Fall 6:
Verwandte des Erblassers B werden Gerüchten zufolge irgendwo in den USA oder Brasilien vermutet. Zu welchem Zeitpunkt können die Nachlassgläubiger gegen wen Rechte geltend machen? Lösung → Rn. 135
Fall 7:
Der Erblasser C hatte in seinem Testament erklärt, dass sein einziger Sohn S bis auf die Briefmarkensammlung sein Erbe sein soll. Die Briefmarkensammlung hat einen Wert von 30.000 €, was etwa 40 % des Wertes des gesamten Nachlasses ausmacht. Andere gesetzliche Erben als S sind beim Tod des C nicht vorhanden bzw. nicht zu ermitteln. Wer erbt die Briefmarkensammlung? Lösung → Rn. 136
Literatur:
Bostelmeyer, Zur Notwendigkeit der Erbenermittlung vor Feststellung des Erbrechts des Fiskus, Rpfleger 2004, 569; Bungert, Ausländisches Fiskuserbrecht vor deutschen Gerichten, MDR 1991, 713; Firsching, Das Anfallsrecht des Fiskus bei erblosem Nachlass, IPRax 1986, 25; Frohn, Feststellung des Fiskalerbrechts und Erbenaufgebot, Rpfleger 1986, 37; Gergen, Die gesetzliche Erbfolge einschließlich des gesetzlichen Erbrecht des Staates und seine Bezüge zum Römischen Recht, ZErb 2008, 371; Holl, Das Erbrecht des Staates, Rpfleger 2008, 285; Lorenz, Staatserbrecht bei deutsch-österreichischen Erbfällen, Rpfleger 1993, 433; Meyer, Fiskuserbrecht und Erbenermittlung: Probleme des „erbenlosen Nachlasses“, ZEV 2010, 445; Streck, Ein unwilliger Erbe: Der Fiskus, AG 2014, 155.
Teil II Die gesetzliche Erbfolge › § 6 Das gesetzliche Erbrecht des Staates › I. Funktion und Rechtsnatur
I. Funktion und Rechtsnatur
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§ 1936 statuiert ein subsidiäres gesetzliches Erbrecht des Staates[1]: Der Staat ist als gesetzlicher (Zwangs-)Erbe letzter Ordnung berufen, wenn kein Verwandter, Ehegatte oder Lebenspartner vorhanden ist. Sinn und Zweck ist es, herrenlose Nachlässe zu vermeiden und eine ordnungsgemäße Nachlassabwicklung zu sichern.[2]
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Es handelt sich dabei nicht um ein hoheitliches Aneignungsrecht (bona vacantia), wie es viele andere Staaten kennen[3], sondern um ein wirkliches privates Erbrecht (Staat als ultimus heres)[4]. Zu den internationalprivatrechtlichen Konsequenzen und zum Aneignungsrecht nach § 32 IntErbRVG → Rn. 132 f., 1504.
Teil II Die gesetzliche Erbfolge › § 6 Das gesetzliche Erbrecht des Staates › II. Voraussetzungen
II. Voraussetzungen
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Der Staat wird gem. § 1936 S. 1 nur dann Erbe, wenn zur Zeit des Erbfalls kein Verwandter, Ehegatte oder Lebenspartner des Erblassers vorhanden ist. „Vorhanden“ i.d.S. ist ein Verwandter/Ehegatte/Lebenspartner nur dann, wenn er erbfähig und erbberechtigt ist.[5] Ein Verwandter/Ehegatte/Lebenspartner ist somit nicht nur dann nicht vorhanden, wenn er tatsächlich nicht (mehr) existiert, sondern auch, wenn er enterbt wurde (§ 1938, → Rn. 488), die Erbschaft ausgeschlagen hat (§ 1953 Abs. 1, → Rn. 597), erbunwürdig ist (§ 2344 Abs. 1, → Rn. 494 ff.), auf die Erbschaft verzichtet hat (§ 2346 Abs. 1 S. 2, → Rn. 523 ff.).
Der Staat als gesetzlicher Erbe kann hingegen nicht enterbt werden (argumentum e contrario e § 1938).[6] Er kann aber durch Verfügung von Todes wegen als gewillkürter Erbe eingesetzt werden.
Theoretisch ist es zwar kaum vorstellbar, dass überhaupt keine noch so entfernten Verwandten des Erblassers mehr vorhanden sind. In der Praxis ergibt sich aber häufig das Problem, dass sehr entfernte Verwandte schlicht nicht vom Erbfall und/oder ihrer Verwandtschaft erfahren.
Teil II Die gesetzliche Erbfolge › § 6 Das gesetzliche Erbrecht des Staates › III. Die Feststellung des Fiskuserbrechts
III. Die Feststellung des Fiskuserbrechts
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Um im Interesse etwaiger unbekannter Erben zu verhindern, dass der Staat das Erbe voreilig ergreift[7], darf der Staat erst nach Durchführung eines gerichtlichen Feststellungsverfahrens über den Nachlass verfügen. Durch dieses in §§ 1964, 1965 geregelte Feststellungsverfahren wird aber zugleich auch die mit der Ermittlung etwaiger Erben verbundene Schwebezeit angemessen begrenzt.[8] Sofern der Fiskus als gesetzlicher Erbe in Betracht kommt, erlegt § 1964 dem Nachlassgericht (= Amtsgericht, § 23a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 GVG i.V.m. § 342 Abs. 1 Nr. 4 FamFG) eine Erbenermittlungspflicht auf.[9] Das Erbrecht des Staates darf nur festgestellt werden, wenn nicht innerhalb einer angemessenen Frist ein Erbe ermittelt wird.[10] Die Erbenermittlung erfolgt von Amts wegen (§ 26 FamFG).[11] Gem. § 1965 Abs. 1 S. 1 muss eine öffentliche Aufforderung zur Anmeldung der Erbrechte unter Bestimmung einer Anmeldefrist erfolgen. Bezüglich Art der Bekanntmachung und Dauer der Anmeldefrist gelten gem. § 1965 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 die Vorschriften über das Aufgebotsverfahren (§§ 433 ff. FamFG) entsprechend[12]; die öffentliche Bekanntmachung erfolgt somit nach § 435 FamFG und die Anmeldefrist muss mindestens 6 Wochen betragen (§ 437 FamFG). Die Aufforderung ist allerdings gem. § 1965 Abs. 1 S. 2 entbehrlich, wenn die Kosten dem Bestand des Nachlasses gegenüber unverhältnismäßig groß sind. Wenn innerhalb der Anmeldefrist[13] ein Erbrecht angezeigt wird, beginnt mit Ablauf der Anmeldefrist eine dreimonatige Wartefrist, innerhalb derer dem Nachlassgericht nachgewiesen werden muss, dass das angemeldete Erbrecht besteht oder gegenüber dem Fiskus im Wege der Klage geltend gemacht wird; geschieht dies nicht, so bleiben die entsprechenden Erbrechte unberücksichtigt (§ 1965 Abs. 2 S. 1). Dies bedeutet aber nicht, dass das Erbrecht erlischt, sondern nur, dass das Nachlassgericht es im Verfahren zur Feststellung des Fiskuserbrechts nicht mehr berücksichtigt.
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Die Feststellung des Fiskuserbrechts erfolgt durch Beschluss des Nachlassgerichts (§ 1964 Abs. 1 BGB). Der Feststellungsbeschluss hat aber keine rechtsgestaltende Wirkung, sondern begründet nur die widerlegliche Vermutung, dass der Staat gesetzlicher Erbe ist.[14] Der Beweis des Gegenteils kann sowohl im normalen Zivilprozess als auch im Erbscheinsverfahren geführt werden; zudem kann der Beschluss jederzeit aufgehoben werden (§ 48 FamFG).[15]
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Erst nach dem Feststellungsbeschluss ist der Nachlass dem Fiskus auszuhändigen.[16] Vorher können die Nachlassgläubiger auch noch keine Rechte gegen den Fiskus geltend machen (§ 1966). Im Gegensatz zu einem Erbschein (vgl. §§ 2366, 2367, → Rn. 1293 ff.) oder einem Europäischen Nachlasszeugnis