Handbuch des Strafrechts. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

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Издательство: Bookwire
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Год издания: 0
isbn: 9783811483385
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Selbstbelastung der Aussage entziehen können.[606] Da jedoch nach dem Referentenentwurf kein Beschlagnahme- und Verwertungsverbot bestehen soll, wenn interne Untersuchungen vor Einleitung eines Ermittlungsverfahren durchgeführt werden, und Unternehmen vollständig kooperieren, insb. alle Ergebnisse und Dokumente von verbandsinternen Untersuchungen offenzulegen haben, muss nach Vorstellung der Verfasser des Referentenentwurfs als Gegengewicht ein Auskunftsverweigerungsrecht vorhanden sein. Folge wird jedoch sein, dass eine „normale“ informatorische Mitarbeiterbefragung künftig kaum noch möglich ist, womit die Normierung eines Aussageverweigerungsrechts einen unzulässigen Eingriff in das privatrechtliche Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer darstellt.[607] Vorzugswürdig erscheint stattdessen die Einführung der Widerspruchslösung (Rn. 174), wonach Befragungsprotokolle von Mitarbeitern, die grds. zur Aussage verpflichtet sind, an die Strafverfolgungsbehörden nur dann herausgegeben werden dürfen, wenn der jeweils befragte Mitarbeiter der Herausgabe nicht widerspricht.[608] Das vorgesehene Konzept konterkariert die Durchführung verbandsinterner Untersuchungen, lässt sie zum „Vehikel für staatliche Ermittlungen“[609] werden, droht Rechtsanwälte zu „Handlangern“ der Staatsanwaltschaften zu machen und leistet der „Privatisierung des Ermittlungsverfahrens“[610] Vorschub. Es droht die „bedingungslose Kooperation, oder besser gesagt, Kapitulation“.[611]

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      12. Abschnitt: Täterschaft und Teilnahme§ 49 Strafbarkeit juristischer Personen › G. Fazit und Ausblick

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      Die Einführung eines „Verbandssanktionengesetzes“ und damit eines Verbandsstrafrechts (Rn. 161) ist im Jahr 2020 in greifbare Nähe gerückt. Damit könnte eine Diskussion zum Abschluss gebracht werden, die seit über 200 Jahren immer wieder aufflammt und in den letzten Jahren durch die Entwicklungen auf europäischer und internationaler Ebene begünstigt wurde. Zwar können in Deutschland seit 1968 Verbandsgeldbußen (§ 30 OWiG) festgesetzt werden, die Ausdruck eines „Verbandsstrafrechts im weiteren Sinne“ sind. Dieses System, das auf das Ordnungswidrigkeitenrecht gründet, weist jedoch Defizite auf (Rn. 125). Viele Defizite, wie die unzureichende Höhe der Verbandsgeldbußen sowie Anwendungs- und Vollzugsdefizite, ließen sich durch entsprechende Reformen abmildern oder gar beseitigen, allerdings hätte ein Verbandsstrafrecht Vorteile. Hiervon ginge nicht nur eine gleichmäßigere und stärkere kriminalitätsdämpfende Wirkung aus (Geltung des Legalitätsprinzips; öffentlicher Strafprozess), sondern es würde dem Umstand Rechnung tragen, dass nur eine Verbandsstrafe den Unrechts- und Schuldgehalt begangener Straftaten und die gesellschaftliche Verantwortung der Verbände angemessen widerspiegelt. Es ist nunmehr Aufgabe des Gesetzgebers, im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative über die Einführung eines „Verbandssanktionenrechts“ zu entscheiden und das System zu reformieren. Der Entwurf des VerSanG vom April 2020 kann zwar Defizite abmildern, wird aber neue, erhebliche Defizite auftun. Genannt sei nur die drohende „Gefährdungshaftung“ für alle Verbandsangehörigen und die unausgewogene Regelung der verbandsinternen Untersuchungen. Es bleibt zu hoffen, dass das Gesetz, sofern es verabschiedet wird, an die bereits bei §§ 30, 130 OWiG bewährten und nach der Reform weiterhin vorhandenen Zurechnungsstrukturen anknüpft und hierbei die Verteidigungsrechte der Verbände hinreichend wahrt.

      12. Abschnitt: Täterschaft und Teilnahme§ 49 Strafbarkeit juristischer Personen › Ausgewählte Literatur

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Böse, Martin Strafbarkeit juristischer Personen – Selbstverständlichkeit oder Paradigmenwechsel im Strafrecht, ZStW 126 (2014), 132 ff.
Bottke, Wilfried Standortvorteil Wirtschaftskriminalrecht: Müssen Unternehmen „strafmündig“ werden, wistra 1997, 241 ff.
Busch, Richard Grundfragen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Verbände, 1933.
Dannecker, Gerhard Zur Notwendigkeit der Einführung kriminalrechtlicher Sanktionen gegen Verbände, GA 2001, 101 ff.
Delmas-Marty, Mireille (Hrsg.) Das Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union, 1998.
Deutscher Anwaltverein Stellungnahme durch den Ausschuss Strafrecht unter Mitwirkung der Ausschüsse Berufsrecht und Handelsrecht zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität, NZG 2020, 298 ff.
Eggers, Tobias „Ich weiß nicht was soll es bedeuten“ – Update zum Unternehmensstrafrecht, BB 2019, 3010 ff.
Ehrhardt, Anne Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe, 1994.
Eidam, Gerd Die Verbandsgeldbuße des § 30 Abs. 4 OWiG, wistra 2003, 447 ff.
Eidam, Gerd (Hrsg.) Unternehmen und Strafe, 5. Aufl. 2018.
Engelhart, Marc Sanktionierung von Unternehmen und Compliance, 2. Aufl. 2012.
Fischer, Thomas Unternehmensstrafrecht in der Revision, StraFo 2008, 329 ff.
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Heinitz, Ernst Empfiehlt es sich, die Strafbarkeit der juristischen Person gesetzlich vorzusehen? Gutachten, in: Verhandlungen des vierzigsten Deutschen Juristentages Hamburg 1953, Bd. I, 1954, S. 65 ff.
Henssler, Martin/Hoven, Elisa/Kubiciel, Michael/Weigend, Thomas

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