Rabenflüstern. Philipp Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Philipp Schmidt
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения:
Год издания: 0
isbn: 9783957770035
Скачать книгу
sie ihre Pferde an und gingen die letzten Schritte zu dem Haupthaus der Festung, an das sich der Bergfried anschloss, zu Fuß.

      Sedain ließ zweimal einen stählernen, an der Pforte angebrachten Hammer gegen das Eichenholz schlagen, woraufhin ein Augenpaar sie durch einen Sichtschlitz musterte, bevor ächzend ein Riegel weggeschoben wurde.

      Sie betraten eine Halle, in deren Mitte sich eine lange Tafel erstreckte. An ihrem Kopf saß der greise König flankiert von seinen Fürsten Maet und Bran, der in dem Moment, da er die beiden erblickte, aufstand und ein Lächeln aufsetzte. Am Tisch saßen außerdem General Berbast in sein typisches Schwarzbärenfell gehüllt und eine Person, deren Gesicht, wie auch der ganze restliche Körper, von einem schwarzen Kapuzenmantel verdeckt wurde. Da er neben Maet, dem Regenten von Mont, Platz genommen hatte, hielt Kraeh ihn für einen seiner Berater. Abseits standen zwölf Männer in voller Rüstung, jeweils drei aus der Leibgarde der Fürsten und sechs aus der des Königs, die sich aufgrund ihrer gezwirbelten Bärte und scharlachroten Umhänge von den anderen Kriegern abhoben.

      Kraeh und Sedain verbeugten sich zuerst vor dem König und schritten dann auf Bran zu. Er war von allen Adligen am schlichtesten gekleidet. Über einer blauen Tunika diente ihm ein Fuchsfell als Schal, nur ein goldener Siegelring zeugte von seiner Stellung.

      »Mit Freude kehren wir an deinen Hof zurück«, sprach Kraeh für sie beide.

      Bran machte eine wegwerfende Handbewegung. »Warum so förmlich?«

      Sie umarmten sich, wobei Sedain der missbilligende Blick Berbasts nicht entging. »Ich bin froh, meine besten Krieger um mich versammelt zu sehen.« Sedain schüttelte er die Hand im Kriegergruß.

      »Fahren wir also fort …«, setzte Bran an, doch Berbast unterbrach ihn. »Verzeiht, Herr, aber diese Besprechung ist nichts für Männer von niederem Rang.« Der Hausherr sah erst Berbast, dann Sedain und schließlich den König an. Jener winkte müde ab. Ihm schien die Unterhaltung schon viel zu lange anzudauern.

      »General Berbast hat recht«, sagte Sedain ruhig und wandte sich an seinen Freund. »Wir sehen uns später.« Er verbeugte sich noch einmal vor dem König und verließ die Halle, nicht ohne dem General einen Blick zu schenken, der den meisten Menschen nächtelang den Schlaf geraubt hätte. Berbast aber galt neben Kraeh als der beste Schwertkämpfer im ganzen Land, dieser Ruf wurde nur noch von dem seiner Grausamkeit übertroffen. Mühsam verbarg er ein gehässiges Lächeln hinter seinem dunklen Vollbart.

      Nachdem die Tür hinter Sedain von einem Diener geschlossen worden war, ergriff Bran erneut das Wort.

      »Wie du weißt, Kraeh, hat Theodosus alle, die nicht seinem eifersüchtigen Gott opfern, zu Heiden erklärt. Wir müssen diesen Wurm ein für alle Mal von seinem gestohlenen Thron werfen. Gemeinsam mit unsren Brüdern im Süden«, er deutete auf Maet, »und dem Segen unsres Königs Gunther können wir ein Heer aufstellen, stark genug, Rhodum in Schutt und Asche zu legen.«

      Maet räusperte sich und begann, seine Bedenken zu äußern, wobei sein roter Schnurrbart auf und ab tanzte.

      Kraeh lehnte sich zurück, Ränkeschmiedereien langweilten ihn. In Gedanken war er bei dem letzten Freudenmädchen, das er gehabt hatte.

      Erst als Bran ihn direkt ansprach, wachte er aus seinen Fantasien auf. »… Also, wie viel Mann brauchen wir, Kraeh?«

      »Wie viel Mann?«

      »Bei Donar! Für die Wutachburg.« Er war offensichtlich verärgert, besann sich aber sofort auf die Verdienste seines zweiten Kriegers. Geduldiger wiederholte er: »Wie viel Mann, um die Burg einzunehmen?« Sie war der nördlichste Außenposten des Feindes und damit nicht weit entfernt von dem Fischerdorf, in dem er herangewachsen war.

      »Wie war es eigentlich bei der Familie?«, mischte sich Berbast bissig ein.

      Bran überging die Zwischenfrage. »Also?«

      Kraeh dachte kurz nach. »Fünfzig Bogenschützen, fünfzig Reiter und hundert Speere.«

      Jetzt sprach der König, und seine Stimme klang als sei sie bereits halb aus der nächsten Welt. »Wenn die Wutach gefallen ist, zieht der Bulle in den Krieg, aber ich bin nicht überzeugt, dass dies unsre letzte Möglichkeit ist.« Ein Hustenanfall schüttelte seinen ausgemergelten Körper, woraufhin ihm einer seiner Leibgardisten half, sich aufrechter hinzusetzen.

      Der in schwarzen Stoff Gehüllte drehte seinen Kopf zu dem alten König, die Falten, die sein Gewand warf, schienen wie Schatten zu fließen, und Kraeh wunderte sich, dass er der merkwürdigen Gestalt nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Von seinem Gesicht war nichts zu erkennen außer einem schmallippigen Mund und einem gelb funkelnden Auge. Der Ton, in dem er sprach, war überaus angenehm und erinnerte an das Gurgeln eines Flusses vor einer Stromschnelle. »Ihr«, sagte er und breitete seine behandschuhten Hände aus, »seid die Herren des Rheins. Nicht die Orks oder die Zauberin jenseits der Fluten, auch nicht der verblendete Emporkömmling von Rhodum. Ihr seid es! Doch eure Dörfer werden geplündert, eure Frauen und euer Vieh werden geraubt. Wenn ihr jetzt Schwäche zeigt, werden sie bald mit Booten über den Fluss kommen und eure Reiche werden zerfallen. Es ist Zeit für Eisen und Blut.«

      Bran nickte, während Maets machthungriger Blick das Funkeln der unheimlichen Augen des Redners angenommen zu haben schien. Nur Gunther wirkte immer noch skeptisch.

      Kein Anzeichen von Gebrechlichkeit war mehr an ihm auszumachen, als er sagte: »Fällt die Wutach, haben wir einen Krieg. Niemand«, er fixierte ein gelbes Auge, hielt dem Blick jedoch nicht stand, »entscheidet in diesen Landen außer mir!«

      Dies war natürlich eine Fehleinschätzung, wie Kraeh wusste.

      Seit jeher regierte derjenige mit den meisten Speeren, doch niemand würde es wagen, offen gegen die Krone vorzugehen. Dies war normalerweise auch kaum möglich, da sich der König, seiner militärischen Schwäche bewusst, in den Rangeleien unter seinen Fürsten stets neutral gab. Just als Kraeh dies dachte, machte Gunther eine Gebärde, die seine vorangegangenen Worte zurücknahm und die endgültige Entscheidung seinen Fürsten überließ. Auf dem Gesicht von Maet zeigte sich Feindseligkeit, in den Zügen Brans Verachtung. »So sei es«, sagte er. »Berbast und Kraeh werden noch diesen Mond Rhodums älteste Festung einnehmen.«

      »Gemeinsam mit meinem Heerführer und hundert Männern von Mont«, pflichtete Maet bei. Er fürchtete wohl um das Ansehen, das ihm bei einem siegreichen Alleingang Brisaks verloren ginge.

      »Entschieden«, schloss der König die Zusammenkunft. »Seid euch jedoch im Klaren darüber, dass ihr nicht mit meinem öffentlichen Zuspruch handelt.« Gemeinsam mit den sechs Mann seiner Wache verließ er Haltung wahrend die Halle durch eine Hintertür.

      »Alter, sturer Esel«, brummte Bran.

      Maet kratzte sich an der Stirn. »Und zu allem Unglück hat sein Weib schon wieder geworfen.«

      Irinis war die dritte Frau des Königs. Sie war jung, eitel und schön, allerdings etwas einfältig, von niederster Geburt und harmlos ausgedrückt, verschwenderisch mit ihren Reizen. Vor dreißig Jahren hätte der alte Bulle ihren Hunger womöglich stillen können, aber heute, da er kaum sein Schwert aus Stahl halten konnte … Kraeh lachte.

      »Du findest das lustig«, giftete der Fürst von Mont ihn an. »Sein ganzer Hof spricht von ihrem neuen Liebhaber, einem rohen Stallburschen, der nicht bis drei zählen kann. Aber solange der alte Narr die Brut als legitim anerkennt …«

      »Genug!«, brachte Bran ihn zum Schweigen. »Wir sind alle Brüder und Gunther ist unser König.«

      Maet widersprach nicht. Auch wenn er den gleichen Titel wie Bran trug, war er sich seiner Abhängigkeit von dem stärkeren Nachbarn allzu bewusst. Seine eigenen Grenzen waren seit Jahren Angriffen von den im Norden und Osten lebenden wilden Stämmen ausgesetzt. Fast jedes Jahr musste Brisak Truppen schicken, um sie zu halten.

      »Lass mich die Burg alleine einnehmen«, forderte Berbast, »ich brauche keine Hilfe von einem Fischerjungen.« Aber Bran schüttelte den Kopf und damit war das Thema für ihn erledigt.

      Kraeh sprang auf, dass sein Stuhl zu Boden fiel. Instinktiv