Parteiherrschaft und -verantwortung innerhalb des Vollstreckungsverfahrens beschränken sich im Hinblick auf den Verfahrensbetrieb grundsätzlich auf den Einleitungsantrag, das Vollstreckungsorgan führt das Verfahren von Amts wegen fort[33]. Dies schließt nicht aus, dass im Einzelfall besondere Betreibungsakte der Parteien nötig bleiben (z.B. § 829 Abs. 2 S. 1).
Nachdem im Erkenntnisverfahren des Zivilprozesses die Tendenz vom umständlicheren Parteibetrieb zum Amtsbetrieb geht[34], besteht im Vollstreckungsverfahren kein Anlass, den Grundsatz des Amtsbetriebs zu problematisieren. Er wird auch in der Reformdiskussion nicht in Frage gestellt, die ja nirgends zur Stärkung der Parteiherrschaft aufruft. Schon eher könnte man erwägen, etwas willkürlich und zufällig wirkende Reste des Parteibetriebs, wie z.B. der Parteizustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses (§§ 829 Abs. 2 S. 1, 835 Abs. 3), vollends aufzugeben.
3. Beibringungsgrundsatz oder Inquisitionsgrundsatz
6.21
Wenn es im Verfahren Sache der Parteien ist, Tatsachen und Beweismittel einzubringen, so spricht man vom Beibringungsgrundsatz, wenn die Verfahrensorgane von sich aus den Sachverhalt erforschen, vom Untersuchungs- bzw. Inquisitionsgrundsatz.
a) Grundsätzliche Geltung des Beibringungsgrundsatzes
6.22
Man muss sich zunächst einmal klar machen, dass im Vollstreckungsverfahren eine volle Sachverhaltsaufklärung oft gar nicht erfolgt, vielmehr die bloße Plausibilität eines Sachverhalts oder formalisierte Voraussetzungen[35] für den Vollstreckungsangriff genügen. Wenn der Gläubiger Sachen des Schuldners pfänden lassen will, genügen schuldnerischer Gewahrsam (§ 808 Abs. 1), bei der Rechtspfändung die bloße konkrete Behauptung des Gläubigers über die Existenz des Rechts[36]. Selbst wo der Gläubiger den erweiterten Zugriff auf schuldnerische Forderungen beantragt, bewendet es bei bloßer Plausibilitätskontrolle[37]. Das Versteigerungsgericht begnügt sich mit der Buchposition des Schuldners als Voraussetzung der Versteigerung (§ 17 ZVG). Die „wahre“ Rechtslage wird auf Rechtsbehelfe oder im gewöhnlichen Prozess außerhalb des eigentlichen Vollstreckungsverfahrens geklärt, und dort gelten dann die „normalen“ Regeln des zivilprozessualen Erkenntnisverfahrens. Wenn also im Folgenden von Sachverhaltsaufklärung die Rede ist, so ist immer nur der geschilderte Aufklärungsstandard gemeint. Lediglich bei der Handlungs- oder Unterlassungsvollstreckung kann sich ein höherer Aufklärungsstandard ergeben[38].
6.23
Im Grundsatz müssen die Parteien und zunächst vor allem der Gläubiger die vollstreckungserheblichen Tatsachen und Beweismittel einbringen.
Der Gläubiger muss dartun, an welchem Ort auf bewegliche Sachen zugegriffen werden soll, er muss vermeintliche Forderungen des Schuldners gegen Dritte benennen, er muss das zu versteigernde Grundeigentum des Schuldners individualisieren und den Nachweis über die Eintragung des Schuldners vorlegen (§ 17 Abs. 2 ZVG), er muss die Tatsachen darlegen, die den erweiterten Zugriff auf an sich unpfändbare Forderungen gestatten (z.B. § 850f Abs. 2). Der Gläubiger muss die Zuwiderhandlung gegen einen Unterlassungstitel (§ 890) dartun etc. Es ist dann Sache des Schuldners oder Dritter, in einem Rechtsbehelfsverfahren mit Beibringungsgrundsatz volle Klärung zu erreichen (§§ 766, 767, 771 etc.), gelegentlich kann der Schuldner sich im Vollstreckungsverfahren selbst durch Beibringung von Verteidigungsmitteln wehren (z.B. § 775).
Jedenfalls kennt das Vollstreckungsverfahren keine allgemeine Erforschung sinnvoller Vollstreckungsmöglichkeit durch ein Vollstreckungsorgan oder das Vollstreckungsgericht. Eine praktisch wichtige neue Ausnahme ist die Einholung der Vermögensauskunft durch den Gerichtsvollzieher in der Geldforderungsvollstreckung auf Antrag des Gläubigers (§§ 802a Abs. 2 S. 1 Nr. 2, S. 2, 802c ff.). Die Einbringung dieser Vermögensauskunft als Beweismittel im weiteren Vollstreckungsverfahren kann zwar durch den Gläubiger erfolgen, doch können Gerichtsvollzieher und Vollstreckungsgerichte auch von sich aus die entsprechenden Vermögensverzeichnisse abrufen (§ 802b Abs. 2 S. 1, S. 3). Hingegen ist es bei Herausgabevollstreckung weiterhin Sache des Gläubigers, die eidesstattliche Versicherung als Beweismittel über weitere Vollstreckungsgegenstände in das Verfahren einzubringen (§ 883 Abs. 2), sie wird nicht etwa von Amts wegen abgenommen.
b) Die Erforschung durch den Gerichtsvollzieher als Einbruchstelle des Inquisitionsgrundsatzes
6.24
Eine Ausnahme vom Beibringungsgrundsatz gilt im Pfändungsverfahren des Gerichtsvollziehers. Er durchsucht und untersucht auch ohne Gläubigervortrag über konkrete zu pfändende Gegenstände; wenn man ihn heute als neutrales Vollstreckungsorgan und nicht als Gläubigerbeauftragten betrachtet[39], so wird deutlich, dass nur die Inquisitionsmaxime diese Tätigkeit zutreffend charakterisieren kann.
Ob dies auch für vollstreckungsbeschränkende Tatsachen gilt, ist offen. Hier könnte man an eine Beibringungslast des Schuldners denken, dem der Gerichtsvollzieher gemäß § 139 Hinweise zu geben hat. Der praktische Unterschied würde sich bei Abwesenheit des Schuldners zeigen. M.E. wäre aber eine solche Aufspaltung gekünstelt und unpraktikabel. Man geht deshalb besser von der ungeteilten Untersuchungsmaxime aus, die aber – ähnlich wie im Verwaltungsprozess und Verwaltungsverfahren – an der Mitwirkungsbereitschaft der Parteien ihre Grenzen findet.
Das inquisitorische Element gerichtsvollzieherlichen Handelns wird im jüngeren § 806a verstärkt, der dem Gerichtsvollzieher ein Fragerecht über den Arbeitgeber des Schuldners einräumt und allgemein Mitteilungspflichten über Forderungen gegen Dritte statuiert. Eine weitere Stärkung der Inquisition liegt letztlich in der neuen Vermögensauskunft, die der Gerichtsvollzieher zwar auf Gläubigerantrag, im Übrigen allerdings weitgehend selbstständig einholt (§§ 802c ff.).
c) Rechtsvergleichung und Reform
6.25
Viele Nachbarländer Deutschlands kennen Aufklärungsmittel, die den Möglichkeiten des deutschen Vollstreckungsverfahrens ursprünglich teilweise deutlich überlegen sind, sei es, dass dem Schuldner gleich am Anfang eine umfassende Vermögenszusammenstellung abverlangt wird, sei es, dass das Vollstreckungsgericht umfassende Beweise erheben kann[40]. Das neue französische Vollstreckungsrecht bemüht staatliche Hilfe bei der Feststellung der Adresse des Schuldners, des Drittschuldners und des Arbeitgebers[41]. Man muss bei der deutschen Reformdiskussion beachten, dass eine breite richterliche Inquisition am Verfahrensanfang nur bei zentraler richterlicher Vollstreckungsleitung sinnvoll erscheint, die ihrerseits zu Schwerfälligkeiten führt (Rn. 4.9 f., 4.26, 6.47 ff.). Der Ausbau schuldnerischer Erklärungspflicht am Verfahrensanfang in Gestalt der Vermögensauskunft und die flankierende Möglichkeit des Abrufs von Vermögensverzeichnissen durch Gerichtsvollzieher und Vollstreckungsgerichte, der dezentrale Vollstreckung weiterhin favorisiert, ist hingegen zu begrüßen (Rn. 4.12, 4.17, 4.25).
4. Einseitigkeit und Gehör
6.26
Wenn in einem Verfahren der Erlass eines Verfahrensaktes das Gehör beider Parteien voraussetzt, so spricht man von einem zweiseitigen oder kontradiktorischen Verfahren. Wenn nur der Antrag einer Partei genügt und die andere Partei vor Erlass des Verfahrensaktes nicht gehört wird, handelt es sich um ein „einseitiges“