Diese beiden Briefe waren im höchsten Grad interessant, und zwar nicht nur psychologisch. Fast schien es, als ob sie von To-kei-chun und Tangua an dem gleichen Ort und unter dem gleichen Einfluß diktiert worden seien. Beide haßten mich noch genauso unversöhnlich wie ehedem. Ganz eigenartig war es, daß der Sohn des letzteren mich trotz dieses Hasses grüßte, doch fiel es mir nicht schwer, diese Dankbarkeit zu verstehen. Aber wichtiger, viel wichtiger als das Alles war, daß auch die Feinde der Apatschen hinauf nach dem Mount Winnetou wollten. Es wurde da von einem »großen, letzten Kampf« gesprochen. Das klang außerordentlich gefährlich. Ich begann, besorgt zu werden, ernstlich besorgt! Oder gab es da drüben jemand, etwa einen alten, früheren Gegner, der sich jetzt, in meinen alten Tagen, den Spaß machen wollte, mich zu foppen und zu einer Einfaltsreise nach Amerika zu bewegen? Aber nach der Hälfte eines Monats erhielt ich folgenden Brief, der in Oklahoma aufgegeben war und für mich ein Dokument bildete, dem ich vollsten Glauben zu schenken hatte:
»Mein lieber, weißer Bruder!
Der große, gute Manitou in meinem Herzen gebietet mir, Dir zu sagen, daß ein Bund der alten Häuptlinge und ein Bund der jungen Häuptlinge nach dem Mount Winnetou berufen ist, um über die Bleichgesichter zu Gericht zu sitzen und über die Zukunft der roten Männer zu entscheiden. Du wirst kommen, und ich werde kommen. Meine Seele freut sich auf die Deinige. Ich zähle die Tage, Stunden und Minuten, bis ich Dich sehen werde!
Dein roter Bruder
Schahko Matto,
Häuptling der Osagen.«
Auch dieser Brief war englisch geschrieben, und zwar von seinem Sohn, dessen Handschrift ich kannte, weil ich im Briefwechsel mit ihm stehe. Zudem hatte Schahko Matto sein ledernes Totem beigelegt, was er immer tat, wenn es sich um etwas Wichtiges handelte. Ich konnte also die Vermutung einer Fopperei fallenlassen. Die Sache war Wirklichkeit, war Ernst. Der Gedanke, hinüberzugehen, begann, mich lebhaft zu beschäftigen. Freilich aber war es, um diesen Gedanken zum Entschluß zu bringen, nötig, vorher erst noch Näheres und Bestimmteres zu erfahren. Und das ließ nicht lange auf sich warten. Ich erhielt einen großbogigen, wie amtlich zusammengelegten Schreibebrief, welcher den Zweck hatte, eine Einladung zu sein, aber seines Tones wegen war er schon richtiger als eine »Zufertigung« zu bezeichnen. Ich gebe ihn in deutscher Uebersetzung, die Ueberschrift abgerechnet:
»Dear Sir,
In den vorjährigen Versammlungen der Häuptlinge wurde einmütig beschlossen, den hierzu geeignetsten Berg des Felsengebirges forthin mit dem Namen Winnetous, des berühmtesten Häuptlings aller Nationen, zu bezeichnen. Es wurde hierzu die höchstwahrscheinlich auch Ihnen wenigstens geographisch bekannte Kulmination gewählt, auf welche der geheimnisvolle Medizinmann Tatellah-Tatah (Thousand-years) sich zurückgezogen hat. Am Fuß resp. auf den Stufen dieses Berges sollen um die Mitte des heurigen September folgende Versammlungen abgehalten werden:
1. Das Campmeeting der alten Häuptlinge.
2. Das Campmeeting der jungen Häuptlinge.
3. Das Campmeeting der Häuptlingsfrauen.
4. Das Campmeeting aller außerdem berühmten roten Männer und roten Frauen.
5. Das Schlußmeeting unter der Leitung des hier unterzeichneten Komitees.
Es wird in Ihr Belieben gestellt, sich hierzu persönlich einzufinden und bei dem Vorsitzenden oder dessen Stellvertreter zu melden, wobei Ihnen der Gegenstand aller dieser Beratungen bekanntgegeben wird. Zugleich werden Sie darauf aufmerksam gemacht, daß diese Meetings ebenso wie sämtliche Vorbereitungen zu ihnen vor den Angehörigen anderer Rassen vollständig geheimzuhalten sind. Wir verpflichten Sie hiermit zur strengsten Diskretion und fühlen uns berechtigt, anzunehmen, daß wir Ihre ehrenwörtliche Versicherung, zu schweigen, bereits bekommen haben. Nummernmarken für die bei unsern Zusammenkünften Ihnen anzuweisenden Platze haben Sie sich bei dem unterzeichneten Schriftführer persönlich abzuholen. Sämtliche Reden zum Beratungsgegenstand sind des besseren Verständnisses wegen in englischer Sprache zu halten.
Hochachtungsvoll
Das Komitee.
Gezeichnet:
Simon Bell (Tscho-lo-let),
Professor der Philosophie, als Vorsitzender.
Edward Summer (Ti-iskama),
Professor der Klassikal-Philologie,
als Stellvertreter des Vorsitzenden.
William Evening (Pe-widah),
Agent, als Schriftführer.
Antonius Paper (Okih-tschin-tscha),
Bankier, als Kassierer.
Old Surehand,
Partikulier, als Direktor.«
Ganz unten am Rand dieses Schriftstückes stand die von dem letzteren selbst geschriebene Privatbemerkung: »Ich hoffe, das Du auf alle Fälle kommst. Betrachte mein Haus als das Deinige, auch wenn wir nicht daheim sind. Ich bin als Direktor jetzt leider stets unterwegs. Es gibt für Dich eine ungeheuer freudige Überraschung. Du wirst entzückt sein über die Leistung unserer beiden Jungens.
Dein alter, treuer Old Surehand.«
Ich füge zu diesem langen Brief gleich den folgenden, kürzeren, der bei mir eintraf. Er lautete:
»Mein Bruder!
Ich weiß, daß Du eingeladen bist. Versäume ja nicht, Dich einzustellen! Ich freue mich unbeschreiblich auf Dich. Die beiden Boys werden Dir noch besonders schreiben. Dein
Apanatschka,
Häuptling der Kanean-Komantschen.«
Diese »beiden Boys« oder wie Old Surehand sich ausgedrückt hatte, »unsere beiden Jungens«, schrieben mir hierauf folgende Zeilen:
»Hochverehrter Herr!
Als Sie uns einst von unserem falschen, niedrigen Kunstweg so streng hinüber nach dem höheren, ja allernächsten wiesen, versprachen wir Ihnen, nur erst dann an die Oeffentlichkeit zu treten, wenn wir imstande seien, durch wirkliche und unanfechtbare Meisterwerke zu beweisen, daß die rote Rasse in keiner Weise weniger begabt ist, als irgendeine der anderen Rassen, auch in Beziehung auf die Kunst. Wir erbten unsere Begabung von unserer Großmutter, die, wie Sie wissen, eine Vollindianerin, ja, in rein äußerer Beziehung sogar ein Vollindianer war. Wir sind bereit, den von Ihnen verlangten Beweis jetzt nun zu führen. Sie versprachen uns, wenn diese Zeit gekommen sei, sich trotz der weiten Entfernung hier bei uns einzustellen, um unsere Werke zu prüfen. Wir sind der Meinung, daß wir diese Prüfung nicht zu fürchten haben, und erwarten Sie um die Mitte des September am Mount Winnetou, um Sie willkommen zu heißen. Wir haben erfahren, daß Sie, wie sich ganz von selbst verstand, eingeladen sind, an diesen verschwiegenen und hochwichtigen Beratungen teilzunehmen, und hegen die feste Ueberzeugung, daß Sie sich durch nichts abhalten lassen werden, zur rechten Zeit am angegebenen Ort zu erscheinen. In größter Hochachtung sind wir Ihre ganz ergebenen
Young Surehand.
Young Apanatschka.«
Diese Zuschrift hatte Hände und Füße. Sie machte mir Freude, obgleich sie von den beiden »Jungens« nur zu dem Zweck, mir einen tüchtigen Rippenstoß zu versetzen, in dieser Weise verfaßt worden war. Wer meine beiden Reiseerzählungen »Winnetou« und »Old Surehand« gelesen hat, kann sich sehr leicht denken, wer diese beiden Boys sind. Wer sie noch nicht gelesen hat, den muß ich bitten, dies nachzuholen, um den vorliegenden Band, der zu gleicher Zeit auch der vierte Band von »Old Surehand« und »Satan und Ischariot« ist, verstehen zu können.
Wie man sich erinnern wird, hatte sich herausgestellt, daß Old Surehand und Apanatschka Brüder waren, die man ihrer Mutter, einer körperlich, seelisch und geistig hochbegabten Indianerin, unterschlagen hatte. Um diesen Raub aufzuklären, hatte sie, als Indianer verkleidet, unter dem Namen Kolma Putschi viele Jahre lang die Städte des Ostens, die Savannen und die Urwälder durchforscht, ohne dieses Ziel zu erreichen, bis es Winnetou und mir gelang, die von ihr gesuchten Spuren und infolgedessen dann auch die beiden Söhne zu entdecken, den einen als hochberühmten Westmann und den andern als nicht weniger berühmten Komantschenhäuptling,