Rabenflüstern. Philipp Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Philipp Schmidt
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Год издания: 0
isbn: 9783957770035
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Bran bekamen sie nur einmal bei einer Ansprache kurz zu Gesicht, in der er halbherzig Floskeln über den Ruhm Brisaks und die Tüchtigkeit seiner Streitkräfte verlor.

      Überhaupt schien es Kraeh, als läge ein dunkles Geheimnis über der Stadt. Eine böse Ahnung schien sich in den Gesichtern der Menschen eingenistet zu haben, eine Ahnung ohne greifbaren Grund, der die Abgeschlagenheit und die Verbitterung der Gemüter rechtfertigen würde.

      Sedain und Kraeh saßen in einer Schenke, als sich eine offensichtlich bestürzende Neuigkeit wie ein Lauffeuer verbreitete, es wurde getuschelt und gemunkelt. Sie bestellten den Wirt zu sich, der ihnen unter vorgehaltener Hand zuraunte, dass der König und mit ihm seine ganze Familie umgekommen sei. Die Stimmen wurden lauter. Verschwörungstheorien wurden geäußert und verworfen. Am Nachbartisch war man sich bald einig, es müsse Maet, der intrigante Fürst von Mont, gewesen sein, der die Krone für sich haben wolle.

      »Aber«, warf ein Junge, dessen fliehendes Kinn stolz die ersten Barthaare zur Schau stellte, altklug ein, »wer sagt, dass nicht Bran den Mord befohlen hat?«

      Die flache Hand Kraehs schlug auf den Tisch, bedrohlich langsam stand er auf. Im Wirtshaus herrschte plötzlich Ruhe. Alle kannten, mochten und respektierten ihn und seinen Begleiter, schon dafür, dass sie sich nicht, wie all die anderen Offiziere, zu fein waren, Luft und Ale mit ihnen zu teilen.

      »Steh auf«, sagte er in einem Tonfall, den niemand der Anwesenden von ihm gewohnt war.

      Der Junge tat wie ihm geheißen. Seine Tunika war ihm ebenso zu weit wie der bronzene Armring an seinem Handgelenk.

      »Wie ist dein Name, Soldat?«

      Der Stolz eines Heranwachsenden ließ ihn Haltung bewahren, doch er musste seine Hände im Rücken verschränken, um ihr Zittern zu verbergen.

      »Frederik, Sohn von Friedmund.« Seine Augen suchten die seiner Kameraden, die ein Stück von ihm weggerückt waren.

      Sedain gähnte.

      »Ich kannte deinen Vater, Frederik. Er war ein guter Krieger, besser, als du je sein wirst. Und weißt du auch warum?«

      Die Frage blieb einige Wimpernschläge lang im Raum stehen. Augenblicke, die dem jungen Mann wie Tage vorkommen mussten.

      »Weil er wusste, wofür er kämpfte.« Er wendete sich an alle im Raum. »Bran ist unser Fürst. Er ist ein großer Feldherr und aufrechter Herrscher. Hat einer unter euch jemals Hunger gelitten? Wer sorgt sich um Heim und Kind und wessen Mauern schützen euch tagein, tagaus vor den Bestien, die auf der anderen Seite des Flusses lauern?« Wieder eine Kunstpause. »Jeder hier kennt die Antwort. Überlegt euch wohl, mit wem ihr trinkt.« Er strafte Frederik mit einem letzten Blick und ging durch die volle Gaststube, wobei Stühle und Beine eilig weggezogen wurden, um ihm Platz zu machen.

      »Aber …«, setzte der Belehrte an, Verschämtheit und Trotz rangen in seinen Zügen um die Vorherrschaft, doch ein Kopfschütteln Sedains brachte ihn davon ab, Einspruch zu erheben. Er ließ einige Kupferstücke auf den Tisch fallen und folgte dann seinem Freund vor die Tür.

      »Großartig, du Held. Hier brauchen wir nicht mehr herzukommen.«

      Kraeh winkte ab. »Es gibt genug Kaschemmen in Brisak.«

      »Was sollte das überhaupt und woher wusstest du, dass sein Vater tot ist?«

      »Nur so eine Vermutung …«

      Sie schlenderten gemächlich von dannen, bis Kraeh seinen Freund am Arm packte und in eine Seitenstraße zog. Zuerst verstand Sedain nicht, aber dann lugten sie beide um die Ecke auf die Tür des Wirtshauses. Und tatsächlich, es dauerte nicht lange, da stahl sich eine vermummte Gestalt aus dem Eingang und entfernte sich raschen Schrittes.

      »Irgendetwas ist hier faul. Und ich meine nicht nur das sonderbare Ableben unsres alten Königs.«

      Sedain nickte zustimmend. »Glaubst du, der Junge hatte recht?«

      »Nein, aber Bran verhält sich eindeutig merkwürdig.«

      Kraeh lag auf dem Bett eines Gasthauszimmers, das sich in einem der äußeren Ringe der Stadt an einen Hügel schmiegte. Sedain und er hatten das Angebot Brans, in einem der Gemächer der Burg zu wohnen, vor einigen Jahren abgelehnt. Das Gasthaus war für beide ein Ort der Zuflucht und Ruhe vor dem politischen Treiben. Sie nutzten den Ort, um sich zu erholen. Meist sprachen sie Abende lang kein Wort. Die Schlichtheit der Stube, deren Einrichtung aus zwei Betten, einem Schrank und einem Schreibtisch mit einem darüber hängenden Spiegel bestand, ließ sie die Turbulenzen der Außenwelt vergessen. Zumindest normalerweise, in dieser Nacht jedoch fand Kraeh keine Ruhe. Ein Diener hatte ihn für den morgigen Tag zu Bran bestellt. Er starrte an die Decke und seine Gedanken drehten sich im Kreis, untermalt von dem altbekannten Ton, der in vollkommener Regelmäßigkeit entstand, wenn Sedain einen Schleifstein über die Klinge seiner Axt zog. Er beneidete den Freund um seine Gelassenheit; ihm war es einerlei, für wen und unter welchen Umständen er seinem blutigen Handwerk nachging.

      »Ich gehe noch mal raus«, sagte er schließlich.

      Sedain sah auf, ohne seine Tätigkeit zu unterbrechen.

      »Sag liebe Grüße.« Doch Kraeh hatte schon die Tür hinter sich geschlossen.

      Er wanderte weniger ziellos, als er sich eingestehen wollte, durch die engen Gassen der Stadt. Passierte er ein Tor, grüßte er die vertrauten Wachen, die gelangweilt auf ihre Hellebarden gestützt ihren Dienst verrichteten.

      Der Schein des Sichelmondes wurde ständig von Wolkenschwaden unterbrochen, weit entfernt grollte Donner, als er vor einem mehrstöckigen Gebäude, von dessen Giebeln dämonische Fratzen lachten und wo in schiefen roten Lettern Magdalena geschrieben stand, haltmachte. Erleichtert stellte er fest, dass in dem Eckfenster im zweiten Stock eine Kerze brannte; die kleine Rote hatte demnach keinen Kunden. Wie jedes Mal versuchte er, sich an ihren richtigen Namen zu erinnern, und wie jedes Mal gab er es nach kurzer Zeit auf. Bei ihrem ersten Treffen vor drei Jahren hatte sie sich vorgestellt, beim zweiten Mal war es ihm peinlich, sie erneut zu fragen, und mittlerweile war es ihm unmöglich, sein Unwissen einzugestehen und sie damit vor den Kopf zu stoßen. Er klopfte an und ein bulliger Glatzkopf öffnete.

      »Du weißt ja, wo’s langgeht.«

      Kraeh schob sich an ihm vorbei, stieg eine muffige Treppe hoch, klopfte erneut und betrat das vertraut schäbige Zimmer.

      Die Hälfte des Raums nahm eine mit bunt gemischten Fellen hergerichtete Schlafstätte ein, auf der eine spärlich verhüllte Frau saß; sofort nahm sie eine aufreizende Pose ein.

      »Welch hoher Besuch«, sagte sie in ihrer flötenden Stimme, reckte sich und löschte die Kerze am Fenster mit den Fingern.

      Ein Kohlebecken verbreitete eine glimmende Wärme.

      »Schön, dich zu sehen, du wirst von Mal zu Mal anmutiger«, gab er zurück, und zog die Tür hinter sich zu.

      »Ach ja?« Eines ihrer langen, elfenbeinfarbenen Beine rekelte sich unter ihrem Kleid hervor, wodurch der Saum bis zum Schritt nach oben verrutschte. Langsam fuhren ihre Zehen seine Oberschenkel hinauf. Das Blut in seinem Körper verlagerte sich, doch er bemühte sich um Beherrschung.

      »Warte«, bat er. Sie zog ihren Fuß zurück.

      »Was denn«, fragte sie leicht spöttisch, »heute nicht in Stimmung?«

      Er ging nicht darauf ein. »Sag, ist dir in letzter Zeit etwas Seltsames aufgefallen?«

      Sie wirkte verwirrt. »Was meinst du?«

      »Du hast doch sicherlich von dem Tod Gunthers gehört. Was erzählen deine Kunden?«

      Sie musterte ihn abschätzend. »Um ehrlich zu sein, ich habe mich nie viel darum geschert, was die Männer alles reden, solange sie am Ende zwei Silberstücke hierlassen.« Sie erkannte die Enttäuschung in Kraehs Gesicht. »Was soll’s?«, sagte sie, rückte ein paar Felle zurecht, legte sich seitlich darauf und lud Kraeh mit einer Geste ein, sich neben sie niederzulassen. Eine Armeslänge lag zwischen ihren Köpfen. Noch ein kurzes Zögern, ein Lächeln des