»Sie hatten also wohl viel mit den großen Schlächtereien zu tun?« unterbrach ich ihn.
»Allerdings.«
»Das konnte bei dieser Veranlagung nur schädlich sein, sehr schädlich!«
» Unbedingt! Massentötung von Schlachtvieh! Warmer Blutdunst! Immerwährender Fleisch- oder gar Kadavergeruch! Hieraus folgende Verhärtung des Mitgefühles! Förmliche Auffütterung und Anmästung jenes innerlichen Dämons! Ich habe das dem Amerikaner ganz offen gesagt und ihn gewarnt. Da teilte er mir mit, daß er das gar wohl gefühlt habe und darum für die beiden Brüder der Ratgeber und Helfer gewesen sei, das Geschäft zu verkaufen. Das sei im vorigen Jahr geschehen, doch ohne daß sich hierauf eine Veränderung oder gar Verringerung des Leidens eingestellt habe. – Doch, da unterhalte ich Sie noch am späten Abend mit Dingen, die Ihnen und mir nur die Nachtruhe verderben können. Ich bitte um Verzeihung und bin so pfiffig, mich, um nicht von Ihnen fortgewiesen zu werden, jetzt selbst hinauszuwerfen. Schlafen Sie wohl!«
Er brach so kurz ab und entfernte sich so schnell, wie es sonst seine Art gar nicht war. Genau ebenso verhielt es sich überhaupt mit seinem heutigen Kommen. Es war, als habe er uns so ganz außerhalb der gewohnten Zeit nur deshalb aufgesucht, um uns auf diesen Amerikaner aufmerksam zu machen. Das Herzle hatte dasselbe Gefühl wie ich.
»Er ist mir heut gar nicht wie ein besuchender Freund, sondern wie ein Bote vorgekommen«, sagte sie. »Sollte es mit diesem Yankee irgendeine Bewandtnis haben, die auch uns angeht? So darf ich freilich nur dich fragen, nicht aber andere, die es für selbstverständlich halten würden, mich auszulachen!«
Ich gab ihr recht. Aber siehe da: Am nächsten Vormittag, zur Besuchszeit, so um elf Uhr, saß ich bei der Arbeit. Da hörte ich die Hausglocke. Es wurde jemand eingelassen. Ich hatte gesagt, daß ich heute absolut für niemand zu sprechen sei. Dennoch kam nach einiger Zeit das Herzle zu mir herauf, legte eine Visitenkarte vor mich hin und sagte:
»Verzeih! Ich kann nicht anders; ich muß dich doch unterbrechen! Es ist gar zu sonderbar – du wirst dich wundern.«
Ich warf einen Blick auf die Karte. »Hariman F. Enters« stand darauf, nur dieser Name, weiter nichts. Ich sah das Herzle erwartungsvoll an.
»Ja, es ist wirklich erstaunlich«, nickte sie. »Er hat das taubeneigroße Nugget an der Uhrkette.«
»Wirklich? – Wirklich?«
»Ja! Und die ganz auffallend traurigen Augen sind auch da!«
»Und was will er?«
»Mit dir reden.«
»Ich habe keine Zeit. Hast du ihm das gesagt? Er mag wiederkommen!«
»Er muß noch heut fort, sonst versäumt er das Schiff. Er sagt, er gehe nicht fort, ohne mit dir gesprochen zu haben. Er bleibe sitzen, bis du kommst. Du sollst ihm sagen, was die Zeit kostet, die du dadurch versäumst; er werde sofort bezahlen.«
»Das ist amerikanischer Unsinn! Hat er dir gesagt, was er ist?«
»Verlagsbuchhändler. Er scheint kein Wort Deutsch sprechen zu können. Er will dir den ,Winnetou‘ abkaufen.«
»Hast du ihm hierauf vielleicht schon Bescheid gegeben?«
»Ich teilte ihm mit, daß wir schon ähnliche Offerten von drüben bekommen haben und nächstens mit dem Lloyd hinübergehen werden, um das zu erledigen.«
»Du, Herzle, das war nicht sehr gescheit von dir!«
»Warum nicht?«
»Wer nach dem ,Westen‘ gehen will, der hat sich vor allen Dingen in der Schweigsamkeit zu üben, ganz gleich, ob es da drüben noch ,wild‘ zugeht oder nicht.«
»Aber wir sind ja noch gar nicht drüben!«
»Ich habe gesagt, schon wenn man hinüber will, verstanden, will! übrigens brauchen wir, um schweigsam sein zu müssen, gar nicht erst hinüber, denn er ist schon hier hüben bei uns.«
»Wo?«
»Unten bei dem Amerikaner. Dieser Mr. Hariman F. Enters ist der amerikanische Westen.«
»Meinst du?«
»Gewiß! Du wirst bald sehen, daß dies richtig ist. Mag er sein, wer er will, und mag er wollen, was er will, wir spielen jetzt Amerika. Er ist gekommen, sich bei uns anzuschleichen. Drehen wir den Spieß um! Geh jetzt hinab und sag, daß ich kommen werde; aber teile ihm nicht mehr mit. Sprich mit ihm überhaupt so wenig wie möglich!«
Sie ging, und ich folgte ihr nach einiger Zeit nach. Mr. Enters war ein wohlgebauter, glattrasierter Mann im Alter von ungefähr vierzig Jahren. Er machte einen wohlwollenerweckenden Eindruck, ohne grad das Benehmen eines hochgebildeten Mannes zu zeigen. Er trat bescheiden auf, war aber trotzdem dabei auch ein wenig Protz. Das von den traurigen Augen, das stimmte. Lachen schien er gar nicht zu können, und wenn er ja einmal lächelte, so machte das mehr den Eindruck der Qual als der Heiterkeit. Meine Frau stellte uns einander vor. Wir verbeugten uns und saßen uns dann einander gegenüber. Ich bat ihn, mir zu sagen, womit ich ihm dienen könne. Er antwortete, indem er fragte:
»Ihr seid Old Shatterhand?«
»Man nannte mich so«, erwiderte ich.
»Auch jetzt noch?«
»Höchstwahrscheinlich.«
»Ihr geht nächstens wieder hinüber?«
»Ja.«
»Wohin? Bis wie weit?«
»Weiß ich noch nicht.«
»Mit welchem Schiff?«
»Ist noch unbestimmt.«
»Auf wie lange?«
»Das wird sich erst drüben entscheiden.«
»Ihr besucht alte Bekannte?«
»Vielleicht.«
»Werdet Ihr Euch mehr nach dem Norden oder nach dem Süden der Staaten wenden?«
Da stand ich von meinem Sitz auf, verbeugte mich, drehte mich um und ging nach der Tür.
»Wohin wollt Ihr, Mr. May?« rief er da hastig hinter mir her.
Ich blieb stehen und antwortete:
»Wieder an meine Arbeit. Ich habe Euch aufgefordert, mir mitzuteilen, was Ihr von mir wünscht. Anstatt dies zu tun, legt Ihr mir eine ganze Reihe von Fragen vor, zu denen Euch absolut kein Recht gegeben ist. Hierauf zu antworten, habe ich keine Zeit!«
»Ich habe Mrs. May gesagt, daß ich sofort bezahle, was das kostet«, warf er ein.
»Das könnt Ihr nicht. Ihr seid zu arm dazu, viel zu arm!«
»Glaubt Ihr? Mache ich wirklich einen so armen Eindruck? Ihr irrt Euch, Sir!«
»Gewiß nicht. Denn selbst wenn Ihr Euch im Besitz von tausend Milliarden befändet, so wäret Ihr trotzdem außerstande, sogar dem allerärmsten Teufel auch nur eine Viertelstunde der ihm von Gott gegebenen, vollständig unersetzlichen Lebenszeit zu bezahlen!«
»Wenn Ihr das so betrachtet, so mag es sein. Bitte, setzt Euch wieder nieder! Ich werde mich so kurz wie möglich fassen.«
Er wartete, bis ich diesen seinen Wunsch unter scheinbarem Zögern erfüllt hatte, und fuhr dann fort:
»Ich bin Verlagsbuchhändler. Ich kenne Euern ,Winnetou‘ – — – » »Sprecht und lest Ihr Deutsch?« unterbrach ich ihn.
»Nein«, antwortete er.
»Wie könnt Ihr da diese Erzählung kennen? Sie ist meines Wissens noch nicht in das Englische übersetzt.«
»Sie wurde in einer mir befreundeten Familie, in welcher auch deutsch gesprochen wird, gelesen und mir zuliebe gleich während des Lesens übersetzt. Was ich da hörte, interessierte mich derart, daß ich einen jungen, stellenlosen Deutschamerikaner zu mir