»Wer ist der Esel?« fragte Luise.
»Dein lieber Onkel, der Professor.«
»Daß ich noch frage!« rief sie aus. »Dieser Philister, der nie gefühlt hat, mit welcher himmlischen Ironie Papa ihn kerzengerade wie ein Stück Holz, starr und bewegungslos, auf die Leinewand warf.«
Fanny geriet in Bewegung; sollte sie nicht ehrlich gegen ihr Kind sein und ihm sagen, daß er es war, der den Vater in den Tod getrieben hatte? – Nein! Jetzt nicht! Vielleicht später, entschied sie; wenn die Zeit den ersten Eindruck etwas verwischt hatte!
»Und immer, wenn wir traurig sind – und das wird wohl oft sein in nächster Zeit,« sagte Luise, »dann stellen wir uns beide vor dies Bild; das wirkt unfehlbar! Wenn wir da ernst bleiben, steht es schlimm um uns.«
Sie ist doch noch ein halbes Kind, dachte Fanny; aber sie wird es, wie ihr Vater, zeit ihres Lebens sein! – Gott geb’ es! fügte sie hinzu. Man könnte ja auch dieses Bild verkaufen, dachte sie weiter, aber sie sprach es nicht aus. Wenn es die Wirkung hatte, dann sollte es als letztes Stück im Hause bleiben.
Luise stand am Telephon und mühte sich, Anschluß zu bekommen.
»Warum läßt du dich nicht von Franz verbinden?« fragte Fanny.
»Aber Mama,« erwiderte sie, »in vierzehn Tagen gibt es hier keinen Diener, keine Zofe mehr; es ist doch besser, man gewöhnt sich beizeiten.«
Sie war verbunden: »Hier Luise Kersten, ist Herr Casper da?«
»Guten Tag, Herr Casper; sagen Sie, Sie kennen doch die beiden letzten Bilder von Papa?«
»Ja! Eben die! – Wollen Sie sie haben?«
»Den Preis müssen Sie nennen; ich weiß, Sie haben Papa lieb gehabt und werden zahlen, was sie wert sind.«
»Mit 15.000 Mark? Aber natürlich bin ich damit zufrieden; soviel haben wir gar nicht einmal erwartet. – Wie schade, daß Papa das nicht mehr hört; er hat auf Ihr Urteil immer so viel gegeben.«
»Ja, abgemacht! Ich danke Ihnen sehr! Adieu, Herr Casper!« —
Sie hängte den Hörer wieder an und wandte sich um.
»Bitte, Mama! Was sagst du nun zu deiner geschäftstüchtigen Tochter?«
Fanny war ganz aufgeregt: »Hast du dich auch nicht verhört?«
»Aber Mama!« erwiderte Luise und hatte Mühe, ihrer Mutter klarzumachen, daß jeder Irrtum ausgeschlossen war. – Schon stand sie wieder am Telephon und ließ sich mit dem Hofbankier Walther verbinden.
»So!« rief Luise in den Apparat. »Der Herr Geheimrat ist nicht zu sprechen? Dann sagen Sie, bitte, daß seine Nichte ihn zu sprechen wünscht und so lange hier wartet, bis er Zeit findet.«
Kaum eine Minute verging.
»Ah! Bist du’s, Onkel?«
»Danke, einigermaßen; – — Mama auch; hör’ mal, wir haben deinen Brief und Scheck erhalten. Wir danken dir für dein ›Entgegenkommen‹ » – das klang sehr ironisch – »möchten aber nicht gern, daß du gegen dein Gefühl . . .«
Hier unterbrach er sie wohl; denn sie hörte auf zu sprechen und bewegte nur lebhaft den Kopf.
»Also« . . . weiter kam sie nicht.
»Wir wollen aber nicht!« brüllte sie schließlich in den Apparat. »Wir verzichten auf deine Gnade! Wir brauchen dich nicht!«
»So!« schrie Luise. »Ich wüßte nicht, seit wann du Bilder zu beurteilen verständst! Jedenfalls, uns sind sie mehr wert. Franz ist in einer halben Stunde mit dem Scheck bei dir und holt sie ab.«
»Was, das geht nicht? Warum nicht?«
»Du hast sie verkauft? An wen?«
»So? Das geht mich nichts an? Vielleicht aber interessiert es mich, zu erfahren, wieviel du daran verdient hast.«
Ein Brüllen durchs Telephon. Der Geheimrat hing an.
»Verlaß dich darauf,« sagte Luise in aller Ruhe und hing den Hörer an, »er hat mehr als das Dreifache daran verdient, dein lieber Schwager . . . Aber ganz gut! Man ist nun wenigstens fertig mit dem Gesindel!«
Der Diener meldete den Kommerzienrat Mohr.
»Aber Sie sollten doch keinen Besuch . . .«
Luise unterbrach ihre Mutter:
»Mit Ausnahme des Herrn Mohr; ich habe das Franz ausdrücklich eingeschärft« – und zum Diener gewandt fuhr sie fort:
»Bitte in den Salon!«
»Was bedeutet das?« fragte Frau Fanny, die sich an die Selbständigkeit ihrer Tochter zwar allmählich gewöhnte, hier aber doch einigermaßen erstaunt war.
»Ich begreife dich nicht, Luise, seit seiner erfolglosen Werbung gehst du ihm überall aus dem Wege – besuchst nicht einmal Gesellschaften, auf denen du fürchtest, ihm zu begegnen, und nun . . .«
»Das war einmal«, erwiderte Luise und sah ihre Mutter traurig an; »diesen Luxus kann ich mir heute nicht mehr gestatten.«
»Soll das etwa heißen? – Aber nein, das ist nicht möglich – du kannst im Ernste nicht daran denken.«
»Doch Mama, ich denke daran, und zwar sehr ernstlich . . . in einer halben Stunde werde ich seine Braut sein.«
»Luise!« schrie Frau Fanny entsetzt, »bist du von Sinnen? Ich gebe das nie zu! Ich weiß, wie dir dieser rohe Mensch im Innersten zuwider ist – du willst dich opfern! – Lieber wollen wir anständig verhungern.«
»Und Harry?« warf Luise ein und sah der Mutter in die Augen. »Ja, wenn’s nur um uns ginge! Aber verlaß dich darauf, ich weiß, was ich tue. Ich vergebe mir nicht mehr, als unbedingt nötig ist. Dies Opfer aber muß sein! Es ist nicht etwa ein Gedanke, der mir so im Augenblick gerade kommt. Seit Vaters Tode habe ich Stunde um Stunde darüber nachgedacht – aber es gibt keinen anderen Weg. Es ist der einzige!«
»Du darfst das nicht!« erklärte Fanny; aber ihr Widerspruch klang schon zögernd: »Das geht zu weit.«
»Auch dann nicht, wenn ich mein Glück darin finde, Harry den Weg zu ebnen? Ja mehr: wenn ich darin eine Pflicht gegen den Vater sehe?«
Sie trat nahe an Frau Fanny heran:
»Sei ehrlich, Mama! Was nützt es, daß wir uns wehren? Wir werden den Vater nie vergessen! Du so wenig wie ich. Harry ist sein Vermächtnis! In ihm lebt das fort, was wir mit dem Vater zu Grabe trugen. Und darum werden wir ihn halten und durchsetzen um jeden Preis.«
Sie legte ihre Arme um Frau Fannys Hals und sah ihr in die Augen:
»Hab’ ich recht, Mama?« —
Frau Fanny schwieg.
»Siehst du!« sagte Luise. »Nun widersprichst du nicht mehr und – das mußt du mir versprechen – wirst zu allem, was nun kommt, ein fröhliches Gesicht machen.«
Sie schritt zum Schreibtisch; nahm wieder den großen Bogen mit den vielen Zahlen, riß ihn in tausend Fetzen und warf ihn in den Papierkorb. Dann ging sie hinaus, den Korridor entlang und trat in den Salon.
Als sie eintrat, erhob sich der Kommerzienrat langsam von seinem Sessel, ging ihr entgegen, nahm ihre Hand