Dabei drückte er Luises Hand stärker, als es wohl nötig war, und sah ihr so fest in die Augen, daß sie, statt zu danken, nur eine kurze Bewegung machte, worauf er, noch ehe sie saß, wieder auf seinen Sessel glitt und die Beine übereinanderschlug.
»Daß es auch so kommen mußte!« sagte er; aber aus seinen Worten sprach mehr Spott als Mitgefühl.
So empfand es jedenfalls Luise; und dieser breite und schwere Mensch mit dem gelben Teint, seinen 44 Jahren, den falsch dreinschauenden Schlitzaugen hinter der goldenen Brille, dem aufgedunsenen, sinnlichen Mund und dem tiefschwarzen, sorgsam gescheitelten Haar ekelte sie an.
»Tut es Ihnen wirklich leid?« fragte sie ihn. »Ich habe das Gefühl, als müßten gerade Sie eine gewisse Genugtuung über unser Unglück empfinden.«
»Ich wäre ein schlechter Mensch, wenn ich das täte«, erwiderte er; aber er widersprach nicht.
»Nun, ich glaube, daß das Herz bei Ihren Entschließungen in den seltensten Fällen spricht«, sagte Luise.
»Woraus schließen Sie das?«
»Weil man nicht mit Sentiments arbeiten darf, um so große und vor allem so schnelle geschäftliche Erfolge zu erzielen wie Sie.«
»Ich bewundere Ihre Schärfe«, antwortete Mohr und sah sie groß an. »Ich wußte gar nicht, daß Sie auch über solche Dinge nachdenken.«
»Gewiß, mich interessieren auch Menschen, die ganz anders sind als ich.«
»Aber dies Interesse würde nie so weit gehen, um einem solchen Manne Ihr Vertrauen zu schenken.«
»O doch!« erwiderte Luise schnell. Der Kommerzienrat rückte näher; schob die Beine nach vorn, setzte die Brille zurecht und schnalzte mit der Zunge; er tat das immer, sobald er von Dingen sprach, die für ihn von Bedeutung waren.
»Dann haben sich Ihre Ansichten aber seit dem Tode Ihres Herrn Papa gewaltig verändert«, sagte er.
»Durchaus nicht«, gab sie zur Antwort. »Die Verhältnisse haben sich geändert. Ich kann heute nicht mehr wie damals nur nach meinen Gefühlen handeln; ich habe Rücksichten, meinetwegen auch Pflichten, die ich früher nicht hatte – das ist der ganze Unterschied.«
»Sieh einmal an! Wie amüsant!« entschlüpfte es ihm.
»Ich finde es höchst widerwärtig, daß es so ist – aber schließlich: meine Jugend war so schön, daß man auch ein kleines Opfer nicht gar so tragisch nehmen darf.«
»Sie sind sehr offen, mein verehrtes Fräulein«, erwiderte er und grinste ganz niederträchtig; »aber das reizt mich, das gefällt mir!«
»Um so besser! Denn es wäre mir unmöglich, Gefühle zu heucheln, wo . . .« sie stockte.
»Nun bitte!«
»Man braucht die Offenheit nicht weiter zu treiben, als es nötig ist!« erwiderte sie.
Aber er drang darauf. »Wenn ich Sie bitte! Ich sage Ihnen doch, das reizt mich, reizt mich ungemein. Sagen Sie’s nur! Nicht wahr, ich bin Ihnen widerwärtig! Oh, Sie haben es mir ja schon einmal gesagt; Sie haben einen Ekel vor mir! – Sehen Sie, so muß eine Frau sein, die ich liebe. Nur keine Süßigkeiten, kein Schmachten, keine liebevolle Hingabe!« – Der Schweiß trat ihm auf die Stirn, seine Augen tränten, und aus den Mundwinkeln lief ihm der Speichel. »Zwingen gegen Ihren Willen, jede Nacht von neuem, darin liegt der große Reiz; darum kann ich mir nicht wie andere Maitressen halten und Frauen kaufen, weil sie entweder lieben oder völlig apathisch sind – Sie aber . . .«
Luise schüttelte sich vor Ekel. Er war jetzt ganz nahe an sie herangerückt, seine schweißige Hand lag auf ihrem Schoß, und er sah sie so sudelig an, daß sie Übelkeit verspürte.
»Sie aber hassen mich«, fuhr er fort. »Sie werden sich immer von neuem wehren; sich vor mir verbergen; ich werde Sie immer von neuem erobern müssen; und Sie werden mich innerlich verfluchen, so oft ich Sie in meinen Armen habe.«
Er stand jetzt auf und wollte nach ihr greifen; seine Hand lag schon auf ihrer Schulter, und sie spürte den heißen Atem, der aus seinem Munde kam.
Sie hob den Stuhl in die Höhe und trat ein paar Schritte zurück.
»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie Sie mir zuwider sind«, rief sie. »Ich könnte Ihnen ins Gesicht spucken.«
»Tun Sie’s, bitte, tun Sie’s!« brüllte er laut und stellte sich in seiner ganzen Breite vor sie hin. »Ich lechze danach!«
»Ich wollte das Opfer bringen!« schrie Luise; »Ihnen heute sagen, daß ich meine Weigerung von damals bedaure, daß ich mich anders besonnen habe und bereit bin, Ihre Frau zu werden; aber . . .«
Weiter kam sie nicht. Er brüllte jetzt vor Vergnügen.
»Frau?« rief er. »Sind Sie naiv, mein Kind! Heiraten! Sie! Nach dem, was vorgefallen ist? Sie womöglich in die Gesellschaft einführen! Mutter meiner Kinder werden lassen . . .! Oh, das wäre köstlich!«
Luise traute ihren Ohren nicht! Dies Vieh ist rasend, dachte sie; aber sie überzeugte sich, daß er ganz ruhig wurde, allmählich wieder in Haltung kam und jeden Wort abwog, das er sprach:
»Ich danke meinem Schöpfer, daß Sie mich vor zwei Monaten abgewiesen haben. Sonst säße ich heute schön in der Tinte! Wäre als naher Verwandter gesellschaftlich boykottiert und – was schlimmer ist – geschäftlich ruiniert. – Nein, mein Engel, davon kann natürlich keine Rede mehr sein! – Ich kenne Ihre Verhältnisse genau und weiß, daß Sie und Ihre Mutter, wenn Sie nicht betteln gehen wollen, keine Wahl mehr haben; – — darum habe ich mich beeilt, um als erster hier zu sein – Sie verstehen,« sagte er spöttisch – »denn Sie sind schön und jung – bald werden andere kommen.«
Luise stand regungslos an die Wand gelehnt und krallte die Fingernägel in die Tapete.
»Zu meiner Geliebten will ich Sie haben! – Und Sie werden ›Ja‹ sagen, so gewiß ich hier vor Ihnen stehe. – Heute und morgen werden Sie sich vielleicht noch sträuben – aber in ein paar Tagen, wenn Sie ruhiger geworden sind, dann werden Sie von selbst kommen.«
Er trat an sie heran; sie stand noch immer unbeweglich.
»Sie wissen, wo Sie mich finden! Ich bin für Sie immer zu sprechen. – Ich erwarte Sie! —«
Dann ging er.
Luise biß die Zähne aufeinander.
»Nie!« sagte sie; zitterte am ganzen Körper, starrte zur Tür und tastete schwankend zum nächsten Sessel, auf den sie wie tot niederglitt.
III
Als Harry nach des Vaters Tode von Mutter und Schwester Abschied nahm, da hatte Luise ihm in die Hand gelobt, daß sie mit allen großen und kleinen Sorgen, die sie bisher zum Vater getragen hatte, von nun an zu ihm kommen werde.
Sollte ihr erster Brief mit der Schilderung der bedrängten Verhältnisse beginnen, unter denen die Mutter litt? Sollte sie gar von der qualvollen Stunde ihrer Begegnung mit Kommerzienrat Mohr berichten? Das eine war so unmöglich wie das andere. Was sich in dieser Stunde zugetragen hatte, verbarg sie selbst vor der Mutter. Die wußte nur, daß Luise die abermalige Werbung weder angenommen noch abgelehnt, sich vielmehr ein paar Tage Zeit erbeten hatte, während der sie diesen bedeutsamen Schritt noch einmal erwägen wollte.
Wie schwer es doch war, zu lügen, wenn einem die Übung fehlte! Nicht einmal ein paar heitere Zeilen an ihren Bruder brachte sie fertig. So sehr sie sich zwang, alle Traurigkeit zu verbergen, aus ihren Worten klang es doch immer, als wenn sie das alles nur schrieb, um nicht von dem zu sprechen, was sie bedrückte. Das kam daher, daß sie so gar nicht Herr ihrer Gedanken war; die führten sie immer wieder zum Vater; dann wurde ihr schwer; sie hörte auf zu denken; vergaß alles andere; vergrub sich in ihrem Kummer; gab sich ihm willenlos hin.
Und denken mußte sie doch, wollte sie vorwärts kommen. – Wieviel leichter sie sich das alles gedacht hatte!
»Wenn nicht ein Wunder geschieht,« hatte die Muttee gesagt, »dann bleibt uns nichts anderes übrig, als Harry die Wahrheit