S. Luik
Sebastian BrantBrant, Sebastian (1457–1521)
(1457–1521)
Geb. laut Grabinschrift 1457 in Straßburg; Vater: Gastwirt (gestorben 1468); 1475 Baccalaureus Artium; anschließend Studium der Jurisprudenz; 1483 Lizentiat und Dozent; 1489 Doctor utriusque iuris; 1492 Dekan der juristischen Fakultät der Universität Basel; 1499 Aufgabe der Baseler Stelle; 1500 in Straßburg als Rechtskonsulent, 1503 Stadtschreiber in Straßburg; Ernennung zum kaiserlichen Rat (1502), Comes Palatinus und Beisitzer am Reichskammergericht durch Kaiser Maximilian 1., 1520 Teilnahme an einer Gratulationsdelegation der Stadt Straßburg zum |86|neuge wählten Kaiser nach Gent, Bestätigung der auf B.s Veranlassung erweiterten Privilegien der Reichsstadt durch Karl V.; am 10.5.1521 ist der „Archigrammateus“ (Aufschrift seines Grabsteines) in Straßburg gestorben.
Von seinen Schriften ist die satirisch-moralische Sammlung „Das Narrenschiff“ am bekanntesten geworden. B. geißelt in über 100 Kapiteln Mißstände nicht nur seiner Zeit. So wird in Kap. 71 die Prozessiersucht als Versuch dargestellt, der Justitia eine Augenbinde umzubinden. Möglicherweise handelt es sich bei dem zugehörigen Holzschnitt um die erste Darstellung des – also ursprünglich negativ gemeinten – Bindensymbols (Wiethölter). B. geht davon aus, daß es genüge, die aufgezeigten Mißstände als Narrheiten bewußt zu machen, um seine Zeitgenossen zu einer Änderung der Verhältnisse zu bewegen.
In zahlreichen Flugblättern nahm B. am politischen Leben teil. Als großer Verehrer Kaiser Maximilians zielte er auf eine Stärkung der Stellung des Kaisers ab. Tagesereignisse wie den Niedergang eines „Donnersteins“ (Meteorit) bei Ensisheim 1492 oder die „wunderbare geburd des kinds bey Wurmsz des jars 1495“ (siamesischer Zwilling) deutet er als gute Vorzeichen für die Politik Maximilians; z.B. wird die Zwillingsgeburt als Symbol für das Reich genommen, wo auch ein Kopf über mehrere Körper herrschen soll.
Für die Jurisprudenz als Fachstudium nach Erlangung des Baccalaureus Artium entschied B. sich wahrscheinlich mit halbem Herzen unter dem Zwang einer finanziellen Notlage in seiner Familie. Als Jurist der Rezeptionszeit befaßte er sich besonders mit dem römisch-kanonischen Recht, das er in seinen juristischen Werken erläutert. Oft tritt er nur als Herausgeber fremder Arbeiten auf; aber auch im Hinblick auf den Inhalt seiner eigenen Schriften ist es berechtigt, ihn nicht als Neuerer, sondern als „Popularisator“ des römischen Rechts zu bezeichnen (Rosenfeld).
Deutlich wird dies an seinen „Expositiones sive declarationes … omnium titulorum legalium“ von 1490. Es handelt sich dabei um einen Versuch, das gesamte römische Recht im Überblick darzustellen. B. schloß so eine damals vorhandene Lücke, die daher rührte, daß die üblichen breiten Exegesen einzelner Teile des Rechts dem Studenten eine Gesamtschau erschwerten. Man kann die „Expositiones“, die aus B.s Vorlesungen hervorgingen, mit unseren heutigen Lehrbüchern vergleichen. Wegen der geringen Durchdringung des Stoffes – B. hielt sich bei der Gliederung genau an die überlieferte Anordnung der oberitalienischen Glossatoren – ist dieses Werk zur populären Rechtsliteratur des |87|15./16. Jhs. zu zählen. B.s Name trug zur überaus großen Verbreitung dieses Buches bei.
1509 lieh er diesen Namen der Herausgabe von → Ulrich TenglersTengler, Ulrich (um 1447 – um 1522) Laienspiegel, für den er ein empfehlendes Vorwort schrieb. Den Klagspiegel, der allgemein mit B. in Verbindung gebracht wird, gab er 1516 nach einer älteren Vorlage heraus. Zusammengestellt worden war dieses Werk, das Formulare für zivil- und strafrechtliche Klagen aufführt und erläutert, wohl schon in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts von einem gelehrten Juristen. Der von B. hinzugefügte Vorspruch zum ersten Teil wirft ein Licht auf die Zielsetzung des Buches und der ganzen populären Literatur der Rezeptionszeit:
„… Teutsch red ich mit lateinischer zungen
Darumb hab man der wort wol acht
Die ausz lateyn seind teütsch gemacht
Die seind (so vil möglich gewesen)
Verteütscht das jeder die mag lesen
Daraus nemen guten verstandt
Mich hat gemustert Doctor Brant
Und den Clagspiegel recht genannt.“
B.s kritische Haltung ging über die vorgefundene Ordnung nicht hinaus: „So wenig Brant als bahnbrechend wirkt, steht er doch als ein Abschluß, eine letzte große Zusammenfassung am Ende des Mittelalters, allen moralischen und politischen Ideen der vergangenen Jahrhunderte noch einmal Gestalt gebend. Er neben Kaiser Maximilian: Mittelalterliches Rittertum neben mittelalterlichem Bürgertum“ (R. Westermann).
Hauptwerke: Expositio omnium titulorum iuris civilis et canonici, 1488(?), 1490, weitere Aufl. im 16. Jh. – Das Narrenschiff (1494), moderne Ausgaben: F. Zarncke, 1854 (Ndr. 1961); H.-J. Mähl (übers. v. H.A. Junghans), 2012; M. Lemmer, 2004; J. Knape, 2005. – Varia Sebastiani Brant Carmina, 1498. – (Hrsg.) Der richterlich Clagspiegel. Ein nutzbarlicher begriff, wie man setzen unnd formieren sol nach ordnung der Rechte ein yede Clag, Antwurt, und außsprechene Urteilen, 1516 (zahlreiche weitere Aufl. im 16. Jh.). – Flugblätter (hrsg. v. P. Heitz), 1915. Bibliographie: J. Knape u.a.: Sebastian Brant Bibliographie, 2015.
Literatur: K. Bergdolt u.a (Hrsg:): Sebastian Brant und die Kommunikationskultur um 1500, 2010. – H. Coing: Römisches Recht in Deutschland (= IRMAE V 6), 1964, 206f. – A. Deutsch: Der Klagspiegel und sein Autor Conrad Heyden, 2003. – Ders.: Klagspiegel, in: HRG2 II (2012), 1864–1869. – W. Gilbert: Sebastian Brant, Conservative Humanist, in: Arch. f. Reformationsgeschichte 46 (1955), 145–167. – G. Kisch: Die Anfänge der Juristischen Fakultät der Universität Basel 1459–1529, 1962, bes. 77–81, 284, 355. – J. Knape: Dichtung, Recht und Freiheit: Studien zu Leben und Werk Sebastian Brants 1457–1521, 1992. – J. Knepper: Nationaler Gedanke und |88|Kaiseridee bei den elsässischen Humanisten, 1898, 79–106. – H.-J. Mähl: Sebastian Brants Leben und Werk, in: Brant: Das Narrenschiff (hrsg. v. H.-J. Mähl, s.o.). – S. Mausolf-Kiralp: Die „traditio“ der Ausgaben des Narrenschiffs, 1997. – R. Newald: Elsässische Charakterköpfe aus dem Zeitalter des Humanismus, 1944, 85–110. – H.-G. Roloff (Hrsg.): Sebastian Brant (1457–1521), 2008. – Friedrich Schultz: Nachwort zu: Brant: Flugblätter (hrsg. v. P. Heitz) s.o. – Stintzing-Landsberg: GDtRW I, 93–95. – R. v. Stintzing: Geschichte der populären Literatur des römisch-kanonischen Rechts in Deutschland, 1867 (Ndr. 1959), 45–47, 337–408 (Klagspiegel), 451–462. – O. Stobbe: Geschichte der deutschen Rechtsquellen II, 1864, 167–170. – R. Westermann: Sebastian Brant, in: Verfasserlex. d. dt. MA (hrsg. v. W. Stammler) I (1933), 276–289. – R. Wiethölter: Rechtswissenschaft, 1968, 32. – T. Wilhelmi: Sebastian Brant, 3 Teile, 1990. – T. Wilhelmi (Hrsg.): Sebastian Brant. Forschungsbeiträge zu seinem Leben, zum „Narrenschiff“ und zum übrigen Werk, 2002. – E.H. Zeydel: Sebastian Brant, 1967. – E.H. Zeydel: Wann wurde Sebastian Brant geboren? in: Zeitschr. f. dt. Altertum u. Lit. 95 (1966), 319. – ADB 3 (1876), 256–259 (Steinmeyer). – HRG2 I (2008), 663–665 (K.-P. Schroeder). – Jur., 98f. (J. Otto). – Jur.Univ I, 566–569 (A. Massferrer). – NDB 2 (1955), 534–536. (H. Rosenfeld). Bibliographie: J. Knape/D. Wuttke: Sebastian-Brant-Bibliographie (Forschungsliteratur von 1800–1985), 1990.
P.