Brockhaus erwiderte sofort mit folgendem Briefe, datirt Amsterdam, 7. November 1805:
Hätte ich den Raum von 50 oder 60 Meilen, der uns von einander trennt, am Dienstage, wo ich Ihren lieben Brief vom 24. October erhielt, doch durchfliegen können, um Sie an meine Brust zu drücken und Sie zum Zeugen meiner Empfindungen über Ihre freundschaftlichen gegen mich geäußerten Gesinnungen zu machen! Ja, in Wahrheit, ein sympathetischer Zug treibt mich zu Ihnen hin, und mit Kindlichkeit sehe ich zu Ihnen hinauf, Klopstock's, Gerstenberg's, Kunzens, Schulzens, Baggesen's Freund ist mir ...22 Aber so soll es auch mit der innigsten Liebe, Freundschaft und .. zwischen uns bestehn, bis Sie oder ich vom Freunde Charon in jenes unbekannte Land hinüber gesteuert werden. So lange wir aber noch hienieden pilgern, und uns mit dem prosaischen Troste des bürgerlichen Lebens herumschlagen, oder uns wenigstens durchzuwinden haben, lassen Sie uns Einer dem Andern nützlich sein; uns helfen und rathen; zusammen uns freuen und — dem Gemeinbesten frommen, wo und wie die Gelegenheit sich zeigt. Ich gebe Ihnen meine Hand, daß Sie auf mich wie auf Ihr eignes Selbst rechnen können. Wenn Sie mich einmal näher kennen, werden Sie mir, hoffe ich, ein Gleiches zusichern. Sehr wahrscheinlich komme ich noch im Winter auf einige Wochen zu Ihnen. Ich will Ihnen also lieber von meiner Sehnsucht nach dorten Nichts sagen; denn wo könnte meine Prosa Worte finden, mein glühendes Verlangen auszudrücken?
Das dem Freunde; jetzt dem Geschäftsmann und Verfasser! ... Ich komme zu dem mich am vorzüglichsten interessirenden Punkte davon: der Herausgabe Ihres »Tagebuchs«. Sie haben also so wenig Urtheile darüber vernommen? Ich glaube das wohl; und es ist auch wirklich in Deutschland sehr wenig bekannt geworden. Ich selbst habe mir unsägliche Mühe gegeben, ehe ich's erhalten konnte. Ich ruhte indeß eher nicht, bis ich's hatte; und seitdem hat es immer mit zu meiner Leibgarde gehört, die mich nicht verlassen darf. Noch gestern Abend habe ich meinem lieben Weibe die beiden schönen Briefe an Kunzen daraus vorgelesen und mich aufs neue an dem Freundschaftsbunde gefreut, der zwischen Ihnen und jenem Edlen muß geschlossen sein. Und dann las ich wieder die für mich hinreißende Stelle vor, wo Sie von dem Funde des Colchicum und Ihrer Begeisterung dabei erzählen. Ach, wie haben wir Sie recht lieb; wie unsern Bruder und unsre Jugendfreunde.
Ich nehme Ihre Vorschläge zur Herausgabe alle an ... Der von Ihnen gewählte Titel ist sehr gut; bis auf die Noms de guerre. Diese, liebster Freund, wünschte ich ließen Sie weg. Ich könnte Ihnen diesen Wunsch mit einer Menge von Gründen motiviren; ich unterlasse es aber, da Sie, glaube ich, den größten Theil derselben ahnden werden. Nur Das: daß ich sicher bin, daß dem Werke dadurch häufig der Eingang wird erschwert werden; besonders hier in unserer Republik, wo ich doch auf einen ansehnlichen Absatz rechnen muß ... Ich sagte vorhin: ich vermuthe, daß Sie meine übrigen Gründe wegen dieser Nahmen ahnden werden. Thun Sie Das aber nicht, so werde ich sie Ihnen nächstens mittheilen ... Ich wünschte, daß der Titel folgenden Zusatz erhielte: von Cramer »und seinen Freunden«, damit Sie von diesen einige bewegen möchten, dann und wann ... mitzutheilen.
Auch glaube ich, daß es sehr gut wäre, wenn Sie anfingen, Ihre im Journal »Frankreich« und anderswo zerstreuten Aufsätze und Briefe zu sammeln; und besonders, als Supplement zu den »Individualitäten«, oder als Vor- oder Nebenläufer derselben, herauszugeben. Es ist sehr Vieles darunter, das, in der großen Masse jetzo ersäuft, so aufs neue zusammengestellt, und allenfalls mit einigen neuen Schüsseln vermehrt, als Ihr specielles Eigenthum Aufnahme finden dürfte; einige Artikel, wo die Kurzsichtigkeit des Menschen scheiterte, als die Triumphgesänge über den 18. Fructidor, die Erwartungen von Mercier's »Neuem Paris« .. die allein, däucht mich, wären wegzulassen. Was denken Sie zu dieser Idee? und wenn Sie sie goutiren und ausführen können, bin ich Ihr Mann. Ihr ersticktes »Tagebuch« fände aufs neue einen Platz darin ... Da Sie mit Ihren Anspielungen ein solcher Sphinx nun einmal sind, und es nur wenig Oedipe im Leservolke gibt, so dächte ich gar sehr: Sie behielten allerdings Ihre exegetische Tagebuchmethode, mit den angehängten Anmerkungen und Citaten, unten und hinter den Capiteln, selbst auf die Gefahr hin ein Pedant ein wenig zu erscheinen, bei ...
Cramer ging auf alle Wünsche seines Verlegers ein: die Veränderung des Titels und selbst die Weglassung der »noms de guerre«, obwol nur ungern, da er die Manie der Kriegsnamen nun einmal liebe und sie von jeher geliebt habe; er beruft sich deshalb auf das Beispiel von Lorenz Sterne (Yorik), Jung-Stilling und Jean Paul.
Es würde zu weit führen, auf den Inhalt der »Individualitäten« hier näher einzugehen, obwol dieselben viele interessante Beiträge zur Beurtheilung jener Zeit enthalten. Klopstock, Mirabeau, Grétry — literarische, musikalische, Theaterzustände von Paris und Amsterdam — feuilletonistische Plaudereien über die verschiedenartigsten Themata: dies der bunte Inhalt jenes wunderlichen Mitteldings zwischen Zeitschrift und Buch. Es ist nicht zu verwundern, daß die »Individualitäten« keine weitere Verbreitung und kein längeres Leben hatten: Cramer war trotz seiner unleugbaren Genialität nicht der geeignete Herausgeber, Amsterdam und Paris waren nicht die richtigen Ausgangspunkte einer für Deutschland bestimmten literarisch-politischen Zeitschrift. Die Absicht, die der Verleger damit verfolgte, hat er später — im »Hermes« und im »Literarischen Wochenblatt« — besser zu verwirklichen vermocht.
Ein drittes journalistisches Unternehmen des jungen Verlegers neben der deutschen Monatsschrift und der holländischen Zeitung war, wie bereits erwähnt, eine französische Zeitschrift rein belletristischen Charakters: »Le Conservateur. Journal de littérature, de sciences et de beaux-arts.« Dieselbe trat Anfang 1807 ins Leben, war also ebenfalls schon im Laufe des Jahres 1806, gleichzeitig mit den beiden andern Zeitschriften, vorbereitet worden. Sie erschien in Monatsheften von acht bis zehn Octavbogen, wovon je drei einen Band mit besonderm Titel bildeten, und war somit äußerlich wie auch innerlich ganz wie die großen französischen Revuen unserer Tage, z. B. die »Revue des deux Mondes«, angelegt. Die Zeitschrift bestand anderthalb Jahre lang, bis Mitte 1808, sodaß im ganzen sechs Bände davon erschienen sind. Nur zwei derselben, der dritte und vierte Band, liegen uns vor, die zugleich wenigstens ein Inhaltsverzeichniß der ersten beiden Bände enthalten, während weder ein Prospect noch ein Vorwort oder Schlußwort vorhanden ist.
Den Inhalt dieser Zeitschrift bildeten historische (namentlich zeitgeschichtliche), biographische, kunstgeschichtliche und literargeschichtliche Abhandlungen; ferner Erzählungen, Novellen und Gedichte; drittens Berichte über neue literarische Erscheinungen und über die Theater von Paris und Amsterdam; endlich kleinere Artikel über Verschiedenes, »Variétés« genannt.
Unter den Mitarbeitern, die fast stets mit ihren Namen unterzeichnet sind, befinden sich die besten französischen Schriftsteller jener Zeit, wie Bonald, Boufflers, Chateaubriand, Chénier, Ch. de Dalberg, Despréz, Dubois, Guingené, Lacretelle, Lebrun, Legouvé, Mercier, Bernardin de Saint-Pierre, Charles de Villers u. s. w.
Diesen Namen entsprechend ist der Inhalt der Zeitschrift ein sehr gediegener, und manche Abhandlungen haben bleibenden Werth. Natürlich beschäftigt sich die Mehrzahl der Artikel mit Frankreich; indeß hat diese Zeitschrift ebenfalls einen entschieden internationalen Charakter, indem sie auch England, in zweiter Linie Holland und am meisten Deutschland berücksichtigt. Fast in jedem Hefte finden sich Artikel aus oder über Deutschland. So bringt gleich das erste Heft einen Brief des Professor Erhard über eine Audienz der Deputirten der Universität Leipzig bei dem Kaiser Napoleon. In demselben Hefte beginnt Charles de Villers (der später in nähere Beziehungen zu Brockhaus trat) eine sich durch drei Hefte erstreckende Abhandlung über die wesentlich verschiedene Weise, wie die französischen und die deutschen Dichter die Liebe behandeln, wozu später noch ein Nachtrag kommt, der durch eine Tabelle erläutert wird. Ferner schreibt Charles de Dalberg, »Prince-Primat de Germanie«, über den Einfluß der schönen Künste auf das allgemeine Wohlbefinden. Später folgt eine Beschreibung der Düsseldorfer Galerie als Bruchstück einer noch nicht veröffentlichten Reise, ohne Namensnennung. Daran schließt sich der Abdruck einer von dem »historiographe prussien« Johannes von Müller am 20. Januar 1807 in der berliner Akademie gehaltenen Rede über den Ruhm Friedrich's