»Ja, ich denke, Sie fordern, daß wir in Ihre Ehe mit der bewußten Dame einwilligen. Sie werden uns dann also schon erklären müssen, worauf Sie eigentlich Ihren Anspruch gründen.«
»Auf unsere Liebe!« erwiderte Aletto mit dem selbstverständlichsten Gesichte von der Welt.
»Pappelapapp!« fuhr ihn der Professor an. »Für solche Luxusartikel scheint mir augenblicklich die ganze Situation der Familie wenig zugeschnitten zu sein. Aber selbst wenn sie es wäre, so würde sich der spezielle Fall doch damit erledigen, daß Herr Kommerzienrat Mohr, was Ihnen nicht bekannt zu sein scheint, bereits der von der Familie anerkannte künftige Gatte der betreffenden Dame ist. Und damit erübrigt sich wohl jede weitere Diskussion.«
Aletto wollte erwidern. Aber Mohr kam ihm zuvor.
»Sie werden begreifen, meine Herren, daß ich lediglich aus der Priorität nicht ein Recht herleiten möchte; da müssen doch andere Faktoren den Ausschlag geben.«
»Vergessen Sie nicht, daß wir in einem Rechtsstaat leben,« belehrte ihn der Professor, »in dem alles seine Ordnung hat. Das wäre ja helle Anarchie! Denken Sie doch, wo das hinführen würde!«
Aletto sah bald: mit diesen Leuten zu diskutieren, war zwecklos. Diese Menschen ließen sich nicht überzeugen; sie klebten an Begriffen und verurteilten alles, was nicht herdenmäßig ihre ausgetretene Straße ging. Nur was sie dachten und taten, war das Normale; während alles, was nicht in dem engen Kreise ihrer beschränkten Einsicht lag, für sie nicht existierte.
»Schließlich ist aber eine Ehe doch nicht nur ein Zweckverband!« sagte Mohr sehr gegen seine Überzeugung. »Ich weiß mich von allen Sentiments frei; aber am Ende muß doch auch so etwas wie ein Zusammengehörigkeitsgefühl vorhanden sein. – Und was die geschäftliche Seite der Angelegenheit betrifft, so würde durch den Eintritt des Herrn Aletto in meine Position die Lage unverändert bleiben.«
Geheimrat Walther begann wieder Interesse zu gewinnen.
»Denn,« fuhr Mohr fort, »Herr Aletto verpflichtet sich zu den gleichen Leistungen, wie ich sie der Familie Kersten gegenüber übernommen habe!«
Ganz gegen seine Absicht sagte der Geheimrat: »Soo!«
»Es bliebe also lediglich das Ideelle, womit wir uns zu beschäftigen hätten. Und da« – er wurde pathetisch – »muß ich denn doch sagen, daß der große Altersunterschied zwischen Fräulein Luise und mir entschieden zugunsten des Herrn Aletto spricht. Hinzu kommt – und das bedingt moralisch meinen Verzicht«, daß Fräulein Luise sich bereits für Herrn Aletto, also gegen mich, entschieden hat.«
»Das ist ja unglaublich!« rief der Oberlehrer.
»Was gab es denn da noch zu entscheiden, wo wir uns einmal in corpore für Sie erklärt hatten?« fragte mit großem Ernst der Professor. »Das ist ja ein völlig gesetzloser Zustand!«
»Aber das sieht ihr ähnlich!« brüllte der Oberlehrer.
»Ganz der Papa!« Und in seiner Wut schrieb er in sein Notizbuch eine dicke 5 und unterstrich sie.
»Ehrlos ist es!« sagte der Professor. »Ein anständiger Mensch hält sein gegebenes Wort! Sie durfte ihre Gefühle gar keinem anderen Manne zuwenden, nachdem wir uns einmal für Sie entschieden hatten. Jedenfalls ist diese Sinnesänderung für uns ohne jede Bedeutung – res judicita!« rief er sehr bestimmt.
Aber Geheimrat Walther, der durchaus den Geschmack Luises teilte und dem jugendlichen Aletto entschieden den Vorzug vor dem verschlagenen Mohr gab, sagte nicht ohne Ironie:
»Es gibt auch ein Wiederaufnahmeverfahren, lieber Onkel!«
»Nur falls neue und triftige Gründe vorliegen«, erwiderte er.
»Eben! Eben!« sagte der Geheimrat und wandte sich an den Kommerzienrat: »Nicht wahr, Sie würden Fräulein Kersten doch unter gar keinen Umständen gegen ihren Willen heiraten?«
»Man wird ihr den Willen aufoktroyieren!« sagte der Oberlehrer, noch ehe Mohr eine Antwort geben konnte.
Der Geheimrat wiederholte seine Frage. Mohr stand auf und erklärte: »So schwer mir der Verzicht fällt, aber es ist mir nach meiner ganzen Veranlagung absolut unmöglich, mit einer Frau zusammen zu leben, die mich nicht liebt.«
»Also«, sagte der Geheimrat, »bleibt uns gar keine Wahl – — – es sei denn, daß du, lieber Onkel, falls du den einen ablehnst und der andere verzichtet, bereit bist, an Stelle des Kommerzienrats Mohr die Mittel vorzuschießen.«
Der Professor ging der Beantwortung dieser Frage, die für sein Votum entscheidend war, aus dem Wege, indem er sich erhob und folgende Erklärung abgab:
»Herr Kommerzienrat! Wir können uns Ihren Argumenten nicht verschließen. Wir genehmigen daher Ihren Verzicht und erklären uns gleichzeitig damit einverstanden, daß Herr Aletto an die frei gewordene Stelle tritt. Alle übrigen Abmachungen bleiben bestehen und gehen mit dem heutigen Tage auf Herrn Aletto über. Wir erklären aber schon heute, daß diese Entscheidung unwiderruflich ist, und daß wir uns weiteren Personalveränderungen gegenüber schon aus ethischen Gründen prinzipiell ablehnend verhalten werden. – Von Herrn Aletto erwarten wir, daß er trotz seiner Jugend die Ehre, in unsere Familie aufgenommen zu werden, zu würdigen weiß und nun seinerseits seine ganze Kraft daran setzen wird, das moralische Bewußtsein in der Familie Kersten zu vertiefen.«
»Bravo!« rief der Oberlehrer.
Alle erwarteten nun, daß Aletto sich erheben, danken und seiner Freude Ausdruck geben würde. Statt dessen stand Mohr auf und sagte:
»Lassen Sie nun auch kurz noch den Vormund zu Worte kommen. Als solcher muß ich in Anbetracht der Jugend meines Mündels darauf bestehen, daß vor Ablauf eines Jahres kein offizieller Schritt in dieser Angelegenheit geschieht. Das auch mit Rücksicht auf Sie, meine Herren, denn die Welt würde eine Verlobung so unmittelbar nach dem traurigen Fall mit Recht als verfrüht und pietätlos empfinden. Die Liebesleute mögen sich in der Zwischenzeit schreiben und sehen . . . sie sind jung genug . . .«
»Das ist ganz ausgeschlossen!« rief Aletto dazwischen und sprang auf.
»Das ist schon mit Rücksicht auf uns ganz selbstverständlich«, sagte der Professor.
»Und ich erkläre Ihnen allen, daß ich mich nie und nimmer darauf einlassen werde«, rief mit aller Bestimmtheit Aletto. »Wollen Sie Skandal vermeiden, so ist es in Ihrem Interesse . . .«
»Ich protestiere mit aller Entschiedenheit!« rief Mohr dazwischen.
»Nun ja!« schrie der Professor; »wir sind noch gar nicht blamiert genug; der eine Skandal ist kaum vergessen, schon droht ein neuer.«
»Ich habe gleich gegen die Aufnahme eines Künstlers in unsere Familie protestiert!« rülpste der Oberlehrer und überschlug sich fast, so aufgeregt war er.
In aller Ruhe und Bestimmtheit wiederholte Aletto:
»Ich würde nicht ein Wort weiter reden, wenn es nicht im Interesse der jungen Dame läge, daß dieser Schritt mit Ihrem Wissen und Willen geschieht; . . . mir persönlich ist ein Skandal natürlich äußerst gleichgültig.«
»Fabelhaft!« schrie der Professor.
»Was sind das alles für Menschen!« rief der Oberlehrer und faßte sich an den Kopf.
Aletto ging achtlos darüber hinweg.
»Da Sie aber, wie mir scheint, nichts so sehr fürchten wie den Skandal, so bitte ich Sie, zu erwägen, ob es nicht in Ihrem eigenen Interesse liegt, meinem Vorschlage beizustimmen.«
Der Geheimrat suchte zu vermitteln:
»Was in aller Welt, junger Freund, drängt denn derart, daß diese Heirat Hals über Kopf stattfinden muß?«
»Das möchte ich auch wissen!« sagte Mohr.
»Das sieht ja gerade aus, als ob Gründe vorlägen . . .«
»Schon um diesen Schein zu vermeiden,« unterbrach ihn Mohr, »protestiere ich als Vormund mit allem Nachdruck.«
Aletto