»Und Sie haben Unrecht, Herr Chénier! die Poesie hat ihre Muse, die man Melpomene nennt; die Küche hat die ihrige, die man Gasterea nennt; das sind zwei mächtige Jungfrauen: beten wir sie Beide an, statt die Eine oder die Andere zu verleumden.«
In diesem Augenblicke wurde die Thüre wieder geöffnet und mit demselben Ceremoniell wie beim ersten Gange brachten die Köche den zweiten.
Der zweite Gang bestand, wie man sich erinnert, aus Wachteln mit Trüffeln gefüllt und mit Ochsenmark fertig gemacht, aus einem Flußhechte, gespickt, gefüllt, und mit Rahmkrebssauce Übergossen; aus einem Fasan, abgelagert, auf einer à la Soubise zubereiteten gerösteten Brodschnitte liegend; aus einer Platte Spinat mit Wachtelnfett; aus einem Dutzend Ortolane à la Provencale und einer Pyramide Meringuen à Ia vanille und à la rose.
Alles war würdig des ausgezeichneten Gastronomen; doch der Fasan und der Spinat besonders hatten einen außerordentlichen Succeß.
Der Glossenmacher Camille fand es auch unbegreiflich und warf die Frage auf, wie ein so schlechter General wie Herr von Soubise seinen Namen der trefflichen gerösteten Brodschnitte, auf welcher der Fasan liege, habe geben können.
»Meine Herren,« antwortete Grimod, als er sah, mit welcher Aufmerksamkeit Jeder die Antwort erwartete, die er geben sollte, »meine Herren, glauben Sie mir, ich gehöre nicht zu den gemeinen Essern, welche die Dinge verschlingen, ohne sich um ihren Ursprung zu bekümmern. Ich habe tiefe Forschungen über den Namen Soubise angestellt, den der unglückliche General sterbend einem Gerichte, das ihn unsterblich machte, zu hinterlassen das Glück gehabt hat. Herr von Soubise war einer von den am öftesten und am besten geschlagenen Generalen, welche je existirt haben; bei einem seiner Rückzüge flüchtete sich Herr von Soubise zu einem deutschen Wildmeister, der ihm kein anderes Gericht anzubieten hatte, als einen Fasan, doch einen Fasan acht bis zehn Monate alt, sieben Tage aufbewahrt, folglich gehörig abgelagert. Der Fasan wurde mit den Füßen an einem Bindfaden hängend gebraten, – eine Art des Bratens, welche dem auf diese Weise zubereiteten Vogel einen großen Vorzug vor dem am Spieße gebratenen gibt, – sodann auf eine einfache mit einer Zwiebel bestrichene und in der Bratpfanne fertig gemachte Brodschnitte gelegt. Der unglückliche General, dem die Verzweiflung über seine Niederlage den Appetit benommen hatte, – er glaubte es wenigstens, – fing an ihn wiederzufinden im ersten Mundvoll, den er von dem Fasane zu sich nahm, und er fand ihn so gut, daß er Fasan und Brodschnitte verschlang, und sich, die Beine aussaugend, erkundigte, aufweiche Art dieses vortreffliche Gericht zubereitet worden sei; der Wildmeister ließ sodann seine Frau kommen, und Herr von Soubise schrieb unter ihrem Dictate die Anweisung, welche seine Adjutanten, die mittlerweile bei ihm eingetroffen waren, für Notizen über die Stellung des Feindes hielten. Die jungen Officiere bewunderten deshalb die Sorgsamkeit ihres Generals, der sich nicht Zeit nahm, zu Mittag zu speisen, und Alles bis auf seinen Appetit dem Wohle seiner Soldaten opferte. Ein Bericht wurde hierüber an den König durch die Augenzeugen gemacht, der nicht wenig dazu beitrug, Herrn von Soubise in der Gunst bei Ludwig XV. und Frau von Pompadour zu behaupten. Nach Versailles zurückgekehrt, gab Herr von Soubise, als wäre es von ihm, das Recept seinem Koche, welcher, gewissenhafter als der Prinz, mit dem Namen von Soubise diese unvergleichliche Brodschnitte taufte.«
»Wahrhaftig, mein lieber Grimod, Sie sind ein Mann von einer Gelehrsamkeit, um d'Alembert, Didonad, Helvetius, Condorcet und die ganze Enzyklopädie aus dem Sattel zu heben.«
»Nur möchte ich wissen . . .« fügte Chénier bei.
»Nimm Dich in Acht, Chénier,« sagte Talma, »Du hast heute kein Glück.«
»Gleichviel, ich wage es zum letzten Male. . . es ist eine letzte Charge, was bei Fontenoy den Feind in die Flucht geschlagen hat.«
»Was möchten Sie gern wissen, Herr von Chénier?« fragte Grimod de la Reyniére, sich höflich verbeugend; »reden Sie, ich bin bereit, zu antworten.«
»Ich möchte gern wissen,« erwiederte Chénier mit einem leicht ironischen Ausdrucke, »ich möchte wissen, wie es möglich, daß ein am Ende eines Bindfadens gebratener Vogel besser sein soll, als ein an einen Spieß gesteckter.«
»Oh! mein Herr, nichts ist leichter zu erklären und folglich zu beweisen: jedes lebende Geschöpf hat zwei Mündungen, eine obere Mündung und eine untere Mündung; es ergibt sich augenscheinlich, daß, wenn Sie dieses Geschöpf, ist es einmal todt und zum Braten bestimmt, an den Pfoten aufhängen und entweder mit Butter oder mit Sahne begießen, das Innere und das Aeußere zugleich dieses Begießen empfinden werden, während, wenn Sie ihm den Leib durchlöchern, der dem Thiere persönliche Saft durch die zwei Wunden entfliehen muß, ohne daß er durch die benetzende Materie, welche am Körper abgleiten und nicht eindringen wird, ersetzt werden kann. ist also evident, daß ein an den Füßen aufgehängter und auf diese Art gebratener Vogel viel saftiger und schmackhafter sein wird, als ein von einem Spieße durchlöcherter. Das ist klar wie der Tag, nicht wahr, Herr von Chénier?«
Chénier verbeugte sich.
In demselben Augenblicke gab der Doctor Guillotin einen Ausruf von sich.
»Oh! welch ein Spinat, mein lieber Grimod!«
Grimod verbeugte sich ebenfalls.
»Sie sind Kenner, Doctor: das ist mein Meisterwerk!«
»Wie Teufels machen Sie diese Ambrosia?«
»Ein weniger philanthropischer Mann als ich würde sagen: »»Ich behalte mein Recept für mich!«« Ich aber, der ich behaupte, daß der Mensch, der ein Gericht erfunden oder vervollkommnet hat, der Menschheit mehr Dienste geleistet, als derjenige, welcher einen Stern entdeckt, ich sage, daß man, um guten Spinat zu machen, ihn, zum Beispiel, am Sonntag kochen, alle Tage der Woche auf dem Feuer mit einer Zuthat von frischer Butter aufkochen, am letzten Tage mit dem Fette oder dem Safte von Wachteln begießen, und am folgenden Sonntag heiß serviren muß. Uebrigens habe ich eine Vorliebe für die Aerzte,«
»Bah! und warum dies? Die Aerzte schreiben doch die Diät vor.«
»Ja, doch sie hüten sich wohl, sie zu befolgen; die Aerzte sind Gourmands vermöge ihres Standes, obschon sie nicht immer zu essen verstehen . . . Ah! Doctor, so habe ich vorgestern eine gastronomische Consultation Ihrem Collége, dem Doctor Corvisart, gegeben.«
»Wo dies?«
»Bei einem Diner bei Sartine . . . Ich bemerkte, daß er, sobald die Suppe abgetragen war, Champagner in Eis abgekühlt zu trinken anfing; er war auch heiter, witzig, schwatzhaft schon beim ersten Gange, während im Gegentheil, als die anderen Gäste den moussirenden Wein in Angriff nahmen, Corvisart verdrießlich, schweigsam, fast schläfrig wurde. »»Ah! Doctor,«« sagte ich zu ihm, »»nehmen Sie sich in Acht, Sie werden nie gute Desserts haben.«« »»Und warum nicht?«« fragte er. »»Weil der Champagner wegen der Kohlensäure, die er enthält, zwei Wirkungen hat: die erste ist erregend, die zweite ist betäubend.«« Corvisart gab die Wahrheit dieser Behauptung zu und versprach, sich zu corrigiren.«
»Und die Gelehrten,« fragte Chénier, »sind sie auch Gourmands vermöge ihres Standes?«
»Mein Herr, die Gelehrten bessern sich; unter Ludwig XIV. waren sie nur Trunkenbolde: heute sind sie noch keine Gourmets, doch sie sind schon Gourmands. Voltaire hat die Sache dadurch in den Gang gebracht, daß er den Kaffee popularisirte; er würde noch etwas Anderes popularisirt haben, hätte er nicht einen schlechten Magen gehabt . . . Ah! ein schlechter Magen, meine Herren! Gott behüte Sie vor einem schlechten Magen! Der Geier von Prometheus ist nur eine Allegorie: was dem Sohne von Jupiter die Leber zerfraß, waren die schlechten Verdauungen! Der Besieger von Mithridates hatte einen schlechten Magen; sehen Sie auch, wie traurig, verdrießlich, unentschlossen er ist, während im Gegentheil Antonius, der gut verdaute, bis zum letzten Augenblicke nur an die Liebe dachte, sich verwundet in die Gruft tragen ließ, wo sich Cleopatra eingeschlossen hatte, und der schönen Königin von Aegypten die Hände und vielleicht noch etwas Anderes küssend starb. Meine Herren, meine Herren, behalten Sie wohl das Axiom: »»Man lebt nicht von dem, was man ißt, sondern von dem, was man verdaut.««
»Ah!« sagte Camille, »da Sie von der Königin von Aegypten reden