Für Schmitz freilich hatte die Correspondenz mit Robert Blum, wie wir sehen werden, durchaus nichts Reizvolles, da Blum in seinen Briefen an Schmitz rein geschäftlich blieb, andere Fragen gar nicht berührte, und die Wendung dieser Geschäfte, wie die Entschlossenheit, mit welcher Blum schließlich auf seinen von dem Herrn Principal todtgeschwiegenen Ansprüchen bestand, zu den unangenehmsten Erinnerungen gehöre, die Schmitz in seinem langen Leben angesammelt haben mochte. Die interessante Correspondenz dieser späteren Conflictszeit hat Robert Blum, mit einem Papierstreifen umschlossen, auf welchem nur der Name „J. W. Schmitz“ steht, hinterlassen. Sie offenbart besser als bogenlange Abhandlungen den Charakter der beiden Männer, die sich dabei gegenüberstanden. Da sie zugleich das Dienstverhältniß Blum’s zu Schmitz abschloß, so steht sie am Ende dieses Capitels.
Als Robert Blum seinen Dienst bei Schmitz antrat, störte kein Wölkchen den beiderseitigen Frieden. Täglich mehr überzeugte sich der Principal, daß er in dem neuen Gehülfen einen wahren Schatz gefunden habe. Die complicirtesten Aufträge und Arbeiten erledigte Robert geschickt, umsichtig, rasch, zu Schmitz’ vollster Zufriedenheit. Eine Treue, einen Fleiß und Eifer entwickelte Robert im Dienste, eine so glückliche Auffassungsgabe und ein solches Talent zu eigener Initiative, daß Schmitz ganz erstaunt war. Gern gab er seiner Zufriedenheit durch freiwillige Gehaltszulagen Ausdruck. Zuletzt, 1830, war der Gehalt Roberts, bei freier Station, auf – fünf Thaler pro Monat gestiegen. Mit dieser Summe hat Robert seine Wäsche und Garderobe beschafft, das Hoftheater in München und später Vorlesungen an der Berliner Hochschule besucht, seine Eltern und Geschwister unterstützt und alle seine unschuldigen Vergnügungen bestritten. Mit diesem Einkommen hielt sich Robert für einen Krösus; demjenigen, der es ihm gewährte, hat er sein ganzes Leben, trotz der schmählichen Behandlung, die derselbe Mann ihm später angedeihen ließ, die aufrichtigste Dankbarkeit bewahrt.
Das Leben bot ja Robert auch in dem neuen Dienste ein so heiteres, glückliches Antlitz, wie der Arme es bisher noch nie geschaut hatte. Jetzt durchflog er das blühende Rheinland, das er früher mühsam und sorgenvoll am Wanderstabe durchmessen, dazu den ganzen sonnigen Süden Deutschlands in einem bequemen Reisewagen, an der Seite eines leidlich gebildeten, ihm zugleich aus Eigennutz und natürlicher Regung gewogenen Mannes, der viele Menschen und Länder gesehen, der in den Naturwissenschaften zu Hause war, der dem erstaunten jungen Manne sogar offenbarte, daß Erde, Sonne, Planeten und Fixsterne eigentlich auf ganz falschen Bahnen wandelten und reuig umkehren würden, wenn er, Schmitz, ihnen das schriftlich bewiesen haben würde. Dazu nun das Robert bis dahin unbekannte herrliche Gefühl völliger Freiheit von drückender Erdensorge, das Bewußtsein, daß er und seine Arbeit geschätzt werde von Demjenigen, von dem sein Wohlergehen abhing, bald nachher auch zum ersten Male die stolze Befriedigung, daß ihm wichtige fremde Interessen allein, zu selbstständiger verantwortlicher Erledigung übertragen wurden. Man kann sich denken, welches Maß von Glückseligkeit und Dankbarkeit in dieses reine arme Herz einzog.
Schon am 9. Juni 1827 verließ Robert mit Schmitz Köln und fuhr nun wochenlang durch das frühlingsgrüne reiche Land; das ganze Entzücken über die herrliche Reise mit wenig Worten in sein „Reisejournal“ eintragend[6]. Am 10. Juni ist Mainz, am 12. Juni Frankfurt erreicht. Hier wird einige Tage gerastet, die alte Kaiserstadt – in der später der „Gelbgießer“ Blum seinen Sitz im deutschen Parlament finden sollte – mit Andacht durchwandert. „Hier wurden ehemals die römisch-deutschen Kaiser gewählt und jetzt ist sie der Sitz des deutschen Bundestages. – “ Der Gedankenstrich steht wirklich im Reisejournal. „Zu den vielen Merkwürdigkeiten der Stadt gehören besonders das Rathhaus, der Dom &c., die herrlichen ‚Neuen Anlagen‘ und die schöne Brücke, wodurch sie mit der Vorstadt Sachsenhausen zusammenhängt; auch wurden Goethe und Klinger hier geboren.“ Charakteristisch für den späteren Begründer des Leipziger Schillervereins ist es, wie viel wärmer als hier Goethe’s er wenige Seiten später in seinem Reisetagebuch Schiller’s gedenkt. Er schreibt da neben „Ludwigsburg“ bei Stuttgart: „vom Hohenasperg Aussicht auf Marbach, Geburtsort unseres unsterblichen Schiller’s.“ Am 16. Juni ging es weiter nach Darmstadt, den folgenden Tag bis Heidelberg. „Von hier,“ schreibt er bei Darmstadt, „beginnt die schon von den Römern angelegte Bergstraße, welche sich bis nach Heidelberg hinzieht. Das alte Rheinthal zwischen Darmstadt und Heidelberg ist einer der reizendsten und fruchtbarsten Landstriche Deutschlands; die Berge im Osten sind mit Wein und stolzen Waldungen bedeckt, und das Thal prangt bis an das Ufer des Rheines allenthalben in der üppigsten Fülle.“ Bis zum 21. Juni wird Württemberg (Stuttgart, Eßlingen, Göppingen bis Ulm) durchfahren, dann zwei Tage später, über Günzburg, Augsburg und Dachau, München gewonnen.
In München ist Robert vom 23. Juni bis 29. November 1827, also über fünf Monate geblieben. Er hat den größeren Theil dieser Zeit allein den Schmitz’schen Geschäften vorzustehen gehabt, die in der Hauptsache darin bestanden, die Laterneneinrichtung im königlichen Schlosse zu leiten. Bei dieser Gelegenheit hatte Blum eines Tages eine flüchtige, aber bedeutsame Unterredung mit König Ludwig dem Ersten von Baiern.
Viel Zeit blieb Robert übrig, um seinem Wissensdrange zu genügen und welche Fülle von Anregung gewährte hierfür München! Ein Gang durch München schon bietet, wie Moritz Carrière mit Recht einmal bemerkt, dem Nachdenkenden ein Bild der Bau- und Kunstgeschichte von zwei Jahrtausenden; ein Gang um München zeigt die unendliche Gestaltungskraft der Natur in aller Fülle und Mannigfaltigkeit. Im Jahre 1814 erst hatte König Maximilian der Erste begonnen, das enge und traurige Nest, das in seinem Aeußeren seit 1791 noch immer aussah wie eine geschleifte Festung und sich seit 1806 noch nicht ordentlich als Residenz hatte fühlen lernen, in eine stattliche, heitere Königsstadt umzuschaffen. Und dieses Werk hatte König Ludwig der Erste mit augusteischer Freigebigkeit und kunstsinniger Prachtliebe fortgesetzt. Eben als Robert in München eintraf, war unter Klenze’s Leitung das neue Hoftheater nach dem Brande von 1823 in vollendeter Schönheit aus dem Schutte erstanden, die herrliche Glyptothek ihrer Vollendung nahe, dem öffentlichen Besuch bereits geöffnet, der Königsbau des Alten Schlosses am Max-Joseph-Platz, die Alte Pinakothek und andere Prachtbauten im Entstehen begriffen. Durch den Reichthum und die Bedeutung seiner Kunstschätze, vor Allem durch die Sculpturensammlung der Glyptothek, überragte München damals unstreitig alle anderen deutschen Städte bei weitem, obwohl die Stadt kaum mehr als fünfzig- bis sechszigtausend Einwohner gezählt haben mag. Dazu nun das ganz eigenthümliche, von den Gewohnheiten des Rheinländers so weit abliegende und doch jeden Fremden so gemüthlich anheimelnde Volksleben des altmünchener Bürgers, mit seinem trockenen Humor, seiner biederen Schwerfälligkeit und genußfreudigen Behaglichkeit. Alles das hat Robert lebhaft angezogen und gefesselt. Die Architektur- und Kunstschätze der schönen Kirchen Münchens, die Hoftheater, die Gemäldegallerie und Glyptothek, das polytechnische, anatomische und naturhistorische Museum, vor Allem aber die königliche Bibliothek hat er, nach seinem Reisejournal, fleißig besucht.
Alle Freistunden des Tages widmete er dieser Bereicherung seines Wissens, seiner Geschmacks- und Kunstbildung; der Abend wurde so oft als möglich im Theater, ein guter Theil der Nacht in ernsten Studien in allen möglichen Fächern des Wissens, in denen Robert bei sich Bildungslücken entdeckt hatte, hingebracht. In dieser Hinsicht war die Reise mit Schmitz von Köln nach München von großer Wichtigkeit für Robert