Ermattet taumelte er und wäre gestürzt, wenn sich nicht direkt neben ihm die Felswand befunden hätte, an der er sich abstützen konnte. Erschöpfung und die zahlreichen kleineren und größeren Verletzungen, die er davongetragen hatte, machten sich nun bemerkbar. Aus der Wunde an seinem Unterarm quoll ein beständiger pulsierender Blutstrom. Mit von Benommenheit bereits getrübten Sinnen nahm er wahr, wie zwei der Zwerge ihn ergriffen und sanft zu Boden sinken ließen, wo Miranya sofort damit begann, die Wunde mit Heilkräutern abzudecken, mit ihrer Magie die Blutung eindämmte und einen Verband anzulegen. Einige Sekunden lang verfolgte er ihre Bemühungen noch, dann umfingen die schwarzen Schleier einer Ohnmacht endgültig seinen Geist.
Er hatte gewusst, dass nur ein Wunder sie noch retten könnte, doch er hatte nicht mehr genug Vertrauen gehabt, auf ein solches zu hoffen. Dennoch hatte er gerade eins erlebt. Vielleicht erwies sich dies als ein gutes Omen für den Fortgang ihrer Mission. Das war sein letzter Gedanke, bevor er vollends das Bewusstsein verlor.
Aufbruch ins Unbekannte
Der Reitertrupp, der Cavillon bereits früh am nächsten Morgen verließ, stellte eine der beeindruckendsten Expeditionen dar, die es in der Geschichte Arcanas je gegeben hatte. Nach den Ausführungen Eibons vor der Magierversammlung hatte für Maziroc von Anfang an festgestanden, dass er sich ihr anschließen würde. Die Hauptüberraschung für ihn war gewesen, dass der Elbenkönig sie persönlich leiten würde, doch nachdem Eibon diesen Entschluss verkündet hatte, hatte sich auch Charalon allen dagegen angeführten Argumenten zum Trotz nicht davon abbringen lassen, ebenfalls daran teilzunehmen.
Einer der Hauptgegner dieser Entscheidung war Maziroc selbst gewesen. Es hatte ihm ganz und gar nicht geschmeckt, dass sich sowohl das Oberhaupt des Magierordens wie auch sein Stellvertreter zusätzlich zu dem Elbenkönig der Gefahr dieser Expedition aussetzten. Er wusste nicht, wie es bei den Elben aussah, aber er selbst und Charalon würden nicht ohne Weiteres zu ersetzen sein, wenn ihnen etwas zustieße und sich die Gefahr als wirklich so groß erweisen sollte, wie Eibon sie geschildert hatte. Es gab eine Menge Magier, die ungefähr so alt wie er waren und ebenfalls hoch geachtet wurden, doch würden sie sich die Führung gegenseitig streitig machen und sich untereinander bekämpfen. Keiner von ihnen besaß eine ausreichend große Autorität, als dass sich dem Betreffenden der gesamte Orden bereitwillig anschließen würde.
Um zu verhindern, dass es so weit kommen könnte, war Maziroc sogar nahe dran gewesen, seine eigene Teilnahme zurückzuziehen, nachdem er erkannt hatte, dass Charalons Entschluss unumstößlich war. Nur widerstrebend hatte er sich schließlich wieder von diesem Vorhaben abbringen lassen, vor allem durch Charalons Argumentation, dass gerade aufgrund der hohen Bedeutung einiger der Teilnehmer so umfassende Sicherheitsvorkehrungen getroffen würden, dass die Gefahr letztlich äußerst gering wäre.
In der Tat hatte die Gruppe, die die Ordensburg früh am nächsten Morgen verließ, weniger Ähnlichkeit mit einem Expeditionstrupp als vielmehr mit einer kleinen Armee. Außer Maziroc und Charalon nahmen noch vier weitere Magier und zwei Vingala daran teil, und die Eskorte aus Elbenkriegern war durch weitere zwei Dutzend berittene Soldaten verstärkt worden. Es handelte sich um in funkelnde silberne Uniformen und tiefblaue Umhänge gekleidete Angehörige der Ehrengarde Cavillons unter Führung des erfahrenen Generals Bayron. Bevor er vor vielen Jahren nach Cavillon gekommen war, hatte er sich im Fünf-Wochen-Krieg zwischen Larquina und Aslan bewährt und war mit Auszeichnungen geradezu überhäuft worden. Er mochte um die fünfzig sein, mit angegrautem Haar, blauen, stets wachsam und ein wenig misstrauisch blickenden Augen und einem markant geformten Kinn. Ein Schwerthieb hatte seine rechte Wange fast gespalten und eine tiefe und lange Narbe hinterlassen, die vom Kieferknochen bis zur Schläfe hinauf reichte.
Maziroc wusste nicht recht, ob er sich über die Größe und Stärke der Gruppe wirklich freuen sollte. Sicher, sie stellten eine beachtliche Streitmacht dar. Bedachte man die überlegene Kampfkraft vor allem der Elbenkrieger und die besonderen Fähigkeiten der Magier, sollten sie in der Lage sein, mit jedem selbst zahlenmäßig weit überlegenen Gegner fertigzuwerden. Der Nachteil aber war, dass sie überall auffielen und kaum in der Lage sein dürften, sich unauffällig fortzubewegen. Ein kleiner, nur aus wenigen Personen bestehender Stoßtrupp wäre ihm eigentlich lieber gewesen.
Beide Alternativen jedoch besaßen ihre Vor- und Nachteile. Während in der vergangenen Nacht ein heftiges Unwetter mit Blitz und Donner und wahren Regenfluten über Cavillon niedergegangen war, hatte er noch lange mit Charalon und Eibon zusammengesessen und über ihr weiteres Vorgehen beratschlagt. Es war kaum möglich, unauffälliger Erkundigungen einzuziehen, als es durch die zuvor einzeln losgeschickten Elbenspäher geschehen war, die vermutlich besten Scouts der bekannten Welt. Dennoch waren sie offenbar entdeckt und entweder gefangen genommen oder sogar getötet worden, wobei Letzteres angesichts der Brutalität, mit der die bekannten Überfälle durchgeführt worden waren, wahrscheinlicher erschien.
Stärke allein hingegen bot auch keine verlässliche Sicherheit, solange sie nicht gerade mit einem ganzen Heer loszogen. Auch die Barbarenkrieger waren berüchtigte Kämpfer, neben den Elben und vielleicht noch den Zwergen wahrscheinlich die gefährlichsten überhaupt. Dennoch waren auch sie getötet worden. Unter diesen Umständen würde es äußerst schwierig werden, sich eine erfolgversprechende Taktik zurechtzulegen. So, wie sie jetzt unterwegs waren, waren sie stark genug, sich gegen die meisten vorstellbaren Gefahren zur Wehr zu setzen, aber anderseits war ihre Gruppe wiederum noch klein genug, dass sie schnell und flexibel agieren und sich einigermaßen unauffällig auch in schwierigem Gelände bewegen konnten. Dieser Kompromiss erschien ihnen allen am erfolgversprechendsten.
Von vereinzelten Wölkchen abgesehen, war der Himmel bei ihrem Aufbruch wieder so azurblau wie am Vortag, und die rasch wärmer werdende Sonne brauchte nicht lange, um auch die letzten Bodennebel zu vertreiben, die mit Beginn des Morgens aus der Erde gekrochen waren und sich wie eine weißlich-graue Decke über das Land gebreitet hatte. Die einzigen Spuren, die das Unwetter der vergangenen Nacht hinterlassen hatte, waren die Feuchtigkeit der Blätter und des Grases und der Morast, in den sich die Wege stellenweise verwandelt hatten. Aber da der Tag wieder ebenso warm wie der vorige zu werden versprach, würden sie voraussichtlich schon innerhalb der nächsten zwei, drei Stunden trocknen und ihr Vorankommen nicht weiter verlangsamen.
Sie ritten auf der alten Heerstraße nach Südosten, in direkter Richtung auf die Hohe Festung an der Grenze zwischen Larquina und der Nordermark zu. So früh am Morgen war die Straße noch weitgehend frei, was sich jedoch mit jeder Stunde, die der Vormittag voranschritt, mehr und mehr änderte. Immer häufiger begegneten ihnen andere Reisende, teil allein, teils in kleinen Gruppen oder auch großen Karawanen umherziehend, die sie verwundert und ehrfurchtsvoll, vereinzelt jedoch auch misstrauisch anstarrten.
Gegen Mittag legten sie eine kurze Rast ein und ritten anschließend bis lange nach Sonnenuntergang in scharfem Tempo weiter. Mit Unwillen registrierte Maziroc, dass Eibon an mehreren einladenden Gasthäusern vorbeiritt, um sie schließlich erst in einem kleinen Wäldchen anhalten zu lassen, wo sie ein provisorisches Lager aufschlugen, sodass sie auf dem unbequemen Waldboden schlafen mussten, statt sich in die behaglichen Betten einer der Herbergen sinken zu lassen. Immerhin konnten sie auf diese Art gut zwei Stunden länger reiten, als wenn sie sich den Zeitpunkt der Übernachtung von der Lage der Schenken hätten vorschreiben lassen, und auf möglichst große Eile schien es Eibon am meisten anzukommen.
Zur Mittagsstunde des folgenden Tages erreichten sie den Bialo, der als kleiner Gebirgsbach im Thurg-Gebirge entsprang,