23Die vorstehend skizzierte Relativierung der »Hemmschwellentheorie« durch den 4. Strafsenat verdient uneingeschränkte Zustimmung, da sie zutreffend herausarbeitet, dass die Prüfung des Tötungsvorsatzes stets einer besonders sorgfältigen Gesamtabwägung aller vorhandenen Tatumstände bedarf, wobei verbleibende Zweifel entsprechend den allgemeinen Regeln nach dem in dubio pro reo Grundsatz zugunsten des Täters aufzulösen sind.[49] Keinesfalls darf der Tötungsvorsatz aber unter bloßem Hinweis auf die (fehlende) Überwindung einer in ihren Konturen weitgehend unklaren »Tötungshemmschwelle« bejaht bzw. verneint werden.
24Ob die Entscheidung des 4. Strafsenates tatsächlich eine endgültige Abkehr der Rechtsprechung vom Hemmschwellentopos eingeleitet hat, muss vor dem Hintergrund eines nur kurz darauf vom 5. Strafsenat verabschiedeten Urteils bezweifelt werden. Diesem lag ein Fall zugrunde, in dem die Täter das Tatopfer mit ½ Liter Terpentinersatzmittel übergossen und anschließend mit einem Feuerzeug anzündeten.[50] Dass das zuständige Schwurgericht den Tötungsvorsatz |12|unter Hinweis auf die Alkoholisierung der Täter und dem Umstand verneint hatte, diese hätten kein Interesse am Tod des Tatopfers gehabt, da dieses ihnen regelmäßig Unterkunft in seiner Wohnung gewährte, hielt der 5. Strafsenat für unbedenklich und verwies (ohne Auseinandersetzung mit der Entscheidung des 4. Strafsenates) auf seine Rechtsprechung zu den Grenzen der Zulässigkeit eines Rückschlusses von einer besonderen Gefährlichkeit der Tathandlung auf das Bestehen eines Tötungsvorsatzes.[51] Bedenkt man hingegen die evidente Lebensgefahr, die von der Entzündung eines großflächig auf dem menschlichen Körper aufgebrachten Brandbeschleunigers ausgeht, hätte es zumindest bei Zugrundelegung des vom 4. Strafsenates entwickelten Prüfmaßstabes wohl größerer argumentativer Bemühungen bedurft, um den Tötungsvorsatz zu verneinen.[52] Insoweit steht zu befürchten, dass die Rechtsprechung zur Abgrenzung des dolus eventualis von der bewussten Fahrlässigkeit in Tötungsfällen auch weiterhin einen wenig einheitlichen und teils unberechenbar erscheinenden Charakter[53] aufweisen wird. In der juristischen Fallbearbeitung sollte der Hemmschwellengedanke künftig aber nicht mehr ohne Hinweis auf die distanzierende Tendenz in der jüngeren Rechtsprechung des BGH erwähnt werden.[54]
b) Besonders schwerer Fall
25§ 212 Abs. 2 StGB ordnet die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe an, wenn ein besonders schwerer Fall des Totschlags vorliegt. Dies ist dann anzunehmen, »wenn das in der Tat zum Ausdruck gekommene Verschulden des Totschlägers ebenso schwer wiegt wie das eines Mörders […]. Die Prüfung dieser Frage obliegt dem Tatrichter, der im Rahmen einer Gesamtwürdigung von Tat und Täter zu beurteilen hat, ob trotz Nichterfüllung des Mordtatbestandes sonstige unrechts- und schuldsteigernde Umstände vorliegen, die die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe rechtfertigen.«[55] Von Seiten des BGH wurden als Umstände, die einen besonders schweren Fall begründen können, etwa das Bestehen einer Vorstrafe wegen Totschlags, die Absicht des Täters, durch die Tötung ein zwar nicht strafbares, aber ihm unangenehmes Geschehen zu verdecken, sowie die Tötung der Ehefrau vor den Augen ihrer Kinder angesehen.[56] Grundsätzlich sollte ein besonders schwerer Fall nach § 212 Abs. 2 StGB wegen der Unbestimmtheit der Vorschrift und des damit einhergehenden schwer einzugrenzenden Anwendungsbereichs jedoch nur zurückhaltend angenommen werden.[57] Insbesondere würde es »in der Regel |13|dem Schuldprinzip widersprechen, wollte man den Täter, der aus subjektiven Gründen nicht wegen Mordes verurteilt werden kann, wegen der Nähe der objektiv vorliegenden Motive zu den niedrigen i.S.d. § 211 StGB auf dem Umweg über den besonders schweren Fall des Totschlags mit der dem Mörder zugedachten Strafe belegen.«[58] Nach diesen Maßstäben besteht insbesondere in universitären Prüfungsarbeiten in der Regel kein Anlass, auf die Strafzumessungsvorschrift in § 212 Abs. 2 StGB einzugehen.
c) Minder schwerer Fall
26§ 213 StGB normiert einen teilweise benannten Strafmilderungsgrund in Form eines minder schweren Falles. Ausdrücklich benannt ist der Fall, dass der Täter ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Misshandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden ist. Ob eine Misshandlung oder Beleidigung die erforderliche Schwere erreicht hat, ist nach objektiven, auf den Lebenskreis der Beteiligten bezogenen Kriterien zu beurteilen.[59] So genügen den »Anforderungen an eine schwere Beleidigung i.S.d. § 213 Alt. 1 StGB […] nur solche Provokationen, die auf der Grundlage aller dafür maßgebenden Umstände unter objektiver Betrachtung und nicht nur aus der Sicht des Täters als schwer beleidigend zu beurteilen sind; denn der hohe Rang des durch § 212 StGB geschützten Rechtsguts und die unter den Voraussetzungen des § 213 StGB mildere Beurteilung der Vernichtung menschlichen Lebens gebieten es, die Anforderungen an die Schwere der Beleidigung und auch der auf die tatauslösende Situation zulaufenden Entwicklung der Täter-Opfer-Beziehung nicht zu niedrig anzusetzen.«[60] Liegt eine hinreichende Provokation oder Misshandlung vor, ist der Täter durch diese dann ohne eigene Schuld zum Zorn gereizt, wenn er die Misshandlung bzw. Provokation nicht in ihm objektiv zurechenbarer Weise veranlasst hat und die Tötung auf durch die Provokation hervorgerufene Wut, Empörung oder einen vergleichbaren Gemütszustand zurückzuführen ist.[61] Für die Frage, ob der Täter auf der Stelle zur Tat hingerissen wurde, kommt es zuletzt darauf an, »ob die durch das vorausgegangene Verhalten des Opfers verursachte Kränkung oder Reizung des Täters im Tatzeitpunkt noch angehalten hat, zwischen diesen beiden Vorgängen also ein ›motivationspsychologischer Zusammenhang‹ besteht.«[62]
27Liegt der in § 213 StGB ausdrücklich benannte Strafmilderungsgrund nicht vor, kann eine Strafmilderung gleichwohl vorzunehmen sein, wenn sonst ein minder schwerer Fall gegeben ist. Hiervon ist dann auszugehen, wenn »das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden |14|Fälle in einem Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist […]. In diesem Zusammenhang können auch die Vorgeschichte der Tat und die gesamten Beziehungen zwischen den Beteiligten von Bedeutung sein«[63]. In universitären Prüfungsarbeiten wird nur selten Anlass bestehen, auf die Voraussetzungen eines unbenannten minder schweren Falles einzugehen.
d) Leitentscheidungen
28BGH NStZ 2009, 91; Tötungsvorsatz: Ein trinkgewohnter Wohnungsinhaber konsumiert mit einem Bekannten erhebliche Mengen Alkohol, bis er eine BAK von 3,55 ‰ aufweist. Nachdem der Bekannte ihn mehrfach beleidigt hat, führt der Wohnungsinhaber einem spontanen Entschluss folgend mit einer 75 cm langen und 1 kg schweren Eisenstange 6 kräftige Hiebe gegen den Rumpf des Bekannten aus. Der Bekannte erleidet Knochenbrüche im Bereich des Oberkörpers