsland mit dem 1912 von Filchner entdeckten Luitpoldland. Der nördliche Teil besitzt einen ähnlichen Charakter wie Coatsland. Ihm ist eine gewellte Barriere vorgelagert, die Spitze einer mächtigen Eisdecke, die aus dem höher gelegenen Inneren des antarktischen Kontinents herausgeschoben wird und offensichtlich über niedrige Hügel, Ebenen und flache Seen hinwegschleift, so wie die große arktische Eisdecke einst über Nordeuropa hinweg gewalzt ist. Die Oberfläche der Barriere ist von See aus gesehen von einer blassen goldbraunen Farbe. Sie endet für gewöhnlich in Klippen, die zwischen zehn und dreihundert Fuß hoch sind, doch an manchen Stellen fällt sie bis auf Meereshöhe. Die Klippen sind von blendendem Weiß, mit herrlichen blauen Schatten. Weiter im Landesinneren kann man höhere Hänge erkennen, die wie dunkle blaue oder blassgoldene Schäfchenwolken aussehen. Diese entfernten Hänge sind mit unserer Fahrt nach Südwest nähergekommen und deutlicher sichtbar geworden, während die Klippen der Barriere hier höher und fester zu sein scheinen. Wir befinden uns jetzt nahe beim Übergang zum Luitpoldland. An diesem südlichen Ende der Cairdküste stürzt die Eisdecke, die sich über das darunter verborgene und eingeschlossene Land hinwegwellt, in gewaltigen Gletschern einen steilen Abhang hinab, zerklüftetes und gezacktes Eis, gesäumt von Tausenden von Gletscherspalten. Auf der gesamten Länge der Küste haben wir weder freiliegenden Boden noch nackten Fels gesehen. Außer hier und da einem vereinzelten Nunatak35 schien nichts diese Fläche aus Eis und Schnee zu durchbrechen. Aber die ansteigende Neigung der Eishänge Richtung Horizont und die Kämme, Terrassen und Spalten, die auftauchen, wenn das Eis sich dem Meer nähert, künden von den darunter liegenden Hügeln und Tälern.«
Bis zum 18. Januar um 7 Uhr lag die Endurance in Lee des gestrandeten Eisbergs. Der Sturm war zu diesem Zeitpunkt abgeflaut, sodass wir unter Segel südwestlich durch eine Wasserrinne fahren konnten, die sich vor der Gletscherfront aufgetan hatte. Wir umfuhren den Gletscher bis 9:30 Uhr, als er in zwei Buchten endete, die sich nach Nordwesten öffneten, aber von zwei gestrandeten Eisbergen nach Westen hin abgeschirmt waren. Die Küste dahinter verlief leicht ansteigend in Richtung Südsüdwest.
»Das Packeis zwingt uns jetzt vierzehn Meilen westlich zu fahren, bis wir einen breiten Gürtel aus großen Eisbrocken und Growlern durchbrechen. Wir segeln nur unter vorderem Toppsegel, die Maschinen haben wir zum Schutz der Schiffsschraube gestoppt. So gelangen wir in offenes Wasser, wo wir vierundzwanzig Meilen Richtung S 50° W fahren. Dann stoßen wir erneut auf Packeis, das uns zehn Meilen nach Nordwest abdrängt, bis wir von dicken Schneeklumpen, Trümmereis und großen losen Eisschollen aufgehalten werden. Die Struktur des Packeises verändert sich. Die Eisschollen sind sehr dick und mit tiefem Schnee bedeckt. Das zertrümmerte Eis zwischen den Schollen ist so dick und massiv, dass wir nur mit großem Kraftaufwand hindurchkommen, und dann auch nur für eine kurze Strecke. Daher drehen wir für eine Weile bei, um abzuwarten, ob sich das Eis überhaupt noch öffnet, wenn dieser Wind aus Nordost