Rabenflüstern. Philipp Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Philipp Schmidt
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Год издания: 0
isbn: 9783957770035
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die Hand am Griff seines mächtigen Krummschwerts. Kraeh winkte ab, hob seinen Stuhl auf und ließ den Mann, der ihn um einen Kopf überragte, allein stehen, während er sich seufzend wieder setzte. Berbasts Brustpanzer glitzerte im Schein des von Fackeln erleuchteten Raumes.

      »Mit deinem legendären Listenreichtum verlören wir zu viele gute Männer«, sagte Kraeh mit schneidender Ironie, ohne seinen daraufhin vor Wut schäumenden Vorgesetzten eines Blickes zu würdigen.

      »Ihr beginnt sofort mit der Planung«, sprach Bran betont gelassen. »Sollte einer von euch alleine zurückkehren, werde ich ihn seiner Stellung entheben. Passt gut auf euch auf.« Er lächelte.

      Kraeh hätte ihn gerne unter vier Augen gesprochen, um ihn nach der Rolle des Vermummten zu fragen, doch wollte er Sedain nicht länger allein vor dem Tor stehen lassen. Im Gehen wandte er sich an Berbast: »Bei Sonnenuntergang an der Ostmauer. Diesmal nur, um unser Vorgehen zu planen.«

      Berbast nickte mürrisch.

      Draußen wartete sein Freund mit gereizter Miene. »Na, wie war eure geheime Besprechung?«, fragte er, das Wort geheim strapazierend.

      Kraeh ging nicht auf den Vorwurf ein. »Nichts, was wir nicht schon geahnt hätten. Politiker eben«, sagte er schlicht.

      »Ja, Rattenpack!«, zischte Sedain und sah sich um, ob sie beobachtet wurden. Als er sich sicher war, dass dem nicht so war, drang er weiter auf Kraeh ein.

      »Und unser kleines Geschäft?«

      »Sie wissen davon.«

      »Was?!«, entfuhr es dem Halbelfen.

      »Mach dir keine Sorgen. Bran braucht jeden Mann, der ein Schwert halten kann. Vergiss es einfach.«

      Sedain beruhigte sich. »Schon passiert.«

      Sie begaben sich in die Offiziersschenke. Bereits nach einem Humpen Met verabschiedete Kraeh sich von den zechenden Soldaten.

      ***

      Kraeh war absichtlich früher an der verabredeten Stelle als ausgemacht. Es war ihm zu kalt, sich auf einer der Zinnen niederzulassen, so stand er auf die Unterarme gestützt und überblickte das weite Tal, das sich hinter dem äußersten Wall erstreckte. Im Schimmer des letzten Lichtes lag das Land, für das er kämpfte, in warmes Orange getaucht da. Unter ihm balgten die Söhne und Töchter Brans in einem Innengarten mit denen des Königs. Ihr Lachen verstummte, als die Kindermädchen versuchten, sie mit erhobenen Zeigefingern einzusammeln, und damit ihr Spiel störten.

      Etwas stimmte ihn nachdenklich, aber er konnte nicht genau ausmachen, was es war. Auch wenn in der ganzen Stadt großes Aufheben um die Aussicht eines neuen Krieges gemacht wurde, war das eigentlich nichts Neues. Das Wort Frieden kannte er der Bedeutung nach, es hatte für ihn jedoch nicht mehr Wirklichkeitscharakter als für einen Fisch die Gemütlichkeit einer Feuerstelle.

      Es musste etwas anderes sein, das seine Instinkte alarmierte. Er ging die Situation des Reiches systematisch durch. Zuerst einmal gab es da ihren Nachbarn Theodosus. Sein Bruder, der eigentliche Thronerbe Rhodums, war bei einem dubiosen Jagdunfall ums Leben gekommen, fast ebenso merkwürdig war der Tod seines Vaters Marc gewesen. Aber was bedeutete das schon? Auch Bran war nicht zimperlich, wenn es um den Erhalt seiner Macht ging. Theodosus war nicht mehr als ein Machthungriger mit einer selbst gebastelten Krone auf dem Haupt, der von seinen Priestern schlecht beraten wurde und bald in seine Schranken verwiesen würde.

      Die Orks brauchten noch Jahre, bis sie an eine Überquerung des Flusses denken könnten, zumal sich in ihrer Flanke der Wald der Zauberin befand. Kein Mann, und das galt auch für Orks, sagte man, sei jemals aus ihrem Reich zurückgekehrt. Ihre Kriegerinnen wurden Druden genannt und ihre Unbarmherzigkeit war legendär. Aus den Schädeln ihrer Opfer hatten sie einen Grenzzaun errichtet. Kraeh hatte ihn einst mit eigenen Augen gesehen. Menschen, Orks, Trolle – jede Rasse schien ihren Blutzoll gezahlt zu haben. Ein Schauer jagte ihm über den Rücken. Doch da sie nie ihren Wald verließen, stellten die Druden keine Gefahr dar, zumindest keine erkennbare. Dann gab es noch die Fersen. So wurden all die Landstriche genannt, in denen wilde Stämme lebten. Mit ihnen gab es keinen Handel. Von gelegentlichen Überfällen abgesehen, verhielten sie sich ruhig. Da sie aufgrund ihrer großen Zahl und kaum ausgeprägten Organisationsform nicht zu befrieden waren, hatte es sich eingebürgert, ihre Gebiete schlicht zu umgehen. Sie waren wie unwegsame Natur und machtpolitisch daher zu vernachlässigen.

      Was also war es, das ihn beunruhigte? Welches Detail hatte er übersehen? – Wer war vorhin bei der Besprechung alles zugegen gewesen?

      Hier unterbrach ihn das Geräusch von Lederstiefeln auf Steinboden in seinen Überlegungen. Berbast stieg die Stufen der Treppe hinauf, die auf den Wehrgang führte. Er war älter als Kraeh und hätte schwerfällig auf ihn gewirkt, wenn er diesen Muskelberg nicht schon hätte kämpfen sehen. Er war zwar aufbrausend und leicht zu reizen, verlor aber nie die Kontrolle über sich. Ein Wolf im Bärenpelz, dachte Kraeh.

      Der General trat neben ihn. »Schaust du dir an, was du mit deinem Meuchelfreund verraten hast?«

      »Es ist ein schöner Abend«, sagte Kraeh unbekümmert, wohl wissend, dass es keinen Sinn hatte, mit dem ausschließlich schwarz-weiß denkenden Berbast zu diskutieren.

      Weit unter ihnen öffnete sich ein Tor einem Tross von Wagen, die mit frischem Fisch beladen waren.

      »Also gut, wir haben sowieso keine Wahl. Diesmal kämpfen wir noch Seite an Seite. Aber irgendwann, Kraeh, das verspreche ich dir, werde ich dich töten.«

      »Irgendwann«, Kraeh sah ihm tief in die Augen, »werde ich dein Leben bei dem Versuch beenden.«

      Berbast rümpfte die Nase. »Hast du einen Plan?«

      »Vielleicht …«

      ***

      Auf der Kuppe eines Hohlweges lagen Kraeh, Sedain und neben ihnen zwanzig Speerträger in den frühen Morgenstunden flach auf dem Bauch. Die Streitkraft Brisaks war vor sechs Tagen ausgerückt. Sie waren bei Nacht geritten und hatten tags geschlafen. Zwei Sonnenläufe zuvor hatte sich die Truppe Kraehs, deren andere Hälfte sich auf der gegenüberliegenden Seite des Hohlweges leicht versetzt verborgen hielt, von der Hauptstreitkraft unter der Führung Berbasts getrennt. Wenn alles nach Plan verlief, würden sie sich bald wieder vereinen.

      Sie hatten es geschafft, sich unbemerkt hinter die feindlichen Linien zu bewegen. Seit der Mond hinter den hohen Bergen im Westen verschwunden war, lagen sie nun schon auf dem kalt-feuchten Boden und warteten.

      »Du solltest dich in Acht nehmen, wenn wir erst einmal die Wutach eingenommen haben«, flüsterte Sedain Kraeh zu, »Berbast hasst dich.«

      »Er hasst jeden. Außerdem wird er kaum etwas unternehmen, bevor wir heil zurückgekehrt sind. Ich habe dir doch erzählt, was Bran gesagt hat.«

      Sedain drehte sich auf die Seite, womit er näher an das Ohr seines Freundes rutschte.

      »Glaubst du, Bran kann auf beide seiner Heerführer verzichten?«

      Kraeh wurde ärgerlich. »Hör zu, es ist mir gleich, was Berbast vorhat. Greift er mich an, hole ich mir seinen Kopf.«

      Sedain schwieg, was ihn noch mehr reizte.

      »Was?! Glaubst du, er würde gegen mich gewinnen?«

      »Er hat noch nie einen Zweikampf verloren. Ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher … Ich könnte mich um ihn kümmern, noch ehe er die Gelegenheit bekommt, dich herauszufordern.«

      »Ochsenpisse!«, keifte Kraeh.

      »Pst!«, zischte der Speerträger neben ihm. Sein Name war Hentrik. Ein fähiger Bursche, der nach Kraehs Auffassung nur etwas zu ernst für sein Alter war.

      Dort wo der Hohlweg eine Biegung machte, waren Reiter aufgetaucht. Es waren Hauptmänner Rhodums, leicht zu erkennen an ihren plattenverstärkten Lederrüstungen und den Kreuzen auf den großen Schilden. Bran, der einen nicht geringen Teil seiner freien Zeit in der selbst angelegten Bibliothek verbrachte, hatte ihnen einmal erzählt, Theodosus habe seine Armee nach römischem