Die Elfen der Dämmerung: 3 dicke Fantasy Sagas auf 1500 Seiten. Frank Rehfeld. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Frank Rehfeld
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Год издания: 0
isbn: 9783956179129
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      Alles war so schnell gegangen, dass Miranya kaum begriff, was überhaupt passiert war. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie Zwerge zu Gesicht bekam. Sie wusste nicht, woher diese so plötzlich kamen, aber sie erkannte, dass sie sie vor den Hornmännern gerettet hatten, und das war im Moment alles, was zählte. Der Schock über die Grausamkeit des Kampfes wirkte noch in ihr nach, war so wenig bewältigt wie die Überraschung über ihre Rettung, dennoch begann sie unverzüglich zu handeln, ohne sich erst lange um die Hintergründe dieses Wunders zu kümmern. Sie war erst vierundzwanzig Jahre alt, und ihre Weihe zur Vingala lag gerade erst ein knappes Jahr zurück, doch sie hatte sich der Gruppe als Heilerin angeschlossen, deshalb begann sie mit der Erfüllung ihrer Pflicht und kümmerte sich um die Verwundeten.

      Als Erstes wandte sie sich dem bewusstlosen Maziroc zu, reinigte seine Wunden, legte Heilkräuter auf und verband sie. Gleichzeitig setzte sie ihre magische Heilkraft ein, zwang klaffendes Fleisch durch die pure Stärke ihres Willens dazu, sich wieder zu verbinden, stoppte Blutungen und beschleunigte den Heilungsprozess.

      Zu ihrer eigenen großen Verwunderung blieb der Magier nur wenige Minuten lang ohnmächtig. Sie hatte noch nicht einmal alle seine Wunden verbunden, als er bereits wieder die Augen aufschlug. Für einen Mann seines Alter besaß er eine unglaublich gute Konstitution, aber das war ohnehin ein Punkt, bei dem sich Miranya nicht sicher war, was sie von den Behauptungen des Magiers halten sollte. Er hatte ihr vom ersten Auftauchen der Damonen vor fast eintausend Jahren und der Rolle, die er selbst damals beim Kampf gegen sie gespielt hatte, zu erzählen begonnen. Wenn er sich nicht alles einfach nur ausgedacht hatte, bedeutete das jedoch, dass er selbst bereits mehr als ein Jahrtausend alt sein musste, und das war unter normalen Umständen schlichtweg unmöglich. Sein Haar und sein Bart waren mittlerweile schneeweiß geworden, in sein Gesicht und vor allem um seine Augen hatten sich Falten eingegraben, und gegenüber seiner eigenen Schilderung hatte er an Leibesumfang beträchtlich zugenommen, doch ansonsten sah er immer noch wie ein Mann in mittlerem Alter aus. Als er mit seiner Erzählung anfing, hatte sie ihn danach gefragt, doch er hatte sie nur aufgefordert, noch etwas Geduld zu haben, da er später ohnehin darauf zu sprechen kommen würde.

      Miranya glaubte nicht, dass er log. Es hätte dem gesamten Bild, das sie sich von ihm gemacht hatte, widersprochen. Außerdem hatte sie sich vor Beginn dieser Reise über ihn informiert. Seit dem Kampf gegen die Damonen damals war er kaum jemals durch etwas besonders hervorgetreten. Es schien, als hätte er sich ganz bewusst im Hintergrund gehalten, um möglichst wenig Fußspuren in der Zeit zu hinterlassen, dennoch wurde sein Name immer wieder einmal in alten Schriften erwähnt. Allerdings gab es auch große Löcher, Zeitabschnitte, in denen sich sein Name kein einziges Mal fand. Zuletzt war er für die Dauer von fast vier Jahrhunderten in der Versenkung verschwunden, ehe er vor rund hundert Jahren wieder des Öfteren in irgendwelchen Aufzeichnungen erwähnt wurde.

      Nein, Maziroc log nicht, was sein Alter betraf. Schon ein bloßer Blick in seine Augen verriet, dass er ein besonderer Mensch war, selbst unter den Magiern. Weisheit und ein unglaublicher Schatz an Wissen lagen darin verborgen, wie man sie nur im Laufe eines ereignisreichen und ungeheuer langen Lebens erwerben konnte. Wenn sie in diese Augen blickte, hatte Miranya das Gefühl, in endlos tiefe Brunnenschächte zu schauen, und es fiel ihr geradezu schwer, sich wieder davon loszureißen.

      Er war so alt, wie er behauptete, dessen war sie sich so gut wie sicher. Es war höchstens möglich, dass er einen Teil dieser Zeit irgendwie in einer Art von magischem Tiefschlaf verbracht hatte. Das würde auch die langen Zeitabschnitte erklären, in denen er nichts getan hatte, was irgendjemandem eine Aufzeichnung wert gewesen wäre. Noch bis vor Kurzem hätte sie eine solche Vorstellung ins Reich der Mythen und Fabeln verbannt, doch inzwischen hatte sich einiges geändert. Schließlich waren sie unterwegs, um jemanden aus genau einer solchen Art von magischem Schlaf zu erwecken. Einem Schlaf, der bereits ein Jahrtausend währen sollte.

      Miranya wusste nicht mehr, was sie denken und glauben sollte. Sie hatte sich entschlossen, alles auf sich zukommen zu lassen. Wenn auch nur ein Teil dessen, was sie aufgeschnappt hatte, der Wahrheit entsprach, würde sie in den nächsten Wochen nicht nur schier unglaubliche Wunder erleben, sondern auch einen größeren Schatz an Wissen und Erfahrungen sammeln, als die meisten ihrer Schwestern in ihrem ganzen Leben.

      Sie lächelte dem Magier aufmunternd zu, als sie ihm den letzten Verband angelegt hatte, und sah, dass er sie anblickte, dann wandte sie sich dem einzigen noch lebenden Soldaten ihrer Eskorte zu. Auch er hatte eine Reihe von Verletzungen davongetragen. Während sie sich um seine zum Teil schweren Wunden kümmerte, verfolgte sie zugleich aufmerksam, was um sie herum geschah.

      Immerhin hatte sie es mit Zwergen zu tun, und allein schon die Begegnung mit ihnen stellte bereits eine Sensation dar, das erste der vielen Wunder, die Miranya sich von dieser Reise erhoffte. Zwerge waren schon immer ein scheues Volk gewesen, das ziemlich abgeschieden lebte, doch in den vergangenen Jahrhunderten, seit dem Verlust von Ravenhorst, hatten sie sich fast gänzlich von der Außenwelt zurückgezogen. Niemand wusste, wo genau sich ihre neue Heimat befand, doch es gab Gerüchte, dass sie noch wesentlich tiefer als Ravenhorst in den Todessümpfen verborgen liegen sollte, tiefer, als je zuvor ein Mensch in den Sumpf vorgedrungen war. Viele hatten es versucht, doch keiner von ihnen war jemals zurückgekehrt.

      So weit jedenfalls die Legende. Noch bis vor wenigen Minuten war Miranya jedoch nicht einmal sicher gewesen, ob es das Volk der Zwerge überhaupt jemals gegeben hatte und noch gab, oder ob nicht seine ganze Existenz nicht mehr als nur ein Mythos war. Nun besaß sie zumindest über diesen Punkt endgültige Klarheit.

      Es handelte sich um ungefähr zwanzig Zwerge. Aufgerichtet reichten sie ihr nur ungefähr bis zur Brust, doch waren sie von stämmiger, sehr kräftiger Statur. Alle trugen sie lange Vollbärte, die ihre etwas rundlichen Gesichter zu einem beträchtlichen Teil verdeckten. Gekleidet waren sie in silberne Rüstungen mit verschiedenfarbigen Umhängen, zusätzlich trugen sie Helme, an denen Federn in jeweils der gleichen Farbe wie der ihrer Umhänge steckten. Vermutlich symbolisierten diese Farben ihre Stellung oder ihren militärischen Rang.

      Einige von ihnen zerrten die Leichen der Hornmänner vor dem Höhleneingang weg, um überhaupt erst einmal einen Weg freizumachen. Andere begannen, die gefrorene Erde mit ihren Äxten aufzuhacken, vermutlich, um Gräber auszuheben.

      Ein Zwerg mit langen grauen Haaren, einem ebenso langen Bart und einem vor lauter Falten zerknittert aussehenden Gesicht trat zu Maziroc. Als Einziger trug er einen flammend roten Umhang, was Miranya als Bestätigung ihrer These wertete, dass die Farben den militärischen Rang widerspiegelten.

      "Mein Name ist Barkon", stellte der Zwerg sich vor. "Leutnant in der Garde von Lutheson, dem König der Zwergenkrieger. Wie es scheint, sind wir genau zur richtigen Zeit gekommen."

      "Es scheint nicht nur so", bestätigte Maziroc. Mit kleinen, ruckartigen Bewegungen richtete er sich auf und rutschte näher an die Wand, bis er sich aufrecht sitzend mit dem Rücken dagegenlehnen konnte. "Ohne Eure Hilfe hätten wir uns keine Minute länger halten können. Wir hatten schon mit dem Leben abgeschlossen. Euch muss der Himmel geschickt haben."

      "Nun, der Himmel war es nicht gerade", erwiderte Barkon. Er stützte sich auf seine Streitaxt, die fast so groß wie er selbst war. "Vielmehr war es ein Bote Eures Ordensführers Charalon. Falls man dieses merkwürdige Wesen als einen Boten bezeichnen kann."

      "Sprecht Ihr von einer Gestalt aus purem Eis?"

      "Ganz genau. Woher wisst ..."

      "Dann handelte es sich wirklich um einen Boten Charalons. Um einen Ssiraq, um genau zu sein."

      Miranya spürte, wie ein rascher, eisiger Schauer über ihren Rücken rann. Auch Charalon war eine Legende aus der Zeit des großen Krieges gegen die Damonen, und noch in weitaus größerem Maße als Maziroc wurden seine Person und sein Schicksal von Mythen umrankt. Es hieß, dass er sich seit damals bei den Göttern aufhalte und den Magiern von dort aus deren Willen verkündete. Eine andere Darstellung besagte, dass er sich seit damals als unsterblicher, körperloser Geist an einem ungeheuer fremdartigen Ort jenseits dieser Welt befände.