Das Mitleid der Versammlung zu Gunsten der unglücklichen Neger hatte den höchsten Grad erreicht; nachdem sie den Redner durch ihr Beifallklatschen unterbrochen, brauchte sie auch eine Zeitlang, um sich wieder zu fassen: der Redner benützte diesen Waffenstillstand, um sich die Stirne mit einem Batistsacktuche abzuwischen und ein Glas Zuckerwasser zu trinken.
Während dieses ganzen Plaidoyer, dem wir geflissentlich die oratorische Form der Zeit gelassen haben, betrachtete Danton aufmerksam Marat, dessen Gesicht allmälig den Ausdruck einer mächtigen Ironie annahm.
Malouet fuhr fort:
»Sie haben gebebt, Sie haben geweint. Hören Sie, was mir noch zu sagen bleibt, empfindsame Herzen, liebende Seelen. Als der Kapitän Philips, dessen Namen ich schon ausgesprochen, seine Ladung beendigt hatte, da geschah es, abgesehen von den zwölf Negern, die sich ins Meer gestürzt, daß Viele sich weigerten, zu essen, in der Hoffnung, durch einen rascheren Tod ihren Qualen zu entgehen; nun machten einige Officiere des Schiffes den Vorschlag, den Halsstarrigsten die Füße und die Arme abzuschneiden, um die Andern zu erschrecken; doch menschlicher, als man hoffen durfte, weigerte sich der Commandant und sagte: »»Sie sind schon unglücklich genug, ohne daß man sie noch so grausame Strafen braucht erdulden zu lassen!«« Mit Freuden, meine Herren, lasse ich diesem Manne seinen Edelmuth veröffentlichend Gerechtigkeit widerfahren; doch gegen Einen, welcher so handelt, wie Viele verhalten sich anders! wie Viele brechen auf diese Weigerung, zu essen, mit eisernen Stangen, und zwar an mehreren Stellen, die Arme und die Beine der unglücklichen Widerspänstigen, die durch das entsetzliche Geschrei, das sie ausstoßen, den Schrecken unter ihren Gefährten verbreiten und sie nöthigen, aus Furcht vor derselben Behandlung zu thun, was sie mit eben so viel Stärke als Vernunft zu thun sich weigerten!
»Diese Strafe, meine Herren, kommt dem Rade in Europa gleich, nur mit dem Unterschiede, daß diejenigen, welche man in Europa rädert, Verbrecher sind, während diejenigen, welche man auf den Negerschiffen rädert, Unschuldige sind.
»Warten Sie noch, ich bin nicht zu Ende: ich habe hier einen geschriebenen, veröffentlichten, gedruckten Bericht von John Atkins, Wundarzt an Bord des Admiralschiffes der Ogles-Squadron, mit Negern von Guinea befrachtet; hören Sie, was er Ihnen sagt . . . John Harding, der dieses Schiff befehligte, bemerkte, daß mehrere Sklaven sich ins Ohr sprachen, daß mehrere Weiber das Ansehen hatten, als verbreiteten sie ein Geheimniß; er bildete sich ein, es conspiriren einige Schwarze, um ihre Freiheit wiederzuerlangen; wissen Sie, was sodann, ohne sich zu versichern, ob der Verdacht gegründet war, der Kapitän Harding that? Er verurtheilte auf der Stelle zwei von diesen Unglücklichen, einen Mann und eine Frau, zum Tode, und sprach dieses Urtheil, indem er die Hand gegen den Mann ausstreckte, der zuerst sterben solle: sogleich wurde der Unglückliche vor allen seinen Brüdern umgebracht, dann riß man ihm das Herz, die Leber und die Eingeweide aus, und streute Alles dies auf dem Boden umher, und da dreihundert Sklaven auf dem Schiffe waren, so schnitt man das Herz, die Leber und die Eingeweide in dreihundert Stücke und zwang die Gefährten des Todten, sie roh und blutig zu essen, wobei der Kapitän mit derselben Strafe Jeden bedrohte, der diese gräuliche Nahrung zu verzehren sich weigern würde!«
Ein Gemurmel des Entsetzens durchlief die Versammlung.
Doch die Stimme des Redners beherrschte dieses Gemurmel; er begriff, daß er, nach den Formen der Redekunst, einen zweiten Schlag nach dem ersten thun mußte.
»Hören Sie, hören Sie!« rief er. »Nicht befriedigt durch diese Execution, bezeichnete der grausame Kapitän seinen Henkern auch noch die Frau; die Befehle, wie man bei ihr zu Werke gehen sollte, waren zum Voraus gegeben worden. Die Arme wurde mit Stricken an beiden Daumen gebunden und an einem Maste aufgehängt, bis ihre Füße die Erde verloren hatten. Man zog ihr die Lumpen aus, die sie bedeckten, und peitschte sie zuerst, bis das Blut an ihrem ganzen Leibe herabrieselte; dann löste man ihr mit Rasirmessern die Haut ab, und man schnitt ihr, um auch von den Sklaven gegessen zu werden, dreihundert Stücke Fleisch vom Leibe, so daß alle ihre Knochen bloß gelegt waren, und sie unter den grausamsten Qualen verschied!«
Schreie der Entrüstung wurden hörbar; der Redner wischte sich aufs Neue die Stirne ab und trank vollends sein Glas Zuckerwasser.
»Das haben die unglücklichen Neger auf der Ueberfahrt zu erdulden,« fuhr Malouet fort; »sagen wir nun, was sie leiden müssen, wenn sie angekommen sind.
»Ein Drittel ungefähr ist auf der Ueberfahrt gestorben, wir haben es gesagt; beschränken wir uns aus das Viertel und Sie sollen sehen, wohin uns die Todtenrechnung führen wird.
»Der Scorbut, die Schwindsucht, die Faulfieber, und ein anderes acutes Fieber, das keinen wissenschaftlichen Namen hat, und das man das Fieber der Neger nennt, brechen auf sie ein in dem Augenblicke, wo ihre Füße die Erde berühren, und raffen abermals ein Viertel weg; das ist ein Tribut, den das Klima denjenigen auflegt, welche von Africa auf die americanischen Inseln übergehen. England führt aber allein hunderttausend Schwarze aus und Frankreich die Hälfte; hundert und fünfzigtausend Beide; es sind also fünfundsiebzig tausend Neger, welche zwei an der Spitze der Civilisation stehende Nationen alle Jahre sterben lassen, um fünfundsiebzig tausend andere den Colonien zu geben. Berechnen Sie, Sie, die Sie mich hören, berechnen Sie, welche ungeheure Anzahl von Opfern, ohne einen Nutzen daraus zu ziehen, diese zwei Nationen seit zweihundert Jahren, daß dieser Sklavenhandel dauert, haben sterben lassen; fünfundsiebzig tausend Neger jährlich, zweihundert Jahre hindurch, geben eine Zahl von fünfzehn Millionen von uns vernichteter Menschen; und fügen Sie dieser schmerzlichen Rechnung eine gleiche Zahl für alle Sklaven bei, deren Tod die anderen Königreiche Europas verursacht haben, so werden Sie dreißig Millionen Geschöpfe der Oberfläche der Erde durch die unersättliche Habgier der Weißen entrissen finden!«
Die Anwesenden schauten sich an. Es schien ihnen unmöglich, daß sie, und wäre es auch nur aus Gleichgültigkeit, ihren Theil an einer solchen Schlächterei genommen haben sollten.
Der Redner bedeutete durch einen Wink, er wolle fortfahren; die Stille trat wieder ein, und er sprach in folgenden Worten weiter:
»Wenn, nachdem das Meer seinen Zehenten genommen, wenn, nachdem das Fieber seinen Tribut genommen, einige Hoffnung auf Glück wenigstens den Ueberlebenden bliebe, wenn der Aufenthalt in der Verbannung leidlich wäre, wenn sie nur Herren fänden, die sie behandeln würden, wie man Thiere behandelt, so ließe sich das noch ertragen. Sind sie aber einmal angekommen, sind sie verkauft, so übersteigt die Arbeit, die man von ihnen fordert, die menschlichen Kräfte. Bei Tagesanbruch werden sie zu den Arbeiten gerufen, und bis zum Mittag müssen sie dieselben ohne Unterbrechung fortsetzen; um Mittag ist es ihnen endlich erlaubt, zu essen; doch um zwei Uhr müssen sie wieder unter der glühenden Sonne des Aequators zu ihrer Aufgabe schreiten, und sie haben diese bis zum Ende des Tages zu verfolgen; diese ganze Zeit werden sie auf das Strengste überwacht und bestraft von den Aufsehern, die mit mächtigen Peitschenhieben diejenigen schlagen, welche mit einiger Nachläßigkeit arbeiten. Ehe man sie in ihre traurigen Hütten zurückkehren läßt, nöthigt man sie noch die Geschäfte des Hauses zu verrichten, das heißt, Futter für das Vieh zu sammeln, Holz für die Herrschaft, Kohlen für die Küche, Hafer für die Pferde zu führen; so daß es oft Mitternacht oder ein Uhr ist, ehe sie in ihre Hütten kommen. Dann bleibt ihnen kaum Zeit, ein wenig Mais für ihre Nahrung zu zerstoßen und kochen zu lassen; während nun dieser Mais kocht, legen sie sich auf eine Matte nieder, wo sie sehr oft, gelähmt vor Müdigkeit, einschlafen, und wo sie die Arbeit des nächsten Tages wieder holt, ehe sie Zeit gehabt haben, den Hunger zu stillen, der sie verzehrt, oder den Schlaf zu befriedigen, der sie verfolgt.
»Und dennoch hat ein Schriftsteller unserer Tage, bekannt durch eine große Anzahl von Werken, welche vom Umfange und den Kenntnissen seines Geistes zeugen, behaupten wollen, die Sklaverei der Neger biete eine Existenz, welche viel glücklicher, als das Loos, dessen der Mehrzahl nach unsere Bauern und Tagelöhner in Europa theilhaftig seien.,
»In der That, beim ersten Anblicke scheint sein System verführerisch. »»Ein Arbeiter verdient in Frankreich,«« sagt er, »»zwanzig bis fünfundzwanzig Sous täglich. Wie kann man mit diesem mäßigen Lohne sich nähren, sein Weib und fünf bis sechs Kinder nähren und unterhalten, seine Hausmiethe bezahlen, Holz kaufen und alle Kosten für eine ganze Familie