III. Abhängigkeitsklage
1. Recht des Patentinhabers zur Erhebung der Abhängigkeitsklage
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Abhängigkeit eines jüngeren von einem älteren Patent liegt vor, wenn die Benutzung des jüngeren Patents nur unter Benutzung wesentlicher Erfindungsgedanken eines älteren Patents möglich ist. Näheres hierzu siehe in den einschlägigen Kommentaren zum Patentgesetz. Liegt eine Abhängigkeit vor, so darf das abhängige Patent nur benutzt werden, wenn der Inhaber des älteren Patents eine Lizenz erteilt. Die Entscheidung darüber, ob ein Patent von einem anderen abhängig ist, kann schwierig sein. An der Feststellung, ob dies der Fall ist, besteht ein rechtliches Interesse. Die Berechtigung des Inhabers des älteren Patents, Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche geltend zu machen, hängt von der Vorfrage ab, ob das jüngere Patent das ältere verletzt. Ein rechtliches Interesse des Patentinhabers an der Feststellung der Abhängigkeit besteht auch dann, wenn er an einen Dritten eine Lizenz vergeben hat. Er ist daher zur Klageerhebung befugt.116
2. Recht des Inhabers einer ausschließlichen/alleinigen Lizenz zur Erhebung der Abhängigkeitsklage
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Aus denselben Gründen, nämlich dem engen Zusammenhang von Schadensersatzansprüchen und Unterlassungsansprüchen mit der Abhängigkeitsklage, ist auch die Befugnis des Inhabers einer ausschließlichen oder alleinigen Lizenz zur Erhebung der Klage auf Feststellung der Abhängigkeit zu bejahen, soweit dieser ein rechtliches Interesse hieran hat.117
3. Kein Klagerecht des Inhabers einer einfachen Lizenz
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Der Inhaber einer einfachen Lizenz, der kein dingliches Recht besitzt, ist dagegen nicht zur selbstständigen Klageerhebung befugt. Der Lizenzgeber kann ihm aber unter Umständen eine Prozessführungsbefugnis einräumen.118 Es ist auch möglich, dass sich der Lizenzgeber vertraglich verpflichtet, den Lizenznehmer zu schützen.
116 Benkard, PatG, Rn. 81 zu § 9; Klauer/Möhring, PatG, Anm. 35 zu § 9; Krausse/Katluhn/Lindenmaier, Anm. 32 zu § 9; Reimer, PatG, Anm. 66 zu § 9. 117 Vgl. RG, 30.4.1919, RGZ 95, 304 = Bl. 1919, 114; Benkard, PatG, Rn. 79 zu § 9; Klauer/Möhring, PatG, Rn. 35 zu § 9. 118 Vgl. z.B. Klauer/Möhring, PatG, Rn. 46 zu § 9.
IV. Nichtigkeitsklage
1. Allgemeines
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Gemäß §§ 21, 22 PatG kann ein Patent auf Antrag für nichtig erklärt werden, wenn sich ergibt, dass
1. der Gegenstand des Patentes nach den §§ 1 bis 5 nicht patentfähig ist,
2. das Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann,
3. der wesentliche Inhalt des Patentes den Beschreibungen, Zeichnungen, Modellen, Gerätschaften oder Einrichtungen eines anderen oder einem von diesem angewendeten Verfahren ohne dessen Einwilligung entnommen worden ist (widerrechtliche Entnahme),
4. eine unzulässige Erweiterung i.S.d. § 21 Abs. 1 Nr. 4 vorliegt.
Die Nichtigkeitsklage ist im deutschen Recht dem Grundsatz nach als Popularklage ausgestaltet, d.h. jedermann kann Klage erheben. Der Kläger braucht ein besonderes Interesse nicht nachzuweisen. Es wird unterstellt, dass er die Interessen der Allgemeinheit wahrnimmt.119 Der Lizenznehmer ist aufgrund des Umstands allein, dass er eine Lizenz erworben hat, nicht gehindert, die Nichtigkeitsklage zu erheben,120 selbst wenn es sich um einen ausschließlichen Lizenznehmer handelt.121 Eine Ausnahme von dem Grundsatz der Popularklage gilt für den unter 3. genannten Nichtigkeitsgrund der sog. widerrechtlichen Entnahme. Dieser Widerrufsgrund kann nur von dem Verletzten gem. § 59 Abs. 1 PatG geltend gemacht werden.
Die Frage der Nichtigkeitserklärung ist nach deutschem Recht, ähnlich wie auch nach französischem oder italienischem Recht,122 der Zuständigkeit des Bundespatentgerichtes123 bzw. dem Bundesgerichtshof124 übertragen, deren Urteile immer absolute Wirkung haben.
2. Verzicht des Lizenznehmers auf Erhebung einer Nichtigkeitsklage
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Lizenzverträge enthalten oft eine Klausel, in der sich der Lizenznehmer verpflichtet, keine Nichtigkeitsklage zu erheben.125
Der Bundesgerichtshof führt aus, dass er an der Rechtsprechung des Reichsgerichts festhalte, wonach es zulässig ist, durch Vertrag auf das Recht zur Erhebung der Nichtigkeitsklage zu verzichten und wonach dieser Verzicht im Nichtigkeitsprozess auch geltend gemacht werden kann.126 Auch unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Interesses an der Vernichtung materiell unwirksamer Patente bestünden gegen Nichtangriffsabreden in Lizenzverträgen keine Bedenken. Derartige Abkommen trügen meist den Charakter von Vergleichen, durch die Streitigkeiten über das Patent auf gütlichem Wege beseitigt werden sollen. Sie seien wirtschaftlich voll gerechtfertigt und nützlich.127 Weiterhin ist auch zu berücksichtigen, dass gerade der Inhaber des Schutzrechtes ein berechtigtes Interesse daran haben kann, dass nicht ausgerechnet sein Lizenznehmer eine Nichtigkeitsklage erhebt, da der Lizenznehmer durch die Verwertung des Patents in besonderem Maße mit den technischen Feinheiten und den spezifischen patentrechtlichen Problemen vertraut geworden ist bzw. von dem Patentinhaber vertraut gemacht worden ist. Gerade der Lizenznehmer hat es daher besonders leicht, selbst nur leichte Schwächen eines Patentes, die sonst unberücksichtigt blieben, auszunutzen.128 Die vertragliche Abrede kann nach deutschem Recht dem Kläger in dem Nichtigkeitsprozess entgegengehalten werden und würde zur Abweisung der Klage führen.129 Der Verzicht wirkt jedoch nach Auffassung des Bundesgerichtshofes nicht über die Dauer des Lizenzvertrages hinaus.130
Nichtangriffsvereinbarungen in Anspruchsregelungs- und -verzichtsvereinbarungen fallen in der Regel nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV.131
3. Unzulässigkeit der Erhebung einer Nichtigkeitsklage
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Auch wenn keine vertraglichen Vereinbarungen getroffen sind, kann es Treu und Glauben widersprechen, dass der Lizenznehmer Nichtigkeitsklage erhebt. Die Erhebung einer Nichtigkeitsklage kann als unzulässige Rechtsausübung anzusehen sein, wenn sich aus den vertraglichen Beziehungen ergibt, dass der Angriff auf das Patent gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt.132 Der Bundesgerichtshof verweist dabei darauf, dass gerade das Bestehen eines Lizenzvertrages die Annahme einer Nichtangriffspflicht unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nahelegen kann, da die Erhebung einer Nichtigkeitsklage in diesen Fällen häufig dem Sinn und Zweck des Lizenzvertrages zuwiderlaufen würde.133 Dies gilt insbesondere bei einer ausschließlichen Lizenz, die eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und eine besondere Rücksichtnahme auf die gegenseitigen Interessen der