Die Mittagsposition am 8. Januar war 70° 0' S und 19° 09' W. Wir hatten in den vergangenen vierundzwanzig Stunden sechsundsechzig Meilen in nordöstlicher Richtung zurückgelegt. Am Nachmittag verlief unser Kurs Ostsüdost durch loses Packeis und offenes Wasser mit zahlreichen zerklüfteten Eisschollen im Süden. Es kamen etliche Wasserrinnen Richtung Süden in Sicht, wir hielten aber den östlichen Kurs bei. Die Eisschollen wurden weniger, und es gab Anzeichen von offenem Wasser voraus. Das Schiff passierte an diesem Tag nicht weniger als fünfhundert Eisberge, von denen einige eine enorme Größe besaßen. Ein dunkler Wasserhimmel33 dehnte sich am nächsten Morgen von Ost nach Südsüdost aus, und die Endurance arbeitete sich mit halber Kraft durchs lose Packeis und erreichte kurz vor Mittag das offene Wasser. Am Rand des losen Packeises lag wie ein Schutzwall ein 150 Fuß hoher und eine viertel Meile langer Eisberg. Wir segelten über einen vorstehenden Ausläufer dieses Bergs in das wogende Meer, das sich bis an den Horizont erstreckte. Das freie Wasser dehnte sich etwa von Südsüdwest über Ost bis nach Nordnordost aus, und genau über dem Süden hing ein hochwillkommener und vielversprechender dunkler Wasserhimmel. Ich legte den Kurs auf Süd bei Ost, um sowohl südlich wie östlich des südlichsten Punkts zu kommen, zu dem Ross vorgestoßen war (71° 30' südlicher Breite).
Wir blieben hundert Meilen im offenen Wasser, passierten viele Eisberge, stießen aber nicht auf Packeis. Zwei sehr große Wale, wahrscheinlich Blauwale, schwammen nahe ans Schiff heran, sodass wir ringsum ihre Fontänen sahen. Offenes Wasser inmitten des Packeises auf diesem Breitengrad mag den Walen, die weiter im Norden von den Menschen gehetzt werden, wie ein Heiligtum vorkommen. Die Fahrt Richtung Süden in blauem Wasser und mit offen vor uns liegender Wegstrecke war nach dem langen Kampf in den vereisten Fahrrinnen eine erfreuliche Erfahrung. Aber wie alle guten Dinge fand auch die Zeit unseres ungehinderten Vorankommens schließlich ein Ende. Am 10. Januar um 1 Uhr stieß die Endurance erneut auf Eis. Loses Packeis erstreckte sich von Ost nach Süd, während im Westen offenes Wasser und ein guter Wasserhimmel zu sehen waren. Es bestand zum Teil aus stark zerklüfteten Eis, das Anzeichen großen Druckes trug, aber auch viele dicke, flache Schollen enthielt, die sich offenbar in einer geschützten Bucht gebildet hatten und weder Druck noch Bewegung ausgesetzt gewesen waren. Der Strudel unseres Kielwassers spülte Kieselalgenschaum von den Rändern des Eises herab. Gegen 9 Uhr war das Wasser voller Kieselalgen, und ich ließ das Lot auswerfen. Bis 210 Faden wurde kein Grund geortet. Die Endurance setzte an diesem Morgen ihre Fahrt nach Süden durch das lose Packeis fort. Wir sichteten die Fontänen etlicher Wale und beobachteten einige Hundert Krabbenfresserrobben, die auf den Schollen lagen. Es gab auch viele weiße Seeschwalben, Antarktik- und Schneesturmvögel und auf einem kleinen Eisberg tummelte sich eine Kolonie Adeliepinguine. Wir sahen auch ein paar Schwertwale mit ihrer charakteristischen hohen Rückenflosse. Die Mittagsposition war 72° 02' S und 16° 07' W. In den letzten vierundzwanzig Stunden hatten wir 136 Meilen Richtung S 6° O zurückgelegt.
Wir befanden uns nun unweit der Küste, die Dr. W. S. Bruce, Leiter der »Scotia«-Expedition, 1904 entdeckt und Coatsland benannt hatte. Dr. Bruce war bei 72° 18' S und 10° W auf eine Eisbarriere gestoßen, die sich von Nordost nach Südwest erstreckte. Er fuhr 150 Meilen nach Südwest an ihrem Rand entlang und erreichte 74° 1' N und 22 W. Er entdeckte keinen nackten Fels, aber seine Beschreibung von ansteigenden Hängen aus Schnee und Eis und seichtem Wasser vor der Barriere deuteten klar auf Land hin. An einem dieser Abhänge, so weit südlich wie möglich, wollte ich den Marsch quer über den antarktischen Kontinent beginnen. Alle Mann hielten jetzt Ausschau nach der von Dr. Bruce beschriebenen Küste, und um 17 Uhr meldete der Ausguck Richtung Südsüdost Land in Sicht. Wir konnten einen sanften Schneehang zu einer Höhe von tausend Fuß ansteigen sehen. Es schien eine Insel oder Halbinsel zu sein, mit einem Sund an ihrer Südseite. Ihre nördliche Spitze lag bei 72° 34' S und 16° 40' W. Die Endurance fuhr durch dickes, lockeres Packeis und bog kurz vor Mitternacht am Rand der Barriere in eine Rinne offenen Wassers ein. Eine Messung mit dem Lot ergab in einer Kabellänge34 Entfernung bei 210 Faden keinen Grund. Die Eisbarriere selbst war siebzig Fuß hoch, mit vierzig Fuß hohen Klippen. Die Scotia muss diese Stelle passiert haben, als sie am 6. März 1904 mit Bruce zum südlichsten Punkt seiner Expedition vorstieß. Ich wusste aus Berichten von dieser Reise und auch aus eigenen Beobachtungen, dass die Küste in südwestlicher Richtung verlief. Die offene Wasserrinne führte weiter an der Barriere entlang, und wir kamen ohne Verzögerung voran.
Am Morgen des 11. Januars brachte eine östliche Brise Wolken und Schneefall. Die Barriere verlief Südwest bei West, und wir folgten ihr bis 11 Uhr fünfzig Meilen weit. Morgens waren die Klippen zwanzig Fuß hoch gewesen, am Mittag erreichten sie eine Höhe von 110 bis 115 Fuß. Die Bergkuppe war scheinbar um zwanzig bis dreißig Fuß angewachsen. Einmal wurden wir von sehr schwerem Packeis für drei Stunden von der Barriere abgedrängt. Ansonsten gab es an ihrem Rand nur offenes Wasser, bei hohem, losem Packeis in West und Nordwest. Wir beobachteten, wie eine Robbe auf und ab wippte, um einen langen silbrigen Fisch hinunterzuschlucken, der ihr mindestens achtzehn Zoll aus dem Maul hing. Die Mittagsposition war 73° 13' S und 20° 43' W. Die Lotung eine Meile von der Barriere entfernt ergab eine Tiefe von 155 Faden. Der Grund bestand aus groben vulkanischen Kieseln. Das Wetter trübte zunehmend ein, und ich hielt Kurs Richtung West, wo der Himmel offenes Wasser anzeigte, bis wir um 19 Uhr das Schiff an einer Scholle im losen Packeis längsseits legten. Es begann stark zu schneien, und ich machte mir Sorgen, ob der Westwind das Packeis nicht gegen die Küste treiben und das Schiff zerquetschen würde. Die Nimrod war 1908 im Rossmeer einem solchen Schicksal nur knapp entkommen.
Um 5 Uhr setzten wir am nächsten Morgen, dem 12. Januar, die Fahrt fort, bei bedecktem Himmel mit Nebel und Schneeschauern, und vier Stunden später brachen wir durch loses Packeis in offenes Wasser. Es herrschte schlechte Sicht, aber wir hielten Kurs Südost und hatten bis zum Mittag vierundzwanzig Meilen zurückgelegt. Bei Position 74° 4' S und 22° 48' W ergaben drei Lotungen 95, 128 und 103 Faden Tiefe, mit einem Grund aus Sand, Kieseln und Schlamm. Clark machte mit seinem Netz einen guten Fang an biologischen Proben. Die Endurance befand sich nun ganz dicht an der Barriere mit einem breiten Gürtel aus Packeis, in dem viele Eisberge wahrscheinlich am Grund festgefroren waren. Das feste Eis bog Richtung Nordwest ab, und wir fuhren an seinem Rand achtundvierzig Meilen Richtung N 60° W, um es zu umgehen.
Jetzt waren wir über den Punkt, den die Scotia erreicht hatte, hinaus, und das Land unter der Eisdecke, an deren Rand wir entlangfuhren, war Neuland. Die Biegung nach Norden kam unerwartet, und ich vermutete, dass wir eine riesige Eiszunge umfuhren, die an der eigentlichen Barriere hing und sich Richtung Norden erstreckte. Diese Vermutung sollte sich bestätigen. Die ganze Nacht lang umfuhren wir das Eis Kurs Nordwest, dann West bei Nord, und um 4 Uhr bogen wir wieder nach Südwest ab. Am 13. Januar um 8 Uhr steuerten wir Kurs Südsüdwest. Um Mitternacht war die Barriere niedrig und weit entfernt, um 8 Uhr trennte sie nur ein schmaler, etwa zweihundert Yard breiter Eisgürtel vom offenen Wasser. Ab Mittag gab es immer größere Lücken im Eisgürtel. An einer Stelle senkte sich die Barriere in einem Abhang bis auf Meereshöhe. Wir hätten dort ohne Schwierigkeiten Ausrüstung anlanden können. In vierhundert Fuß Entfernung von der Barriere machten wir eine Lotung, fanden aber bei 676 Faden keinen Grund. Um 16 Uhr folgten wir noch immer der Barriere nach Südwest, als wir eine Biegung erreichten, wo sie abrupt nach Südost zurückwich. Unser Weg wurde von sehr dickem Packeis versperrt. Nachdem wir stundenlang vergeblich nach einer Lücke gesucht hatten, machten wir die Endurance an einer Eisscholle fest und drosselten die Maschinen. An diesem Tag waren wir an zwei Rudeln von Robben vorbeigekommen, die sich schnell Richtung Nordwest und Nordnordost bewegten. Die Tiere schwammen dicht an dicht, tauchten auf und bliesen wie Tümmler, und wir fragten uns, ob ihre Reise gen Norden zu dieser Jahreszeit irgendeine Bedeutung hatte. Am Tag zuvor waren einige junge Kaiserpinguine gefangen und an Bord gebracht worden. Zwei von ihnen waren noch am Leben, als die Endurance an der Eisscholle längsseits ging. Prompt hüpften sie aufs Eis hinab, drehten sich um, verbeugten sich drei Mal artig und zogen sich auf die andere Seite der Scholle zurück. Es liegt etwas seltsam Menschliches im Benehmen und in den Bewegungen dieser Vögel. Ich machte mir Sorgen um die Hunde. Sie waren in schlechter Verfassung, einige schienen zu kränkeln. Am 12.